Eröffnung an diesem Donnerstag:Sterbebilder von 200 Soldaten

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Stadtarchivar Bernhard Schäfer zeigt, wie die Grafinger den Zweiten Weltkrieg erlebten. Und mahnt, dass sich diese Geschichte nicht wiederholt

Von Daniela Gorgs, Grafing

Die Folgen des Krieges hätte Museumsleiter Bernhard Schäfer wohl nicht plastischer zeigen können. Besucher der Sonderausstellung über "Grafing und Umgebung in der Zeit des Zweiten Weltkriegs" blicken gleich in der ersten Vitrine auf einen großen Stapel Sterbebilder. Mehr als 200 Soldaten aus Grafing kostete der Zweite Weltkrieg das Leben. Das Bild von Adolf Mayr liegt obenauf. Der Kreuzschmied-Sohn war der erste Soldat aus Grafing, der fiel. Am 16. September 1939, kurz nach Kriegsbeginn, starb er bei Lemberg auf dem Schlachtfeld.

80 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs möchte Museumsleiter Schäfer an den größten militärischen Konflikt in der Geschichte der Menschheit erinnern. Und zugleich ermahnen, dass sich diese Zeit nicht wiederholt. Es gelte, Kriege "um jeden Preis" zu vermeiden. Dafür müsse ein jeder Sorge tragen. In den Staatsarchiven hatte Schäfer geforscht und auch die Bürger um Mithilfe geben, dem Museum einschlägige Gegenstände zur Verfügung zu stellen.

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(Foto: Christian Endt)

Ein großer Stapel Sterbebilder führt den Besuchern die Kriegsfolgen vor Augen.

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(Foto: Christian Endt)

Am Mittwoch hängte Bernhard Schäfer noch letzte historische Fotos auf.

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(Foto: Christian Endt)

An diesem Donnerstag wird die Ausstellung eröffnet. Reproduktion: Christian Endt

Auf vier Räume verteilt sind jetzt in Vitrinen Dokumente, Briefe, Zeitungsausschnitte und historische Fotos zu sehen. An Wandtafeln fasst der Stadtarchivar die Geschehnisse der Kriegsjahre im Raum Grafing zusammen und zeigt, wie sehr die Nationalsozialisten das öffentliche und private Leben der Menschen erfasst hatten. Wie sie mit Hilfe des Lokalblattes "Grafinger Zeitung" den größten Teil der Bevölkerung ideologisch manipulierten. Zu sehen ist auch ein großer brauner Radioapparat. Der "Volksempfänger" war eines der wichtigsten Propagandainstrumente der nationalsozialistischen Machthaber, in dem die Reden Adolf Hitlers übertragen und nach der Wende im Zweiten Weltkrieg Verluste und Niederlagen in Siege umgedeutet wurden. Nun, wie Schäfer berichtet, konnten die Bürger über den Volksempfänger auch ausländische Sender hören. Natürlich heimlich. Hans Haberl zum Beispiel, ein Grafinger, der mit Freunden die verbotenen Sender hörte, wurde dabei erwischt und in der Folge zum Tode verurteilt. In letzter Minute wurde Haberl begnadigt. Über die Geschichte des "fast vergessenen" Widerständlers, der in dem blauen Haus schräg gegenüber dem Museum wohnte, wird Schäfer auf dem Archivstammtisch im kommenden Jahr noch gesondert berichten. Er habe jetzt erst die Gerichtsurteile von damals einsehen können.

Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs traf die Grafinger keineswegs unvorbereitet, recherchierte der Stadtarchivar. Zwar habe der deutsche Angriff auf Polen und der sich alsbald auf England und Frankreich ausweitende Krieg in Grafing keinen "Hurra-Patriotismus" ausgelöst, doch habe zuerst sehr wohl Siegeszuversicht geherrscht. Die meisten Bewohner, sagt Schäfer, empfanden sich als Teil einer Schicksalsgemeinschaft. Man habe das Vaterland gegen Landesfeinde verteidigen wollen, die ja nach Auskunft der gelenkten Medienwelt im Nazi-Deutschland für den Krieg verantwortlich waren. Entsprechend habe die Bevölkerung Verständnis gezeigt für sämtliche Einschränkungen im Alltag wie die Zwangsbewirtschaftung von Lebensmitteln, Mobilmachung sowie Verdunkelung der Fenster.

Konsumgüter wie Brot, Butter und Marmelade waren nur mit Lebensmittelkarten zu erhalten. (Foto: Christian Endt)

Man sah zu, wie das Genesungsheim Oberelkofen in ein Reservelazarett umgewandelt wurde und spendete für das Kriegs-Winterhilfswerk. "Die Solidarität war groß", sagt Schäfer und deutet auf die rote Büchse in einer Vitrine. Doch sei genau aufgepasst worden, dass jeder auch genug Münzen für Bedürftige in diese Büchse warf, sonst sei er angeschwärzt worden. Es sind Fotos von Zwangsarbeitern zu sehen, die in der Landwirtschaft mithalfen. Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Splittergräben, in denen die Bürger bei Luftangriffen Schutz fanden, sowie rasch gemauerte Panzersperren, mit denen man den Vorstoß der Alliierten behindern wollte.

Auf Papierdokumenten ist nachzulesen, dass wegen der zunehmenden Luftangriffe zahlreiche Betriebe aus den Großstädten flohen und Unterbringung im Raum Grafing fanden. Die Uniformfabrik Erlangen quartierte sich in der Brauerei Grandauer ein, das Staatsarchiv im Pfarramt. Auch für die 1000 Mann starke Kraftfahrzeugersatzabteilung mussten die Grafinger Platz schaffen. Auf einer Zeichnung ist zu sehen, an welchen Stellen die Hauptbahnlinie München-Rosenheim-Brenner in Grafing Bahnhof bombardiert wurde. Die Ausstellung endet mit den vergilbten Flugblättern der Widerstandsgruppe Freiheitsaktion, die die Verleger der "Grafinger Zeitung" Ende April drucken ließen und unter den vom Krieg zermürbten Bürgern verteilten. Nach all seinen Recherchen sagt Schäfer: Unser heutiges Leben in Freiheit und Demokratie könne man gar nicht hoch genug schätzen.

Die Ausstellung "Grafing und Umgebung in der Zeit des Zweiten Weltkriegs" ist bis 16. Februar 2020 im Museum der Stadt Grafing zu sehen. Eröffnet wird sie an diesem Donnerstag, 14. November, um 19.30 Uhr.

© SZ vom 14.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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