Ensemble aus Baldham:Zeitreise in ein buntes Jahrzehnt

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Der "Don-Camillo-Chor" feiert sein 25-jähriges Bestehen mit Jazz, Rock, Pop und Hip Hop aus den Neunzigern. Demnächst wollen die Sänger mit ihren Programmen im süddeutschen Raum auf Tournee gehen

Von Alexandra Leuthner, Vaterstetten

Wenn der Chorleiter schlechte Laune hat, dann hört man das am Gesang. Wie? Ganz einfach: Der Klang der Stimme ist abhängig vom vegetativen Nervensystem, also von jenem Steuermechanismus im Körper, auf den der Wille herzlich wenig Einfluss hat. Was auch für den Sänger gilt, der sich über die Missstimmung des Dirigenten ärgert. "Und schon wird die Stimme nicht mehr klingen."

Matthias Seitz, fünfter Leiter in der 25-jährigen Geschichte des Don-Camillo-Chors weiß natürlich um diese Zusammenhänge - und das, obwohl gerade er sich um den Klang seiner Sängerstimmen gar keine Sorgen zu machen braucht. Seit sechs Jahren ist der Dozent und Dirigent musikalischer Chef des Baldhamer Chors, und angesichts der langen Erfolgsgeschichte, des hohen Anspruchs und der Begeisterungsfähigkeit des Ensembles hat Seitz wohl nur höchst selten Anlass für schlechte Laune. Gerade hat er wieder mal Grund genug, sich über den Ehrgeiz der Truppe zu freuen, probt sie doch mit Enthusiasmus für ihr Jubiläumskonzert. "Back to the 90s" ist der Auftritt überschrieben, das Programm setzt sich zusammen aus A capella-Stücken aller musikalischen Richtungen, die jedoch ausnahmslos in den 90er Jahren entstanden sind, so wie auch der Chor selbst. 1994 fanden sich ein paar Schulfreunde zusammen, um einen Jugendgottesdienst zu gestalten. Philipp Bernhard, der auch der erste Chorleiter wurde, als man beschloss, es nicht mit einem Auftritt gut sein zu lassen, hatte die Sache ins Rollen gebracht und Gospels wie "Oh happy day" mit seinen Freunden einstudiert. Eine von jenen, die von Anfang an mit dabei waren, ist Signe Faber. Sie singt heute immer noch im Chor, kümmert sich aber auch um die Öffentlichkeitsarbeit. "Als Philipp mich damals ansprach, habe ich Feuer gefangen." Und in gewissem Sinn steht sie immer noch in Flammen, was unschwer heraus zu hören ist, wenn sie beginnt von den zurückliegenden 25 Jahren zu erzählen.

Längst hat sich der Don-Camillo-Chor - benannt nach jener legendären Film- und Romanfigur, die im Nachkriegsitalien in einem Dorf der Po-Ebene ihre Scharmützel mit dem kommunistischen Bürgermeister einerseits und Jesus andererseits austrägt - von seinen kirchlichen Ursprüngen entfernt. Schon immer habe man ja den Kirchengesang mit einer gewissen Leichtigkeit gesehen - "so wie Don Camillo auch, der hat es ja auch nie so ganz ernst genommen mit der Geistlichkeit", sagt Faber. Doch die weltlichen Stücke nahmen schnell immer größeren Raum ein, man begann, sich weniger sakrale Auftrittsorte zu suchen. Rainer Dunker, Chorleiter seit 1998, steuerte in Richtung Jazz, Peter Giesl, der bereits als Pianist im Don Camillo Chor engagiert war, bevor er 2001 das Dirigat übernahm, bereicherte das Repertoire mit experimentellen Eigenkompositionen. Mit Florian Helgath wurde 2005 erstmals ein Profi - ausgebildeter Chordirigent und Sänger bei den Regensburger Domspatzen - Leiter des Ensembles. Und wenn sich der Chor bis dahin schon einen hervorragenden Ruf erarbeitet hatte, ging es jetzt richtig steil bergauf in Richtung Ruhm: "Früher haben wir halt gesungen, jetzt kam der Ehrgeiz dazu", kommentiert Faber.

Damit bei den Auftritten alles reibungslos klappt, treffen sich die Chormitglieder regelmäßig im Pfarrsaal der Baldhamer Kirche Maria Königin zum Proben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Bereits 2006 brachten es die Don Camillos auf acht veröffentlichte CDs, und es ließen auch die ersten Auszeichnungen nicht lange auf sich warten. In jenem Jahr errangen sie den Ward-Swingle-Award beim Wettbewerb "vokal.total" in Graz, bei den "World Choir Games" ebenfalls in Graz 2008 eine Goldmedaille in der Kategorie Jazz, außerdem gab es Silber in der Kategorie Pop. Das musikalische Märchen "Kasimir" aus dem Jahr 2016 bekam den Medienpreis Leopold für besonders gute Kindertonträger. Und 2018 schließlich schafften es die Baldhamer Sänger, mit einem selbst gedrehten Video einen Auftritt mit der Pop-Band Revolverheld bei der "Nacht der Chöre" zu ergattern.

"Das war schon spannend und etwas anderes als das, was wir sonst erleben", sagt Chorleiter Matthias Seitz, "eine andere Welt". Aber nicht unbedingt eine, in der sich der Don-Camillo-Chor fortan bewegen möchte - auch wenn sich der ein oder andere Kontakt und Folgeauftritt daraus ergeben hatte. Etwa ein gut bezahlter Flashmob des Chors bei einer Firmenfeier. Seitz lacht, als er davon erzählt. "Die Gäste denken heute noch, wir wären das Servicepersonal gewesen." Der schöne Nebeneffekt: Solche Auftritte spielen Geld in die Kasse, "das wir gut brauchen können", sagt Signe Faber. Die Noten, die Miete für den Probenraum - den Pfarrsaal Maria Königin - der Chorleiter, die Reisen, all das muss bezahlt werden. Im nächsten Jahr ist das Chorfest in Leipzig eingeplant für die 35 Sängerinnen und Sänger, "da trifft sich die Chorszene", erklärt Seitz. Und in den nächsten beiden Jahren sei geplant, die Programme der vergangenen Jahre "Insight", "Kasimir" und das aktuelle "Back to the 90s" Konzertveranstaltern im süddeutschen Raum anzubieten und damit auf Tournee zu gehen.

Anlässlich des 25-jährigen Bestehens blicken Chorleiter Matthias Seitz und Signe Faber auf die illustre Geschichte des Ensembles zurück. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Aber erst einmal wird gefeiert. Mit Arrangements, die wie immer vom aktuellen und ehemaligen Chorleitern oder auch -sängern geschrieben wurden, geht es tief hinein ins Jahrzehnt der Boy- und Girlgroups und des deutschen Hip-Hop, ein Jahrzehnt, das aber auch den Grunge hervorbrachte. "Damals war die Musik ja noch sehr bunt", resümiert Seitz. Von den heutigen Chormitgliedern - alles Laien - waren ein paar noch gar nicht geboren, andere tanzten zu Nirvana und den Fantastischen Vier auf Studentenfeten, einige beschäftigten sich bereits mit der Familiengründung.

So facettenreich wie die Geschichte ihrer Sänger, so abwechslungsreich wird auch das Konzert werden - natürlich, wie immer, ganz ohne Instrumente. Aber dass es für den Hard Rock keine Gitarrenriffs, für den Jazz kein Sax und für den Pop keine Produktion braucht, hat der Chor im vergangenen Vierteljahrhundert ja schon oft genug bewiesen. Grund zur schlechten Laune wird es für den Chorleiter also eher nicht geben. "Wenn es Spaß macht, ist alles gut", sagt Faber. "Dann kriegt der Dirigent so ein entrücktes Lächeln." Und dann klappt es auch mit dem Klang.

Das Jubiläumskonzert findet am 10. November im Theater LEO17, Leopoldstraße 17, München statt. Beginn ist um 19 Uhr, Tickets unter www.doncamillo-chor.de, München Ticket und (089) 41616964.

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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