Ebersberg:Zu lange gewartet

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Vor fünf Jahren kamen sich Nachbarn in die Quere, ein 29-Jähriger wurde dabei verletzt. Weil die Tat erst jetzt verhandelt wird und keiner der Beteiligten sich mehr richtig daran erinnert, muss das Verfahren eingestellt werden

Von Jessica Morof, Ebersberg

Wenn Nachbarn nicht miteinander auskommen, führt das nicht selten zu Gerichtsverhandlungen. Und manches Mal sogar zu einer Verhaftung. So einen Fall hatte das Amtsgericht Ebersberg am Dienstag zu verhandeln. Der Angeklagte, der aus der Haftanstalt von zwei Polizisten begleitet zur Verhandlung erschien, wurde beschuldigt, den 29 Jahre alten Enkel seiner Vermieterin mit Absicht geschubst, getreten und mit der Faust in den Bauch geschlagen zu haben. Die Folgen: Atemnot und Krämpfe im Abdomen. Außerdem soll er seine Vermieterin mehrmals beleidigt und ihr mit körperlicher Gewalt gedroht haben sowie die Schlösser zum gemeinsamen Speicher ausgetauscht haben.

Als Auslöser für den Hauptanklagepunkt - Handgreiflichkeiten, die sich allerdings schon am 28. Dezember 2010 zugetragen haben - nannte die Staatsanwaltschaft einen Streit über die Parksituation. Demnach habe der 64-jährige Angeklagte sein Auto so abgestellt, dass ein Zugang zu einem Teil des Hauses nicht möglich war. Als der Enkel der Vermieterin dann mit Freunden auf dem Gelände eintraf, um eine Silvesterfeier im Partyschuppen vorzubereiten, bat dieser den Mieter seiner Großmutter, sein Auto wegzufahren. Das habe der abgelehnt und seinen Missmut über die Aufforderung zusätzlich handgreiflich unterstrichen. Da der Geschädigte in der Folge über Schwindel und Atemnot klagte, musste ein Krankenwagen gerufen werden.

Begonnen hatte die Verhandlung schon vor langem, war dann aber für zwei Jahre ausgesetzt worden. Der Grund für diese Wartezeit war jedoch nicht einmal Richterin Vera Hörauf bekannt. Auch der Haftbefehl kam erst im Dezember 2015; seine Haft trat der Angeklagte am 13. Januar dieses Jahres an. "Als die Polizei kam, war mein Mandant überzeugt, dass das ein Versehen sein muss", erklärte die Rechtsanwältin für den Angeklagten. Dieser hatte sich dazu entschlossen, sich selbst nicht vor Gericht zu den Anklagepunkten zu äußern - auch wenn er sich während der Verhandlung immer wieder einmischte und selbst Fragen an die Zeugen stellte.

Aufgrund der langen Zeit, die seit dem Vorfall vergangen war, konnten sich die Zeugen, darunter auch der Geschädigte, kaum noch an Einzelheiten erinnern. Ihre Aussagen und die Polizeiprotokolle, die nach der Tat aufgenommen worden waren, widersprachen sich in mehreren Fällen. "Sie stellen mir Fragen, die ich nicht beantworten kann", sagte der 29-jährige Enkel auf mehrere Fragen der Richterin hin. "Nach sechs Jahren ist es legitim, dass man Lücken hat." Definitiv erinnere er sich an seine Bitte, das Fahrzeug wegzustellen, an ein Handgemenge an der Wohnungstür und einen Schlag in den Magen. Es könne auch ein Tritt gewesen sein, räumte der Geschädigte ein, nachdem die Richterin seine Polizeiaussage verlas.

Sein Freund, der bei den Vorbereitungen hatte helfen wollen, wusste hingegen noch, worum es ging. Aus etwas Entfernung hätte er mit einem weiteren Freund die Szene beobachtet: Angeklagter und Geschädigter seien an der Wohnungstür gestanden und hätten sich unterhalten. Dann sei der Angeklagte auf den Freund losgegangen, habe ihn festgehalten und geschlagen. Auch der zweite Zeuge will diese Handlungen gesehen haben - allerdings aus einer anderen Perspektive.

"Es hat definitiv keinen Schlag oder Tritt gegeben", widerspricht die Ehefrau des Angeklagten, die sich während des Streits in der Wohnung aufhielt. "Das war einfach eine Abwehrreaktion." Ihrer Aussage nach hatte der Enkel in aggressiver Weise gegen das Fenster ihrer Wohnung geklopft. Bei dem anschließenden Gespräch an der Haustür habe sich der 29-Jährige dann sogar Zugang zu den Räumen des Ehepaars verschaffen wollen: Als ihr Mann versuchte, die Tür zu schließen, soll sein Gegenüber ihm in den Arm gegriffen und zum Straucheln gebracht haben und dann eingetreten sein. Erst daraufhin habe ihr Mann ihn hinausgeschubst und die Tür geschlossen. Dabei soll sich der Angeklagte an der Hand verletzt haben.

Zum Ende der Verhandlung schlug Richterin Hörauf vor, das Verfahren insgesamt einzustellen, da die Verletzungen nicht so gravierend gewesen seien und der Vorfall schon sehr lange zurückliege. Außerdem würde die zu erwartende Ahndung im Hinblick auf eine bereits 2013 ausgesprochene andere Verurteilung nicht wirklich ins Gewicht fallen. Im Gegenzug musste der Angeklagte allerdings bestätigen, von jeglichen Entschädigungsansprüchen in Bezug auf seine Inhaftierung abzusehen.

Nur nach guter Zusprache seiner Verteidigerin stimmte der 64-Jährige letztendlich zu. Denn schon zu Beginn der Verhandlung hatte er betont, welche Schäden er in den vergangenen Wochen genommen habe. "Die Haft ist nicht angenehm für mich", sagte er. Neben Schlaf- sowie Verdauungsstörungen hätten sich seine Herz-Rhythmusstörungen erheblich verschlimmert und seine psychotherapeutische Behandlung gegen Depressionen musste unterbrochen werden. Doch: Wenn er die Verhandlung verliere, erinnerte ihn Richterin Hörauf, bekomme er auch keine Entschädigung. Darüber hinaus sei ein Freispruch wirklich fraglich.

© SZ vom 12.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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