Ebersberg:Viele Stolpersteine

Lesezeit: 3 min

Monika Samii-Pichlmeier überlegt immer zwei Mal, ob sie wirklich den Klosterbaufhof ansteuern soll. (Foto: Christian Endt)

Die Behindertenbeauftragte Monika Samii-Pichlmeier kennt die Probleme in der Stadt Ebersberg aus erster Hand

Von Victor Sattler, Ebersberg

- Wenn es mal wieder dringend ist, lädt sie zum Beratungsgespräch auch nach Hause ein und setzt sich mit ihrem Gast an den Balkontisch. "Die Leute kennen mich halt", sagt die Behindertenbeauftragte Monika Samii-Pichlmeier. "Oft reicht die Zeit nicht, um die monatliche Sprechstunde abzuwarten. Dann sag' ich: Kommen's halt vorbei."

Für diejenigen, die dann halt vorbeikommen, gibt es in Samii-Pichlmeiers Wohnhaus einen Aufzug, den sie benutzen können. Die Beauftragte selbst ist ebenfalls erheblich gehbehindert, kann die Anliegen Betroffener, die sich an sie wenden, also nur zu gut verstehen. 462 Personen in der Stadt sind gehbehindert wie sie, so steht es im Jahresbericht von 2016, 1285 Bürgerinnen und Bürger sind insgesamt von einer Behinderung betroffen. Eines der Hauptanliegen ist daher, die Barrierefreiheit in Ebersberg auszubauen.

Einen Aufzug wie bei Samii-Pichlmeier zu Hause gibt es mittlerweile etwa auch im Alten Speicher. "Wir sind in Ebersberg auf einem guten Weg. Aber nicht mehr hinzuschauen, bedeutet trotzdem Stillstand", sagt sie. Das Augenmerk auf Problemstellen zu richten und diese abzubauen, so definiert sie einen Teil ihres Ehrenamts. Es bestehe ein gutes Einvernehmen mit Bürgermeister Walter Brilmayer (CSU), alle seien sehr bemüht darum, aber "der Wunsch nach Veränderung ist bei den Leuten nach wie vor groß".

Deutlich werde das immer wieder in den Sprechstunden, wenn sie Betroffenen Rede und Antwort steht - zu den Themen Behindertenausweise, situationsgerechter Umbau von Häusern und Autos oder Zuschüsse von den Behörden. "Sie können sich nicht vorstellen, was die Leute mich fragen", lacht Samii-Pichlmeier. "Dinge, die der normale Mensch nicht weiß." Der Einstieg in das Ehrenamt, Anfang 2015, sei ihr leicht gefallen, da sie zuvor das soziale Sachgebiet in Vaterstetten geleitet habe und folglich nahtlos habe weitermachen können. Und obwohl ihr durch ihre eigene Behinderung eine gewisse Nähe zur Problematik von vorneherein gegeben war, warnt Samii-Pichlmeier, man dürfe das alles nicht zu nah an sich rankommen lassen. Seelsorge gäbe es bei ihr nie, es gehe "immer fachlich, immer sachlich" zu in den Sprechstunden. Sie helfe den Betroffenen durch den unübersichtlichen Behördendschungel. Gerade in der vergangenen Zeit - von Juni vergangenen Jahres bis Anfang diesen Jahres, als es im Landratsamt keinen eigenen Behindertenbeauftragten gab - seien umso mehr Fragen und Sorgen von Bürgern, aber auch von den Behörden, auf der kommunalen Ebene gelandet.

"Immer wieder bitten mich Leute um bauliche Abhilfe, zum Beispiel im Theaterhof", sagt Samii-Pichlmeier. Das Kopfsteinpflaster im Innenhof, das von der Städtebauförderung bezuschusst wurde, sei zwar schön anzusehen, aber mit Rollatoren oder Rollstühlen kaum zu überqueren. "Richtige Stolpersteine" seien das, vor allem im Dunkeln. Noch schlimmer werde es im Winter, wenn die kantigen Rillen sich mit Eis füllten und das Pflaster nicht geräumt werde. Für einen glatten Plattenweg im Theaterhof bräuchte es aber nicht nur das nötige Budget. Sondern ganze fünf Institutionen müssten dem Umbau zustimmen: Bürgermeister und Stadtrat, Landratsamt, Städtisches Bauamt, Städtebauförderung und Denkmalschutzamt. Nur ein Teil gehöre nämlich der Stadt, der andere dem Landratsamt.

Samii-Pichlmeier skizziert den Theaterhof auf Papier: Ein Café, eine Musikschule, eine Kunstgalerie, aber auch ein orthopädischer Facharzt liegen hier. Eigentlich ein interessanter Ort, doch bei den gegebenen Herausforderungen müsse sie schon zwei Mal überlegen, ob es die waghalsige Pflasterüberquerung denn wert sei.

Dieses Hadern mit dem Hinkommen kenne sie leider von vielerorts. Der Wunsch, am Abend auszugehen, wird von den Folgefragen überschattet: Ist der Zugang barrierefrei? Und sind es auch die Toiletten? "Man muss selbst nachschauen, davor, und sich erkundigen. Oft ist nicht der Bau das Problem, sondern die bereitgestellten Informationen. Zu den tollen kulturellen Veranstaltungen im Alten Kino kommen ja Leute von weiter her, nicht nur Ebersberger. Die sehen bloß die zwei Treppen, aber den Rampenzugang hinten kennen viel zu wenige. Wenn man Kultur anbietet, sollte sie allen zugänglich sein", ist sie überzeugt. Auch deshalb, um Informationen zu vermitteln, will Samii-Pichlmeier das Wissen über den Online-Dienst "Wheelmap" weiter verbreiten, in dem Daten zur Barrierefreiheit öffentlicher Gebäude und Plätze gesammelt werden.

Und noch ein zweites Projekt könnte bald mehr Bewusstsein in den Köpfen der Ebersberger schaffen: Als Behindertenbeauftragte der Stadt würde Samii-Pichlmeier gern eine Veranstaltung auf die Beine stellen, bei der junge und gesunde Leute in Altersanzüge gesteckt werden, zum Beispiel im Einkaufszentrum. In einem mit Gewichten behängten Outfit herumzuwandern, die Sinne von Brillen und Kopfhörern getrübt - das könne Mitbürger vielleicht noch weiter dafür sensibilisieren, wie schwer sich manche Menschen mit den vermeintlich einfachsten Dingen im Alltag tun.

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: