Ebersberg:Starre Verhältnisse

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Hajo Schneck erklärt im Ebersberger Gemeindesaal, warum Afrika ein verlorener Kontinent ist. (Foto: Hinz-Rosin)

Warum Afrika nicht abhebt, erklärt der Ebersberger Arzt Hajo Schneck bei einem Vortrag

"Und, was ist los mit Afrika?", hatte ihn ein Bekannter nach der Rückkehr von einer seiner vielen Reisen auf den Kontinent salopp gefragt. Das inspirierte Hajo Schneck zu einem Vortrag am Mittwochabend im evangelischen Gemeindezentrum. Der Anästhesist engagiert sich seit Jahren medizinisch in Entwicklungsländern; für sein Engagement erhielt er 2012 die Bayerische Verdienstmedaille. Von vornherein betonte er, es handele sich bei seinem Vortrag über die Ursachen der schwierigen Situation Afrikas um einen "Abgesang" - er sehe die Situation des Kontinents als "ausweglos" an.

Der Titel "Kulturgeschichte der Menschheit in 90 Minuten" beschreibt Schnecks Vortrag fast treffender. Angefangen beim Homo sapiens erklärt er, was schiefgelaufen ist mit der Zivilisation. Wer konkrete Fallbeispiele von politisch instabilen Systemen und fatalen Wirtschaftsmodellen in Einzelstaaten erwartet, wird stattdessen mit eher globalen Theorien gefüttert, die auch auf andere Entwicklungsregionen wie Asien und Südamerika zutreffen. Die sind zwar manchmal von leicht pathetischen Entgleisungen begleitet ("unnachahmlich" sei Schnecks Art, so der Moderator), dennoch aber wissenschaftlich weitgehend nachvollziehbar.

Ganz zu Beginn ist Schneck es wichtig zu betonen, dass der Entwicklungsabstand zu Industrienationen keineswegs körperlich oder genetisch bedingt sei. "Schwarze Haut ist eine Modeerscheinung", erklärt er. "Das hat nichts mit dem Klima zu tun. Schwarze Haut hatte einfach mehr Erfolg bei der Fortpflanzung".

Doch hauptsächlich die biologisch-geographischen Gegebenheiten in Afrika seien ungünstig. So kommen von weltweit 56 züchtbaren Getreidesorten 39 in Eurasien vor, nur 4 sind in Afrika beheimatet. Auch alle züchtbaren Großtiere wie Rind und Pferd haben ihre Heimat in Europa. Erst spät kamen Arten wie die Banane aus Südostasien, die Ansiedlung von Großtieren gelang nicht. In Eurasien dagegen ist die Artenmobilität höher, da entlang der Breitengrade ein ähnliches Klima herrscht. Der Nahe Osten ist das Gegenbeispiel: Die natürlichen Gegebenheiten haben im "Fruchtbaren Halbmond" Ackerbau und Viehzucht begünstigt. Schnell wurde nicht mehr nur für den Eigenbedarf produziert. So kam es zu Handel und Arbeitsteilung, zur Sesshaftwerdung, der Entwicklung von Kultur und vor allem zu Bevölkerungswachstum. Dies sei der Ursprung des Übels von Expansion und Kolonisation. Ein überbevölkertes "Volk ohne Raum" (Schneck ist sich der Konnotation des Begriffs bewusst, hält ihn aber für sachlich treffend) sei letztendlich ein "Volk ohne Essen", das ums Überleben kämpfe.

Die Besiedelung Nordamerikas sei Resultat der Überbevölkerung Großbritanniens. So sei es zum Völkermord an den nordamerikanischen Ureinwohnern gekommen. Nordamerika habe sich als sehr fruchtbar erwiesen, doch die Arbeitskraft zur Bestellung der riesigen Ackerflächen fehlte folglich. In Afrika gab es die, und Rohstoffe obendrein. "Goldküste", "Elfenbeinküste", oder eben "Sklavenküste" nannte man die eingenommenen Gebiete. Das berühmte Handelsdreieck zwischen Nordamerika, Afrika und Europa ward geboren.

Wenig habe sich seitdem geändert, wenn auch die ausgebeuteten Staaten formal die Unabhängigkeit erlangt haben. Noch immer würden "Rohstoffe entnommen und veredelte Produkte zurückverkauft", noch immer ganze Landstriche samt Bevölkerung aufgekauft.

Was kann man also tun für Afrika? "Die Böden sind weg", sagt Schneck, und zeigt auf einer Grafik, dass die nutzbaren Flächen in Afrika im weltweiten Vergleich sehr ausgelaugt sind. Das Bruttoinlandsprodukt ist niedrig, die Kindersterblichkeit hoch, zeigt er weiter, die Landwirtschaft sei kaputt und Entwicklungshilfe schade mehr, als zu helfen. Und: "Keiner will Afrika!" Ohnehin: Auch wenn die Ausbeutung enden würde, sei es schon zu spät. Über die von der Europäischen Kommission beschlossenen Geldmittel zur Bekämpfung von Fluchtursachen kann Schneck nur müde lachen. Was bleibt zu tun? "Man kann ein bisschen was tun für einzelne Menschen", sagt er, "das war ja auch mein Antrieb. Aber im großen Stil lässt sich Afrika nicht ändern." Man könne nur an der Zeitschraube drehen. Und investieren, nicht in Rohstoffe, sondern in"Bildung, Bildung, Bildung".Das leicht entmutigte Publikum konnte mit dieser Aussicht aufatmen.serafine dinkel

© SZ vom 10.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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