Ebersberg:Schauplatz für Entdeckungen

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Von Freitag an zeigt der Berliner Künstler Sladjan Nedeljkovic in der Alten Brennerei in Ebersberg seine Objekte. Er schuf auch das diesjährige Kunstprojekt der Stadt, eine Bühne für alle

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Der Berliner Künstler Sladjan Nedeljkovic hat sich viele Gedanken über das Verb "to cover" und dessen Bedeutungen gemacht. Für seine Wandinstallationen, die von Freitag an in der Alten Brennerei Ebersberg ausgestellt sind, interessierten ihn vor allem die Inhalte verdecken, aber auch aufgreifen, also "covern", und entdecken: "discover".

Die Bedeutungen hat er miteinander verknüpft in der Arbeit "Coverings". Seiten aus deutschen Tageszeitungen - auch der SZ - hat er mit silberner Farbe besprüht, die Fotos mit Folie abgedeckt und diese anschließend wieder entfernt, so dass der Text unsichtbar wurde und nur die Fotos stehen blieben. Seit Jahren sammelt er, "der Zyklus wächst", sagt Nedeljkovic.

Die der Texte beraubten Bilder zeigen Motive aus der globalen Wundertüte mit allem, was die (Medien)-Welt an Bösem und Banalem, Schönem und Schrecklichem zu bieten hat: Landebahnen, Wolkenkratzer, Eisberge, Leid und Luxus, Filmdiven, afghanische Panzer, Covergirls, Flüchtlingsboote, ausgedörrte Äcker. Jedes Bild, ob winzig oder Seiten tragend, steht für sich, ohne Bezug zum ehemals einordnenden Text. "Die Auswahl ist intuitiv", sagt der aus Serbien stammende Künstler. "Die Bilder erzählen verschiedene Geschichten und verweisen auf verschiedene Situationen. Ohne die erklärende Navigation von Text und Layout wirken manche der Fotos verstörend bizarr. Man fragt sich gelegentlich, wie die eine oder andere Aufnahme in die Zeitung gekommen ist, was Werbung und was Nachricht ist.

Ausstellung mit Fahrradverleih: Urbanität und Spiel sind dem Künstler wichtig. Dieses Gefährt samt Picknickdecke kann von Besuchern der Galerie in der Alten Brennerei für einen Ausflug genutzt werden. (Foto: Christian Endt)

Der nicht mehr eindeutig identifizierbare Kontext offenbart neue, auch fantasierte Zusammenhänge. Vergeblich sucht der Betrachter im rätselhaften Nebeneinander der Bilder nach Gemeinsamkeiten, Regeln und Ordnungen. Doch genau diese Erwartung unterwandert Nedeljkovic systematisch. Die gewollte Uneindeutigkeit, so steht es auf der Website des Künstlers, verweise auf die Notwendigkeit eines medialen, kulturellen, individuellen Kontextes von Bildern, weil sie wie niemals zuvor Denken und Fühlen beeinflussen.

Als einziges Schriftelement ist da auch noch ein irgendwann abgedruckter handgeschriebener Brief des Künstlers Gerhard Richter. Der bedankt sich darin für einen privaten Porträtauftrag, bittet aber darum, das gewünschte Bild nicht viermal produzieren zu müssen, was er gründlich leid sei. Auch in diesem Schreiben steckt Stoff für eine Geschichte, die man weiterspinnen könnte. Schaut man übrigens genau hin, entdeckt man unter dem Namen Richter auch die Unterschrift des Kölner Künstlerkollegen Sigmar Polke.

Etwas anbieten, was von allen genutzt werden kann: Sladjan Nedelkjovic vor seiner Bühneninstallation "Arena". (Foto: Christian Endt)

"Mich interessiert, was passiert, wenn Fotos nicht erklärt werden, wenn sie nur für sich sprechen", sagt Nedeljkovic. Er nennt seine Arbeit einen "Weltatlas aus Bildern". Manche Leute reagierten verstört und verblüfft, andere wieder würden Motive mühelos erkennen, etwa den Windhund mit dem rosa gefärbten Bein des französischen Künstlers Pierre Huyghe auf der 13. documenta 2012 in Kassel.

Ein paar der an der Wand fehlenden Textbausteine findet man auf den zehn mit Magnetfarbe besprühten Scheiben des im selben Raum hängenden Mobiles "World in Motion". Die Buchstaben sind aus verschiedenen Zeitungen ausgeschnitten so wie bei einem typischen "Erpresserbrief". Wer gerne scrabbelt, kann aus den Lettern Worte formen - Panama, Security, Snowden, auch dieses interaktive Spiel ein Ausschnitt des Weltgeschehens.

Wenn es um die spielerische Teilhabe des Publikums an seiner Kunst geht, ist Sladjan Nedeljkovic äußerst einfallsreich und offenbart zudem einen feinen Sinn für Humor. So findet man im Foyer ein aus Holzfaserplatten konstruiertes Bücherregal, natürlich nicht in normierter Möbelhaus-Optik, sondern gebaut aus lauter schiefen Ebenen. Die Idee dabei: Besucher der Ausstellung können ein ihnen persönlich wichtiges Buch mitbringen, das dort stehen wird, samt einem Text, der über die Geschichte des Buches und dessen Bedeutung informiert. Um eventuelle Irrtümer auszuschließen: Als Abladeplatz für nicht mehr gebrauchte oder geliebte Drucksachen ist die Installation nicht gedacht.

Das Mobile "World in motion" und die Wandinstallation "Coverings": Weltatlas in Bildern und ein Kunst-Scrabble. (Foto: Christian Endt)

"Partizipatorisch" nennt der Künstler seine verschiedenen Objekte. Dazu zählt auch die handgewebte Picknickdecke samt schnittigem Herrenfahrrad. Besucher, so Nedeljkovic, können beides ausleihen und einen Ausflug machen. Damit die Kunstwerke wieder zurückkehren, werden der Ausweis oder ein anderes Dokument einbehalten. Die Fahrradmiete ist kostenlos. Mehr direkte Teilhabe an der Kunst geht wohl nicht.

Praktische Verwendung fände sicher auch das weiße Tarnnetz ("cover"), mit dem man sich in einer Schneelandschaft unsichtbar machen könnte. Allerdings schützt auch ein Tarnanzug nicht vor den Katastrophen dieser Welt, auf die Nedeljkovic auf an den Rändern angesengten Plakaten aufmerksam macht. Er hat Texte aus Interviews mit Migranten gesammelt und diese in einer zerschlissen wirkenden Schriftart aus dem Internet ausgedruckt. In einem der Texte heißt es: "Ich hätte gern einen gut geschnittenen Anzug, ein weisses Hemd, eine Krawatte, um mich als Mensch zu fühlen." Soll heißen: am gesellschaftlichen Leben partizipieren können.

Genau darum geht es auch bei Nedeljkovics Kunstprojekt der Stadt Ebersberg in diesem Jahr. Auf dem Platz der Ehrenamtlichen zwischen Klosterbauhof und Einkaufszentrum hat er eine dreistufige Arena aus Fichtenholz aufgebaut, die Seitenlängen betragen 4,75 bis 3,75 Meter; ausreichend für allerlei Aktionen, für Konzerte, Lesungen, Vorträge, für Treffen, Theater, Tanz und Traum, eine öffentliche Bühne für jegliche, auch private Kreativität. In gut zwei Metern Höhe ist um den Quader herum eine bunte Lichterkette gespannt, so dass die "Arena" auch Romantikern gefallen wird. Vielleicht eignet sie sich sogar für einen Heiratsantrag.

Die Installation ist umgeben von mit schwerem Sand gefüllten Holzwürfeln in unterschiedlicher Größe, die den künstlerischen Grundgedanken der Ausstellung, "space arrangements", unterstreichen. "Cover" heißt unter anderem auch "erfassen", "miteinbeziehen". Genau das will Nedeljkovic: den Menschen erreichen.

Sladjan Nedeljkovic, geboren 1969 in Serbien, wuchs in der Schweiz auf und lebt in Berlin. Er studierte Bildende Kunst an der Schule für Gestaltung Luzern, der École supérieure d'art visuel Genf und am Goldsmiths College London. Eröffnung seiner Ausstellung mit Installationen, Fotografien, Objekten und Videos ist am Freitag, 28. April, um 19 Uhr in der Alten Brennerei. Der Auftakt zum Kunstprojekt der Stadt Ebersberg beginnt um 18 Uhr. Es spielt zur Eröffnung der Forstinninger Singer-Songwriter Manuel Winhard mit Freunden (bei Regen im Studio an der Rampe). Die "Arena" genannte Bühne wird bis November stehen, die Ausstellung in der Alten Brennerei dauert bis Sonntag, 28. Mai. Um 16 Uhr findet das Künstlergespräch statt. Die Öffnungszeiten sind Freitag, 18 bis 20 Uhr, Samstag und Sonntag von 14 bis 18 Uhr.

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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