Ebersberg:Sanfte Drachen

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Alexandra Vassilikian erzählt in ihren Fotografien alter Bäume von der Suche nach den verborgenen Geheimnissen des Lebens und des Menschseins. Ihre Ausstellung ist in der Ebersberger Rathausgalerie zu sehen

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Schaut man lange genug in die ineinander verschlungenen Sehnen des wie vom Arm eines Riesen zu Boden geschleuderten Wurzelwerks einer Zeder, dann schält sich aus dem totenbleichen Holzklotz auf einmal eine Gestalt heraus. Ein Krokodil, ein urweltlicher Drache? Jedesmal, wenn man hinsieht, verwandelt sich die unheimliche Figur in etwas Neues,

je nach Bildausschnitt, auf den man sich konzentriert.

"Im Herzen des Geheimnisses" lautet der Titel einer an Wundern reichen Fotoausstellung der Malerin und Fotografin Alexandra Vassilikian in der Ebersberger Rathausgalerie. Ihre Motive - Zedern, Platanen, Kiefern, Eichen, aber auch der ausgebleichte Schädel eines Wildtiers und die antiken Pflastersteine einer Römerstraße - findet sie in den Pyrenäen, den Abruzzen, in Frankreich, Portugal, Griechenland und natürlich in Bayern, wo die berühmte Tassilolinde und eine Wurzel im Wald von Klimmach zu ihren Lieblingen zählen.

Alexandra Vassilikian produziert meist analoge, teils auf Infrarotfilm aufgenommene Schwarz-Weiß-Bilder, die sie selbst auf Barytpapier abzieht. Dieses Papier hat die Eigenschaft, cremige Weiß-, samtige Schwarztöne und feinste Ton-Abstufungen zu erzeugen, so dass manche der Fotoarbeiten wirken wie impressionistische Malerei und so die rätselhaft-magische Stimmung der Szenerie verstärken. Häufig erscheint das Laub der Bäume so hell, dass man es nur erahnt. Umso deutlicher und drastischer treten Stämme und Äste mit ihren abertausend Rissen, Löchern und Verdickungen hervor. Andere Baummotive wieder sind von einem intensiven matten Glanz durchsonnt, so wie an einem späten Nachmittag irgendwo am Mittelmeer.

In den gespaltenen Stämmen mit ihren tiefen Wunden und Rissen ergründet die Fotografin das Geheimnis der riesigen Lebewesen, die bis zu tausend Jahre alt sind. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wer einem Geheimnis auf die Spur kommen will, muss sich dem Gegenstand seiner Neugierde ebenso behutsam wie hartnäckig und mit allen Sinnen nähern. Alexandra Vassilikian hat genau das getan. Mit wachem Blick, Empfindsamkeit, Geduld und ihrer Kamera ist sie alten stolzen, aber auch gefällten, zerklüfteten Bäumen so nahe gekommen, dass sie tief ins Innere der Riesen blickte und dem flüchtigen Auge verborgene Schätze entdeckte.

Wer zum Beispiel die tausendjährige Tassilolinde bei Wessobrunn zum ersten Mal sieht, bestaunt ergriffen deren Umfang, bewundert die ausladende Krone. Vassilikian hat sich die Linde aber auch im Detail vorgenommen, sie entblößt. Drei "intime" Fotoarbeiten hat sie ihr gewidmet und dabei in Abgründe und Höhlungen geschaut. Da Lebewesen im Zuge des Alterns nun mal Risse, Brüche und Wunden erleiden, entdeckt das wachsame Auge auch hier verborgene Bilder und Gestalten, mag sein, dass es ein Pferdekopf ist, vielleicht aber auch wieder etwas Drachenartiges.

Fasziniert war Vassilikian offenbar auch von der 800 Jahre alten Saint-Jean-Eiche im Forêt de Compiègne in Frankreich. Die Eiche, ein Symbol der Treue und Standhaftigkeit, wirkt auf den nachtdunklen Bildern gespenstisch und unheimlich. Ihr Stamm ist gespalten, vom Blitz oder von Altersschwäche, in der schwarzen Tiefe lauern Dämonen der Nacht. Ganz anders die griechische Platane, die mit ihren feinen Blattfingern, Wunden und Verwachsungen noch ganz erfüllt ist von Sonnenlicht.

Aus der Begegnung mit einem Wurzelstrunk im Wald von Klimmach bei Schwabmünchen, wo Vassilikian wohnt, wenn sie nicht gerade in Paris ist, wurde eine über zwölf Jahre währende Serie. Immer wieder zog es die Künstlerin hin zu der Stelle, an der der Baum gefällt worden war. Immer wieder fixierte sie das Gesehene schriftlich: "Das Geflecht der Wurzeln hält gelbe Erde fest, roh, rissig, bräunlich rosa Fleisch zermalmten Holzes", schrieb sie 2003. Vassilikian nannte den Ballen "ans Licht gehobene Eingeweide, die noch vor wenigen Monaten in der Erdnacht verborgen waren."

Die Eingeweide der Bäume und jener Wurzel, die sie immer wieder fotografiert, erzählen von Verwandlung, vom langsamen Sterben, vom Kampf fremdartiger Ungeheuer, vom Moosgeist mit Hörnern und in die Höhe gereckten Armen. Sie erzählen aber vor allem von einem schöpferischen Geist, der zu ergründen versucht, was in und hinter den Erscheinungen der Welt verborgen ist, was im Erdboden, auf dem wir leben, in den Wurzeln des Menschseins steckt. Dort, wo Dinge schlummern, die uns berühren und staunen lassen, aber auch Erkenntnisse, die wir nicht genauer betrachten wollen. Für all das, für seelische Abgründe und Ängste, Schönheit und Hoffnung, sind diese alten Bäume Sinnbild und Trost.

Die Ausstellung "Im Herzen des Geheimnisses" mit Fotoarbeiten von Alexandra Vassilikian ist bis Freitag, 28. Juli, zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Donnerstag 7 bis 17 Uhr, Freitag 7 bis 12 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung unter der Nummer (08092) 232 96 60, Mail: a.berberich@ebersberg.de. Sonderführungen nach Vereinbarung.

© SZ vom 24.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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