Ebersberg:Rituale schaffen

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Vortrag über verantwortungsvollen Umgang im Familienkonflikt

Von Christina Seipel, Ebersberg

Als die Haustürklingel schrill ertönt, erschrecken sich Mutter und Kinder gleichermaßen. "Mama, bleib ganz ruhig, ich rede mit Papa. Lass mich das machen", beruhigt die zehnjährige Tochter ihre psychisch kranke Mutter. Aus Sehnsucht nach ihren Kindern war die Frau unangekündigt in die Wohnung ihres ehemaligen Partners gekommen. Als der Vater, der sich alleine um die Kinder kümmert, den unerbetenen Gast sieht, fängt er lauthals zu schreien an: "Raus, verschwinde!"

Er packt die Mutter seiner Kinder, die am Boden kauert, grob an den Armen und schleift sie zur Tür. "Papa, du sollst nicht immer so böse zu ihr sein", interveniert die Tochter. Dabei wirken sie und ihr jüngerer Bruder bedrückt und routiniert zugleich.

Wie schnell Situationen zwischen ehemaligen Paaren im Streit um das Sorge- und Umgangsrecht vor den eigenen Kindern eskalieren können, hat der Sozialarbeiter, Therapeut und Autor des Buches "Posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen" Alexander Korittko in seiner Arbeit oft erfahren müssen. Mit dieser anschaulichen Szene aus einem Spielfilm wollte er zeigen, wie Schlüsselreize, sogenannte Trigger, bestimmte Verhaltensweisen immer wieder hervorrufen. "Man merkt sofort, die Kinder im Film haben so etwas häufiger erlebt."

Sein Vortrag zum Thema "Umgang um jeden Preis" befasste sich mit den Auswirkungen häuslicher Gewalt auf Kinder und damit, wie Umgangskontakte für alle Beteiligten positiv gestaltet werden können. Die Veranstaltung fand anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Arbeitskreises "Ebersberger Modell für verantwortungsvolle Elternschaft" statt.

In dem Arbeitskreis arbeiten Amtsgericht, Jugendamt, Rechtsanwälte, Therapeuten, Verfahrensbeistände, Mediatoren und Umgangspfleger in Trennungs- und Scheidungssituationen zum Wohl der betroffenen Kinder zusammen. Über ihren Austausch entwickeln sie Konzepte, wie die betroffenen Familien fachübergreifend unterstützt werden können. Das gemeinsame Ziel: Kinder in Konfliktlagen zu entlasten.

Im Grußwort lobte Christian Berg, Direktor des Amtsgerichts Ebersberg, die Pionierarbeit des Gerichts, das sich 2006 als erstes Amtsgericht in Bayern einer fachübergreifenden Zusammenarbeit in Familienkonflikten angeschlossen hatte. Aus Erfahrung weiß Berg, wie schwer es für Richter alleine ist, Eltern davon abzubringen, schmutzige Wäsche zu waschen und sich auf das Kindeswohl zu konzentrieren. Diese Erfahrung teilt auch Alexander Korittko: "Es kommt bei manchen Eltern irgendwann nicht mehr darauf an, etwas zu erreichen, sondern den anderen mehr zu schädigen als man selbst geschädigt worden ist." Der Grundgedanke des Ebersberger Modells sei, wie Berg in seiner Rede betonte, "sich auf das Wesentliche zu fokussieren und eine zukunftsgerichtete Lösung für alle Parteien zu finden."

Rund 60 Zuhörer aus den verschiedenen Fachbereichen waren in den Bürgersaal "Unterm First" im Ebersberger Klosterbauhof gekommen, um sich Anregungen für ihre Arbeit zu holen. Ein Patentrezept habe er nicht parat, wie Referent Alexander Korittko zugab. Er riet, sich zunächst ein umfassendes Bild von der jeweiligen Familiensituation zu verschaffen. Wie reagiert ein Kind vor, während und nach dem Kontakt mit Mutter und Vater?

Wichtig sei, Rituale und Strukturen zu schaffen, in dem sich das Kind geborgen fühlt. Hilfreich sei manchmal auch, wenn der gewalttätige Elternteil das Kind um Verzeihung bitte, wie Korittko anhand eines Beispiels verdeutlichte. Eine Mutter hatte ihren zehnjährigen Sohn damit betraut, in ihrer Abwesenheit auf die jüngeren Geschwister aufzupassen. Als sie nach mehreren Tagen zurückkehrte, war der eineinhalbjährige Sohn tot. Den ältesten Bruder plagten große Vorwürfe. "Er war völlig durch den Wind", wie Korittko berichtete. Erst als die Mutter zugab, dass sie durch ihre Abwesenheit für den Tod des Kleinkindes verantwortlich war, ging es dem Zehnjährigen wieder besser. "Wenn Eltern die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, begegnen Kinder ihnen mit Hochachtung und Respekt", erläuterte Korittko.

Im therapeutischen Bereich würden sich das Erzählen von Kinder-Traumageschichten und Sandspiele positiv auf traumatisierte Kinder auswirken. Letztlich seien die Umgangsbegleiter, die Treffen mit einem gewalttätigen Elternteil betreuen, in der Pflicht. Korittko riet, dem Kind während des Umgangs auch körperlich nah zu sein, etwa ihre Hand zu halten. Denn: "Das Wort alleine hilft Kindern nicht. Sie brauchen Menschen."

© SZ vom 14.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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