Ebersberg:Plötzlich ist die Million weg

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Wird ein Unternehmen international tätig oder erwirtschaftet weniger Gewinn, bricht für Gemeinden mit der Gewerbesteuer eine wichtige Geldquelle ein. Manche Kommune im Landkreis hat das schon in Nöte gebracht

Von Isabel Meixner

Millionbeträge, die von einem auf das nächste Jahr plötzlich wegbrechen? Für Kommunen ist dieses Szenario zwar höchst ärgerlich, aber nicht ungewöhnlich. Ein Großteil ihres Budgets fußt auf den Gewerbesteuern, die in guten Zeiten viel Geld in die Gemeindekassen spülen - in schlechten Zeiten die Gemeinde aber vor große Herausforderungen stellen kann. Während der Weltwirtschaftskrise 2008 etwa: Eine kleine Gemeinde wie Anzing erhielt plötzlich die Hälfte weniger an Gewerbesteuereinnahmen als im Vorjahr, statt 1,65 Millionen nur noch 800 000 Euro, Vaterstettens Anteil fiel bis 2011 um 2,5 Millionen auf 6,5 Millionen Euro. In Poing rechnete man damit, infolge der Krise bis 2013 sechs Millionen Euro weniger einzunehmen.

Doch nicht nur Finanzkrisen machen die Gewerbesteuereinnahmen, die für die meisten Kommunen die zweitwichtigste Einnahmequelle sind, zu einer unberechenbaren Größe: Wird ein ortsansässiges Unternehmen aufgekauft oder international tätig, kann die Gewerbesteuer bei diesen Firmen von einem Tag auf den anderen wegbrechen.

Markt Schwaben ist das in den vergangenen drei Jahren gleich drei Mal passiert. Die Gewerbesteuer ist mit derzeit rund fünf Millionen Euro jährlich nach dem Einkommenssteueranteil von 8,5 Millionen die wichtigste Einnahmequelle. Für die Gemeinde, die finanziell ohnehin ums Überleben kämpft, ein echtes Problem, sie muss das Geld an anderer Seite sparen - oder Beiträge und andere Steuern anheben. Auch können die Einnahmen sinken, wenn ein erfolgreiches Unternehmen erweitert und die Investitionskosten auf Jahre abschreibt. Vor diesem Hintergrund antwortet Bürgermeister Georg Hohmann auf die Frage, ob er eine Zwangsverwaltung Markt Schwabens fürchte, auch nicht klar mit Ja oder Nein, sondern sagt: Er mache sich darüber so lange keine Gedanken, solange die Gewerbesteuereinnahmen stabil sind. Aber weil er weiß, dass er da genauso gut auch Tarotkarten legen könnte, will er im Landtag und Bundestag unter anderem darauf drängen, dass die Gewerbesteuer in ihrer jetzigen Form geändert wird. So sollen internationale Firmen nach Hohmanns Vorstellung in jedem Fall einen Teil ihres Gewinns am jeweiligen Standort versteuern und nicht erst mit Verlusten von anderen Standorten verrechnen können. Indem sie die gesamte Infrastruktur stellt, trage die Kommune ja auch ihren Teil dazu bei, dass ein Unternehmen Gewinn machen kann, argumentiert Hohmann.

Georg Hohmann findet, dass multinationale Firmen einen Teil ihres Ertrags auf jeden Fall am jeweiligen Standort versteuern sollen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Beim SPD-Bundestagsabgeordneten Ewald Schurer stößt er damit auf offene Ohren: "Das würde ich sofort unterschreiben." Steuern sollten da gezahlt werden, wo die Wertschöpfung ist, findet Schurer: "Das wäre eine klare Gerechtigkeit." Es gebe mittlerweile zahlreiche Rechtsanwaltskanzleien, die den Profit der Unternehmen optimieren und die Betriebe beraten, wo sie Gewerbesteuer zahlen und wo nicht, sagt Schurer: "Die Politik hat dafür noch keine Lösung gefunden."

Er erinnert an das Beispiel des Brillenherstellers Rodenstock: Ende der Achtzigerjahre zog dieser sein Werk von Ebersberg nach Malta ab. Hunderte Arbeitsplätze gingen verloren, und der Stadt Ebersberg brach die Hälfte der Gewerbesteuer ohne Vorwarnung weg. Firmen könne man nicht vorschreiben, wo sie ihren Hauptsitz hinverlegen sollen, sagt Schurer. Dass Unternehmen allerdings am Standort pauschal einen gewissen Prozentsatz des dort erwirtschafteten Gewinns versteuern müssen und nicht mit Verlusten von anderen Sitzen verrechnen, gebe die Rechtsordnung derzeit nicht her.

Ähnlich sieht das CSU-Bundestagsabgeordneter Andreas Lenz: "Die Steuerschlupflöcher finde ich unsäglich." Für ihn gehört das Problem nicht nur national, sondern auch auf europäischer Ebene angegangen. "Da passiert auch etwas", sagt Lenz und verweist darauf, dass zum Beispiel im Herbst ein Vorschlag der OECD beschlossen werden soll, der 15 Aktionen gegen legale Steuervermeidung in multinationalen Unternehmen enthält. Gewinne zu verlagern soll dann nicht mehr so leicht möglich sein. Auch Landrat Robert Niedergesäß (CSU) kennt das Problem der unkalkulierbaren Gewerbesteuer noch aus seiner Zeit als Vaterstettener Bürgermeister. Er spricht von "Lücken in der Bundespolitik", die es Unternehmen ermöglichen, keine Gewerbesteuer an den Standorten zu zahlen. Das Anliegen von Bürgermeister Hohmann "kann ich voll unterstützen".

In anderen Gemeinden wirkt man bei dem Thema vorsichtig. Kirchseeons Bürgermeister Udo Ockel (CSU) etwa sagt, ihm sei eine unsichere Einnahmequelle lieber als keine. Hintergrund dieser Äußerung ist, dass die FDP in der schwarz-gelben Koalition versuchte, die Gewerbesteuer komplett abzuschaffen (siehe Infokasten). Ähnlich äußert sich Markus Porombka, Kämmerer der Gemeinde Vaterstetten: "Die Frage ist: Was ist die Alternative?" Würde auf die Gewerbesteuer, die in Vaterstetten derzeit mit 7,5 Millionen Euro jährlich zu Buche schlägt, verzichtet und die Kommunen stattdessen einen Zuschlag bei der Einkommensteuer erhalten, würden Privatpersonen mehr belastet.

Aber auch Porombka bestätigt, dass mit der Gewerbesteuer sehr schwer zu kalkulieren sei: 2013 sei der Betrag massiv eingebrochen, weil die Gemeinde Geld an Firmen zurückzahlen musste; im Jahr darauf sei dann die Gegenbewegung gekommen. Man müsse seine Unternehmen im Ort sehr gut kennen und wissen, ob sie konjunkturanfällig sind oder nicht, sagt Porombka: "Es ist immer eine gewisse Vorsicht gefragt."

© SZ vom 25.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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