Ebersberg:Pilger und Pranger

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Wirtin Regina Reis, alias Roswitha Hülser, erzählt im Rathaus, wie es vor etwa 350 Jahren in Ebersberg war, und zaubert. (Foto: Christian Endt)

Die "Zaubertour durch Ebersberg", eine Stadtführung der VHS, begeistert mit viel historischer Information, humorvollen Anekdoten und magischen Tricks. Roswitha Hülser gibt dabei die Wirtin der "Unteren Hoftaverne"

Von Friedhelm Buchenhorst, Ebersberg

Geschichte hat erfreulicherweise Konjunktur. Davon zeugen beispielsweise Mittelaltermärkte, Ritterspiele, die Aufführungen zur Landshuter Hochzeit und ein einschlägiger, reich bestückter Büchermarkt. Möglichst lebendig und bewusst in die Vergangenheit einzutauchen ist offenbar nicht weniger reizvoll, als mit lockerem Geldbeutel durch ein Shoppingparadies zu flanieren oder seine Zeit im Netz zu verbringen.

In Ebersberg können geschichtsinteressierte Menschen nun gut 350 Jahre zurückgehen, in die Zeit kurz nach dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg. Und zwar mit einer "Zaubertour", einer besonderen Stadtführung, die die VHS anbietet. Ebersberg war damals eine gute Tagesreise östlich von München gelegen und bestand aus den von den Jesuiten genutzten Klostergebäuden, einer Handvoll Gehöften, ein paar wenigen Bürgerhäusern rund um den Marienplatz und der "Unteren Hoftaverne", die man heute als Rathaus kennt. Ansonsten gab es viel Vieh, Dreck und Gestank, aber freilich auch wesentlich mehr Ruhe als heutzutage. Davon erzählt die vielseitig engagierte Ebersbergerin Roswitha Hülser in Gestalt von Regina Reis, der damaligen Wirtin des Gasthauses. In zeitgenössischer Tracht steht sie vor den etwa 20 Teilnehmern der "Zaubertour durch Ebersberg". Als selbstbewusste und auch reichste Ebersbergerin erlaubt sich Reis, "Samt und Seide" in Rot und Schwarz zu tragen, obwohl dies eigentlich nur dem Adel vorbehalten ist. Immerhin steigen in ihrer Unterkunft nur die "höheren Pilger" ab, da darf man schon auch zeigen, dass man wer ist, und dass man es zu was gebracht hat.

Ebersberg hat zu dieser Zeit etwa 400 Einwohner, die Zahl der Pilger, die aus dem gesamten süddeutschen Raum her kommen und zum Schutz vor der Pest aus der Hirnschale des heiligen Sebastian Wein trinken wollen, geht aber oft weit darüber hinaus. Mit Blick auf die Häuser rundum erfahren die Teilnehmer interessante Details aus dem damaligen Leben: Im Wirtshaus der "Bierzäpflerin" Barbara Khyrmair etwa, in dem sich heute eine Versicherungsvertretung befindet, kehren die "einfachen Leute" ein. Nach den unausbleiblichen Raufereien kommen die Urheber zum oft derben Gespött der Passanten an den Pranger und die Frauen in die "Schandgeige", ein Holzrahmen zur Fixierung von Hals und Fäusten zum Zweck der Beruhigung und Selbstreflexion. Beim Welschkramer, wo heute ein Nachhilfestudio untergebracht ist, können die Pilger alles für den täglichen Bedarf kaufen, also etwa Räucherwerk, Heilsteine gegen Krampfadern und selbstverständlich auch guten Schnaps.

Übrigens wurde damals schon viel und kräftig gezaubert - und so führt Regina Reis zur Verblüffung der Umstehenden allerlei Tricks vor: Ein Geldschein verschwindet und taucht an anderer Stelle wieder auf, ein zerschnittener Faden ist plötzlich wieder ganz, diverse Kartentricks. Leider erklärt die geschickte Zauberin nicht, wie die Manipulationen funktionieren, aber intuitiv verstehen die Zuschauer, warum die Hofwirtin so reich ist.

Die Gruppe geht jetzt vom Klostergelände aus ein Stück die Jesuitengasse hinunter, den alten, auch heute noch als beschauliche Allee erhaltenen Pilgerweg. Deutlich sieht man vor dem inneren Auge die bunten, oft aus Mühldorf, Simbach und Braunau ankommenden Pilgerströme bei Glockengeläut singend Fahnen, Kreuze und große brennende Kerzen vor sich her tragend die Jesuitengasse hinaufziehen. Regina Reis muss denn auch gleich vorübergehend verschwinden, um die Vornehmen unter den Reisenden in der Unteren Hoftaverne angemessen unterzubringen.

Unterstützt wird Regina Reis alias Roswitha Hülser von dem in Ebersberger Diensten stehenden Historiker und Journalisten Thomas Warg, der mit pädagogischem Geschick allerlei wahre und spannende Geschichten zu erzählen weiß. So auch die, dass irgendwo in den vielen Fluchtgängen unter Ebersberg, möglicherweise auch unter dem Finanzamt, aus der Zeit der Klosterauflösung Ende des 18. Jahrhunderts noch eine Kiste voller Gold eingemauert ist...

Nach zwei Stunden ausgesprochen informativer und humorvoller Führung und mit entsprechend historisch geschärftem Blick können die Gäste beschenkt mit einem kleinen Zauberstein von Regina Reis in der Tasche wieder ihrer Wege gehen.

© SZ vom 05.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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