Ebersberg:Paradies Erinnerung

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Die Sozialpädagogin Martina Kasper nimmt ihre Seminarteilnehmer mit in deren eigene Vergangenheit. (Foto: Hinz-Rosin)

Biografiearbeit soll das Lebensgefühl der Kranken verbessern

Von Julian Schneider, Ebersberg

"Die Erinnerung ist ein Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können " - es sei denn, die Erinnerungsfähigkeit ist gestört. In der Arbeit mit Demenzkranken kommt der Erinnerung eine besondere Bedeutung zu. Die Diplom-Sozialpädagogin Martina Kasper hat im Katholischen Kreisbildungswerk in Ebersberg verschiedene Methoden vorgestellt, mit denen Demenzkranken dabei geholfen werden kann, zumindest Teile ihrer Erinnerung zu behalten.

In einer Diskussionsrunde mit sechs Pflegebetreuern, einer Patientin in einem frühen Stadium der Erkrankung sowie drei Interessierten wurden in zahlreichen Rollenspielen die Methoden dargestellt. Martina Kasper erzählte von einem Fall aus ihrem Bekanntenkreis, der sie bereits mit der Krankheit in Berührung gebracht hat. "Vor 25 Jahren war die Demenz jedoch noch fast unbekannt, so dass niemand wusste, wie man damit umgehen muss und alle Beteiligten zumeist überfordert mit dem Thema waren ", so Kasper. Daraufhin habe sie beschlossen, sich intensiver zu informieren und dieses Wissen an andere weiterzugeben.

Im Mittelpunkt des vierstündigen Treffens standen die Bedeutung und Anwendung von Biografiearbeit sowie die Erinnerung an den Alltag. Eine von vielen Gruppenarbeiten, bei der jeder erzählen sollte, was ihm zu Begriffen wie Urlaub, Schule oder erstes Rendezvous einfällt, zeigte, dass positive Erinnerungen an die Vergangenheit positive Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Gegenwart und der Zukunft haben können. Zum Stichwort Schule berichtet eine Beteiligte: "Das war eine sehr schwere Zeit, da wir uns mitten im Krieg befanden ". Ihre Gesprächspartnerin dagegen hatte diese Phase ganz anders erlebt, sie sprach von einer sehr schönen Schulzeit. Für Demenzkranke, so der Kommentar der Sozialpädagogin sei vor allem die Erfahrung wichtig, dass sie es Bezugspersonen gibt, mit denen sie ihre Erinnerungen austauschen können, um die schönen Erlebnisse der Vergangenheit noch einmal zu erleben. Die Erinnerungsarbeit berge aber auch Gefahren, da sich viele Patienten nicht gerne an die schweren Zeiten wie den Krieg zurückerinnern. "Negative Erinnerungen können zu kompletter Verschlossenheit führen", erklärt Kasper. Um so wichtiger, seien die Erinnerungen an schöne Erlebnisse in der Vergangenheit, um daraus ein positives Lebensgefühl für die Zukunft zu ziehen.

Beim Biografieren sei die Kommunikation entscheidend, um emotionale Bindungen mit den Patienten aufzubauen und um herauszufinden, was die Person gerne unternommen hat. Es werden dabei Fotos und Schlüsselbegriffe intensiv betrachtet, um verborgene Erinnerungen wieder zu erwecken. Dies hilft den Patienten, die ihnen verbleibende Zeit, in der sie sich noch bruchstückhaft an Vergangenes erinnern können, noch einmal zu genießen. "Die Zeit, in der sie sich noch an etwas erinnern, kann bis zu sieben Jahren betragen", erzählt Kasper. Durch das Biografieren wird Vergangenes neu geordnet, bewertet, wieder belebt und letztendlich verarbeitet. So wurde "die Schulzeit noch einmal durchgelebt im Kopf" berichteten die Beteiligten. Durch die "schönen" Erinnerungstücke finden bei Demenzkranken kognitive, emotionale und soziale Veränderungen statt, die das Langzeitgedächtnis stärken und ihnen helfen, wieder eine eigene Identität aufzubauen. Am Wichtisten für die Angehörigen ist es, "einfach für die an Erkrankten da zu sein", sagt Kasper.

© SZ vom 19.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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