Ebersberg:Ohne Pulle

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Früher galt Uli Borowka als "die Axt" auf dem Platz. Nach 16 Jahren als trockener Alkoholiker pflegt er die leisen aber eindringlichen Töne. Im Alten Speicher warnt er seine Zuhörer vor der Gesellschaftsdroge. (Foto: Christian Endt)

Der Ex-Profifußballer Uli Borowka war schwer alkoholabhängig. Seit 16 Jahren ist er trocken. Auf Einladung der Caritas-Suchtambulanz berichtet er im Alten Speicher schonungslos über seine Sucht

Von Johannes Hirschlach, Ebersberg

"Fast jeder hat in der Verwandtschaft oder im Freundeskreis ein oder zwei Suchtkranke", sagt Uli Borowka. Er weiß, wovon er spricht. Der heute 54-Jährige war 16 Jahre lang Alkoholiker, sagt er. Ebenso lang war seine Profikarriere als Fußballer während der achtziger und neunziger Jahre. 388 Mal lief der Abwehrspieler für Borussia Mönchengladbach und Werder Bremen in der Fußballbundesliga auf, war zweimal Deutscher Meister, ebenso oft DFB-Pokalsieger, einmal holte er mit Bremen den Europapokal, spielte 1988 für die deutsche Nationalmannschaft. Seit 16 Jahren ist er trocken.

Auf Einladung der Caritas Fachambulanz für Suchterkrankungen war "die Axt", wie er seinerzeit wegen seines rauen Spielstils genannt wurde, nun zu einer Lesung in den Alten Speicher nach Ebersberg gekommen. Vor vier Jahren hatte Borowka ein brisantes Buch über seine Zeit als Profifußballer und Trinker veröffentlicht. Wirklich viel lesen wollte er am Donnerstagabend vor zahlreich erschienen Zuhörern jedoch nicht. Vielmehr überließ er es diesen, den Verlauf des Abends zu gestalten. "Ich beantworte jede Frage", sagte er. Er wolle lieber von seinen Erlebnissen erzählen, anstelle sich an den Kapiteln von "Volle Pulle" entlangzuhangeln.

Borowka, legeres T-Shirt, Lederjacke, Jeans, die lichter werdenden dunkelblonden Haare wie zufällig über die Stirn gebürstet, hatte viel zu erzählen. Leistungsträger sei er gewesen bei Werder Bremen, eines seiner Lieblingsworte an diesem Abend. Und als ein solcher könne man sich in einer Leistungsgesellschaft alles erlauben. "Alle haben gewusst, ich war ein Säufer". Die Mannschaft, der Trainerstab habe das mitgetragen. Otto Rehhagel, zu jener Zeit Werder-Coach, habe einen Filmriss Borowkas mit einer fiktiven Magen-Darm-Grippe entschuldigt. "Co-abhängig", nennt Borowka das, "weil er mich geschützt hat". Das Publikum lauschte gebannt, wenn er von dramatischen Augenblicken seines Lebens erzählte, ging zuweilen ein Stöhnen durch die Reihen. Trotzdem legten die Zuhörer keine Scheu an den Tag, stellten ihm persönliche Fragen. Was zu seiner Sucht geführt habe? Wie er mit seinen Kindern umgegangen sei? Schonungslos ehrliche Antworten, die der Ex-Fußballer lieferte. "Es war brutal."

Und dann las er doch noch vor; das Eröffnungskapitel seines Buchs. Darin erzählt er von einem Erlebnis aus dem Jahr 1996: Psychisch am Ende, "einen Kasten Bier und vier Flaschen Wein gesoffen". Mit einem Tablettencocktail habe er sich das Leben nehmen wollen. Der Selbstmordversuch scheiterte, er wachte nach 14 Stunden Bewusstlosigkeit wieder auf. "Ich hab' die Bilder immer noch vor Augen." Zwei Stunden lang habe ihn danach das schlechte Gewissen geplagt, "dann habe ich mir die nächste Flasche geholt". Nach vier weiteren Jahren der Selbstzerstörung habe er auf Freunde gehört und sich in eine Suchtklinik begeben. Seitdem sei er trocken. Jetzt tourt der frühere Profisportler durch Deutschland, um sich für Suchtberatungen, wie die der Caritas, einzusetzen.

"Ich bin nicht hergekommen, um irgendetwas zu verbieten", sagte er. Alkohol sei Kulturgut in Deutschland. Er begegne ihm überall, selbst in Milchschnitten. Und natürlich ließ sich selbst an diesem Abend das ein oder andere Weizen- oder Weinglas auf den Tischen der Zuhörer entdecken. Aber, sagte er - und hielt damit der Zuhörerschaft den Spiegel vor - "auf Partys und in Gesellschaft muss ich mich rechtfertigen in unserem Land, warum ich keinen Alkohol trinke". Wofür er nachdenkliches Schweigen im Saal erntete. Bei einer Veranstaltung habe ihm einmal jemand heimlich Wodka in die Limo gekippt, dann habe derjenige gelacht. "Seitdem geb' ich mein Glas nicht mehr aus der Hand", gestand er, beugte sich dabei weit über das Lesepult zum Publikum hinüber.

Mit viel Nachdruck vertrat Borowka sein Anliegen. Er, der in 16 Jahren Abhängigkeit Hilfe kategorisch verweigert habe - einen Fußballkollegen habe er nach einem Hilfsangebot auf dem Platz zusammengetreten - wolle nun selbst helfen, sagte er. Dabei komme ihm der starke Wille zugute, der ihm schon bei seiner Karriere genutzt habe, um trotz der Alkoholexzesse immer "volle Leistung" auf den Platz zu bringen. Zum Abschied gab er seinen Zuhörern einen Rat mit: "Wenn man jemanden lieb hat, sollte man ihn auch ansprechen, dass er ein Problem hat".

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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