Ebersberg:Mit Geduld und Fingerspitzengefühl

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Wenn die Tasten einer Klarinette klappern, das Holz rissig ist oder die Polster hart sind, greift Sophia Gell ein: Manchmal ist es Millimeterarbeit. (Foto: Christian Endt)

Als Holzblasinstrumentenmacherin verbindet Sophia Gell aus Markt Schwaben filigranes Handwerk und die Leidenschaft für Musik

Von Jessica Morof

So winzig ist die silberne Schraube, dass sie zuerst gar nicht als eine zu erkennen ist. Trotzdem hält sie die Stange und die Klappe am Oberstück der Klarinette zusammen. Noch. Denn schon greift Sophia Gell nach einem ebenfalls sehr winzigen Schraubenzieher und dreht die Schraube mit schnellen Bewegungen Stück für Stück aus dem Gewinde. Sekunden später hält die Holzblasinstrumentenmacherin das runde Stück aus Neusilber zwischen den Fingern. "In meinem Beruf braucht man Fingerspitzengefühl", sagt sie lachend. "Und sehr, sehr viel Geduld." Kein Wunder, bei all den Klappen, Tasten und Stangen, die an Klarinetten, Saxofonen und Oboen befestigt sind.

Dass die 24-jährige Markt Schwabenerin die erforderlichen Eigenschaften für diesen Job mitbringt, hat sie unlängst bewiesen: Nach drei Jahren hat Gell ihre Ausbildung zur Holzblasinstrumentenmacherin erfolgreich beendet - als Siegerin des Leistungswettbewerbs des Deutschen Handwerks auf Kammerebene sowie landesweit. Zugegebenermaßen war sie in diesem Jahr bayernweit die einzige Auszubildende in diesem Beruf. Doch bald wird sie auch im Leistungswettbewerb auf Bundesebene zeigen, was sie kann.

"Ich wusste schon immer, dass ich nicht ins Büro mag und hatte den Traum, mit Musik Geld zu verdienen." So begründet die junge Frau ihre Berufswahl heute. Mit dem Handwerk an sich hatte sie als Jugendliche wenig am Hut, umso mehr dafür mit der Musik: Mit sechs hat sie begonnen, Blockflöte zu spielen; als sie zwölf war, wechselte sie zur Klarinette. Sie spielte in der Kirche, begleitete den Jugendchor und war Teil des klassischen Orchesters in Glonn. Vom Musizieren war sie so begeistert, dass sie es nach der Fachoberschule studieren wollte. Doch an der Musikhochschule bekam sie keinen Studienplatz. So entschied sich Gell für die Berufsfachschule für Musik in Altötting, wo sie Klarinetten- und Klavierunterricht bekam sowie an Kursen für Musiktheorie und Gehörbildung teilnahm.

Ein Glück, wie sich im Nachhinein herausstellt. Denn die zwei Jahre Schulzeit gaben Gell einen ersten Schubser in Richtung ihres heutigen Berufs: Ein Lehrer brachte sie auf die Idee, Instrumente nicht nur zu spielen, sondern auch selbst zu bauen. So begann die junge Frau die Ausbildung zur Holzblasinstrumentenmacherin beim Betrieb "Chiara Oboe" von Hubert Schmid in Peiting. Es ist eine der wenigen Werkstätten Deutschlands, die alle Arten von Holzblasinstrumenten bauen und reparieren. Dort wird Gell auch das erste Jahr als Gesellin weiterarbeiten.

"Es ist ein Hobby, das zum Beruf geworden ist", erklärt die Markt Schwabenerin ihre Faszination für das Bauen von Blasinstrumenten. Für sie verbindet es handfeste Arbeit mit ihrer Leidenschaft. Denn "ohne Musikalität geht es nicht". Wenn Kunden ihre Instrumente zum Reparieren und Instandsetzen bringen, muss Gell diese zuerst einmal spielen, um herauszufinden, was kaputt ist: Harte Polster, angelaufene Mechanik, rissige Tonlöcher - die Fehlerquellen an Klarinetten und Oboen sind vielfältig. "Es geht bei uns um Hundertstelmillimeter", betont die Handwerkerin. Insofern ist ihr Können an der Klarinette bei der Arbeit eine große Hilfe, denn Klarinette, Oboe, Saxofon und Co. sind sich in der Handhabung sehr ähnlich. "Und wenn man weiß, wie man ein Instrument baut, kann man es auch spielen", sagt Gell. Natürlich keine schwierigen Stücke vom Blatt, aber immerhin Tonleitern oder einfache Tonfolgen.

Andererseits hat sich die handwerkliche Arbeit auch auf Gells Spielweise ausgewirkt: Ihr Gefühl für die Mechanik habe sich verändert, erklärt sie. "Man spielt anders, weil man weiß, wo man hinlangen kann." Die Leidenschaft fürs Musizieren ist freilich geblieben: Die Klarinettistin tritt weiterhin in Kirche und mit Orchestern auf. Allerdings wohl bald mit einer Eigenanfertigung. Denn seit Sophia Gell mit der Ausbildung begonnen hat, baut sie an einer Klarinette für sich selbst: Sie hat aus Holzkanteln Ober- und Unterstück gedrechselt, die Löcher eingepasst und mit dem Gestänge begonnen. Jede Klappe fertigt die 24-Jährige selbst aus Neusilber an; jede Taste feilt sie von Hand in die spezielle Tränenform und poliert sie glatt. Das kostet Zeit: "300 bis 400 Arbeitsstunden dauert es insgesamt, um eine neue Klarinette von Grund auf zu bauen." Es ist ein Herzensprojekt, das bei Gell neben der Arbeit herläuft. Doch die junge Frau ist optimistisch, dass sie hier Handwerk und Musik bald zusammenführen kann: "Ich bin zuversichtlich, dass ich schon an Weihnachten auf dieser Klarinette spiele", sagt sie und lacht.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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