Ebersberg:Mindestens 1001 Geschichten

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Der Buchladen am Ebersberger Marienplatz wurde nach hinten vergrößert, der Fußboden ist schon mal provisorisch verlegt: Sebastian Otter hat alle Hände voll zu tun. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Buch Otter in Ebersberg vergrößert sich und bietet mehr Platz zum Schmökern. Schneller zum Lesestoff kommt man über die Online-Plattform "genialokal", an die der kleine Laden angeschlossen ist

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Es ist ein bisschen so wie in der Unendlichen Geschichte. Bastian Balthasar Bux' Schicksal war eigentlich schon besiegelt, als er die Schwelle des Ladens überschritten hatte, in dem er das geheimnisvolle Buch fand, das ihn beim Lesen auf dem Dachboden seiner Schule in eine Fantasiewelt entführte. Wer die Glastür von Sebastian Otters Buchladen hinter sich zuzieht, dem kann es ähnlich gehen, wenn er nicht aufpasst. Und wenn er Bücher liebt.

Helle, leichte Holzregale, voll gepackt mit Geschichten, auf Augenhöhe. Das ein oder andere Buch mit dem Cover nach vorne gestellt. "Nimm mich", sagt es, "schlag mich auf!" Ihre Anziehungskraft ist unwiderstehlich. In seiner Wirkung auf Büchernarren mag sich die kleine Buchhandlung, die sich bisher mit 45 Quadratmetern Fläche unter einer niedrigen, balkengestützten und weiß getünchten Decke am Ebersberger Marienplatz begnügt, zunächst nicht so sehr von anderen unterscheiden. Viel Belletristik, ein paar Stufen tiefer jede Menge Kinder- und Jugendbücher. Ein Regal mit Reiseführern, ein bisschen Politik und Geschichte. Natürlich können der Inhaber und seine drei Mitarbeiter auch den neuesten Bestseller von Jojo Moyes aus dem Regal ziehen, die letzten Gespräche von Benedikt XIV, den Hundertjährigen von Jonas Jonasson, Bücher von Ken Follett oder Andreas Franz. Was auf der Spiegel-Bestseller-Liste steht, muss eine Buchhandlung haben. Und so liegt auch der achte Harry Potter auf einem gut sichtbaren Stapel, oder die italienische Pseudonymautorin Elena Ferrante, die schon vor ihrer Enttarnung durch einen findigen Journalisten ein Geheimtipp war, die aber nun den Sprung ganz nach oben geschafft hat.

Das aber ist es nicht, was den Laden auszeichnet. Es ist vielmehr Sebastian Otters Hang zum schönen Buch. Er hat ein Händchen für das besondere Cover, das er so aufstellt, dass es den Blick fängt. Und er hat diese besonderen Bücher in seinem Bestand, denen man ansieht, dass deren Verlag Wert darauf legt, wie ein Buch aussieht, nicht nur, wie es sich verkauft. So wie das "Schiff des Theseus", diese merkwürdige handschriftlich kommentierte Ausgabe eines Romans, angeblich geschrieben von einem gewissen V.M. Straka. Aufgemacht ist es wie das ältliche Ausleihexemplar einer Universitätsbibliothek, an die Seiten gekritzelte Bemerkungen einer Studentin und eines Doktoranden entspinnen eine Nebengeschichte zur eigentlichen Erzählung. Besonders sind auch die Bücher der "Anderen Bibliothek", einer von Franz Greno und Hans Magnus Enzensberger gegründeten bibliophilen Buchreihe. Wenn man ihn danach fragt, holt Otter eines dieser Exemplare aus einem Regal, öffnet mit geübten Bewegungen die Folie, kippt es so aus der Kartonhülle, dass es heraus gleitet, ohne dass die Berührung eine Spur am Umschlag hinterlassen würde, öffnet es ein bisschen und schnuppert hinein. "Mein Vater", sagt er, "hat immer erst gerochen an einem Buch, bevor er es gelesen hat".

Wer nicht nur eine schnelle Empfehlung für ein Geschenk braucht, sondern Zeit mitbringt, für den hat Otter nun den nötigen Raum geschaffen: Das Geschäft, wurde nach hinten vergrößert, Wände heraus gerissen und umgebaut. Deutlich mehr Platz, auch die Möglichkeit also, schöne Bildbände zu präsentieren, und eine kleine Lesecke einzurichten.

Deutlich zeitökonomischer allerdings geht es bei Otter auch. Die Buchhandlung ist mit einer übersichtlichen Seite im Internet vertreten. Buch Otter und die Bücherstube Slawik in Grafing haben sich in einer Einkaufsgenossenschaft zusammengeschlossen und sich gemeinsam in der Online-Plattform "genialokal" engagiert. Mehr als 700 Buchhandlungen deutschlandweit sind der Plattform inzwischen angeschlossen, auf der man alles das tun kann, was der bequeme Kunde auch von Amazon kennt: Aussuchen, bestellen, liefern lassen, E-Books kaufen. Nur dass die Plattform den kleinen Buchläden nicht das Wasser abgräbt, sondern ihnen beim Überleben hilft. Und wer heute in Ebersberg bei "genialokal" bestellt und morgen nach Bremen muss, kann sich das Buch über die Eingabe der Bremer Postleitzahl in eine dort angeschlossene Buchhandlung liefern lassen - wo mit Sicherheit auch mindestens 1001 Geschichten auf ihn warten.

An diesem Samstag findet die provisorische Eröffnung in den vergrößerten Räumen statt, die offizielle Eröffnung wird im kommenden Frühjahr sein.

© SZ vom 09.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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