Ebersberg:Lieber Chlor als Antibiotika

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Angelika Niebler informiert über Freihandelsabkommen TTIP

Von Karin Kampwerth, Ebersberg

Dass ihr dieser Abend eigentlich nicht passte, war Angelika Niebler deutlich anzumerken. Schließlich sind es Politikerinnen und Politiker wie die Vaterstettener Europaabgeordnete, die die Suppe auslöffeln dürfen, die ihnen Kollegen in Brüssel und Berlin eingebrockt haben. Denn die geheimen Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen mit den USA, so viel ist klar, kommen in der Bevölkerung nicht nur richtig schlecht an. Die Nebulösität der ganzen Angelegenheit führt vor allem dazu, dass das Abkommen, kurz TTIP, rundheraus abgelehnt wird. Die Antistimmung war am Freitagabend auch auf der Ebersberger Alm zu spüren, wohin trotz schönstem Biergartenwetter immerhin 40 Gäste gefunden haben, um sich aus erster Hand informieren zu lassen.

Was die Verhandlungsführer der Europäischen Kommission da genau beraten, also im Wortlaut, weiß allerdings auch Angelika Niebler nicht. Die ersten Texte seien inzwischen zwar in einem Lesesaal zugänglich. Diesen dürfe man aber nur nach einem Antrag betreten: "Ohne Handy oder einen Stift in der Hand", wie Niebler sagte. Inhaltlich befasse sich das Europäische Parlament seit zwei Jahren mit TTIP, 2013 habe es die erste Stellungnahme abgegeben und eines sei klar. "Eine Absenkung der europäischen Standards wird es mit uns nicht geben."

Genau diese Sorge haben aber die meisten im Raum. Eine Zuhörerin fürchtete, dass die Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln mit dem Abkommen verwässert werden könnte - etwas, dem das Parlament Niebler zufolge nicht zustimmen würde, weil man schließlich jahrelang darum gerungen habe. Allerdings seien auch nicht alle in den USA begeistert von dem Abkommen. Während man hier Angst vor Chlorhühnchen habe, fürchte man dort Antibiotika im Fleisch. "Die Amerikaner sind nicht alle Banausen, die nur Pommes essen," sagte die Kreisvorsitzende der Senioren-Union, Renate Schaumberg. Als sie vor 50 Jahren in den USA war, habe es dort schon eine Bio-Bewegung gegeben. Umwelt-Aktivistin Rosi Reindl (ÖDP) entgegnete allerdings, dass aufgrund der gentechnischen Kontaminierung der Felder die Grenzwerte für amerikanische Bio-Produkte großzügiger seien. Für Angelika Niebler eine symptomatische Debatte. "Wenn etwas so sensibel wie die Landwirtschaft ist, sollte man sehen, ob man das nicht ausklammert", sagte sie.

Aber auch andere Bedenken aus dem Publikum teilt die Politikerin. Zum Beispiel die Sache mit den Schiedsgerichten, wo gut bezahlte Anwälte in Hinterzimmern ausbaldowern, wie nationale Gesetze umgangen werden können, weil sie den Profit amerikanischer Firmen schmälern könnten. Ein nicht öffentliches Verfahren mit parteilichen Richtern ohne die Möglichkeit, in Berufung zu gehen - "diese Kritik teile ich unisono", sagte Niebler. Stattdessen müsse ein bilaterales Handelsgericht aufgebaut werden.

Andere Sorgen konnte die Europapolitikerin hingegen zerstreuen. So müssten deutsche Hersteller keine Angst davor haben, mit USA-typischen Schadensersatzklagen überzogen zu werden. Gerichtsstand sei immer Deutschland. Auch dem umstrittenen Fracking - der Suche nach Gas mithilfe von in die Erde gepressten Chemikalien- würde nicht mit einem Freihandelsabkommen Tür und Tor geöffnet. TTIP habe aber auch Vorteile für den Mittelstand, dem der Handel in die USA durch vereinheitlichte Zulassungsverfahren erleichtert werde. Alles schön und gut, wie Kreishandwerksmeister Johann Schwaiger anmerkte, "aber wenn man uns Deutschen dieses Abkommen verkaufen will, sollte man das auch auf Deutsch." Lediglich 18 Seiten des Abkommens seien online ins Deutsche übersetzt, der Rest nur in Englisch zu finden. Transparenz könne man das nicht nennen.

© SZ vom 15.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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