Ebersberg:Lautlose Revolution

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Lothar Abicht liest im Rahmen der Kulturtage in der Ebersberger Volksfesthalle aus seinem Buch "Unsichtbare Revolutionäre und Stille Gewinner". (Foto: Peter Hinz-Rosin)

In der Ebersberger Volksfesthalle liest Autor Lothar Abicht aus seinem Buch über die Generation Y

Von Anselm Schindler, Ebersberg

Viel gesagt und geschrieben wurde schon über die Generation, die zwischen 1980 und 1999 geboren wurde. Soziologen und Medien haben ihnen den Namen Generation Y gegeben, die Ypsiloner, sie folgen auf die Generation X. Der vorletzte Buchstabe des Alphabets bietet Interpretationsspielraum, wird doch das Y im englischen wie "why" ausgesprochen, also "warum". Es sei die Generation die alles hinterfrage, das schreiben renommierte Kolumnisten von Spiegel bis ZEIT. Wissenschaftler, Unternehmer und Buchautor Lothar Abicht knüpft gewissermaßen an diese Behauptung an. Er erforscht die moderne Arbeitswelt und wie sich die Ypsiloner darin verhalten.

Am Donnerstagabend hat Abicht im Rahmen der Kulturtage in der Ebersberger Volksfesthalle aus seinem Buch "Unsichtbare Revolutionäre und Stille Gewinner" gelesen. Gekommen sind vor allem Vertreter zweier Generationen: Die Ypsiloner und die Generation ihrer Eltern, die sogenannten "Babyboomer", zu der auch Abicht gehört, der erst kürzlich seinen 60. Geburtstag feierte.

In den vorangegangenen Generationen war ein Revolutionär einer, der opponiert hat, der das System nicht reformieren, sondern umschmeißen wollte. Heute reicht es offenbar schon, sich flexiblere Arbeitszeiten zu wünschen, mehr Home-Office oder eine gesunde Work-Life-Balance. Das zumindest meint Lothar Abicht, wenn er von der "unsichtbaren Revolution" spricht. Rudi Dutschke hätte bei so etwas kalte Schweißausbrüche bekommen. Das weiße Hemd in der Hose steckend, sitzt er vor seinem Laptop, er blinzelt, der Scheinwerfer blendet.

Abichts Thesen, die er an diesem Abend auch mithilfe von Folien und einem Beamer unter das Publikum bringt, sind eingängig, weil einfach. Der Ausgangspunkt: Während ihre Eltern für eine starke Leistungsorientierung, ein ausgeprägtes Pflichtgefühl, hohe Disziplin und große Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber stehen, wünscht sich die Generation Y im Beruf mehr Individualität, Freizeit und Mitbestimmung.

Dafür werde sie von den Älteren gerne kritisiert, erklärt Abicht. Dabei täte die Elterngeneration gut daran, sich die Forderungen der Ypsiloner selbst zunutze zu machen, so Abicht. Denn von mehr Freiheiten im Job hätten alle etwas, auch die Alten. Und: Forderungen nach flexibleren Arbeitszeiten, mehr Freizeit oder flacheren Hierarchien seien keineswegs der Faulheit geschuldet, betont Abicht - und führten auch nicht zu einer geringeren Produktivität. Im Gegenteil: Wer sich wohl fühlt in Beruf und Betrieb, der sei auch leistungsfähig. Eine Mutter aus dem Publikum bestätigt das: "Die gehen lieber Richtung Teilzeit", sagt sie mit Blick auf ihre Kinder. Doch nicht etwa, weil sie faul seien, so die Zuhörerin, "die freie Zeit, die sie zur Verfügung haben, nutzen sie ja dann auch sinnvoll, da geht es dann auch nicht nur um Spaß".

Und dann ist da noch die Digitale Revolution. Sie verändere auch die Arbeitswelt, erklärt Abicht, und spiele damit den Wünschen der Generation Y in die Hände. Wenn alles überall vernetzt und von überall her steuerbar ist, dann können Angestellte und Selbstständige ihren Arbeitsplatz letztlich dahin verlegen, wo sie wollen - und auch die Arbeitszeiten freier einteilen. So zumindest stellt sich Abicht die Arbeit der Zukunft vor. Die Arbeit der Zukunft ist sein Spezialgebiet, seit 1992 ist er in diesem Bereich für das private Institut für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung (isw) in Halle tätig, gemeinsam mit dem Trendforscher Sven Jánszky veröffentlichte er 2003 das Buch "2025 - so arbeiten wir in der Zukunft".

Die Ypsiloner könnten es sich herausnehmen, mit neuen Forderungen ins Berufsleben zu starten. "Sie müssen die vielen ersetzen", sagt Abicht in Bezug auf den demografischen Wandel. "Und dadurch, dass sie weniger sind, haben sie größere Wahlmöglichkeiten, was den Job betrifft". Gehen die Arbeitgeber nicht auf die Bedürfnisse der Ypsiloner ein, so wechseln diese eben den Job. All diese Mechanismen funktionieren freilich nur bei Kindern der Mittelschicht, betont der Autor. "Ich spreche hier ausdrücklich nicht von den Abgehängten und Prekären".

Abicht tritt als Fürsprecher der Generation Y auf, als ein Babyboomer der die Forderungen der jungen Leute unterstreicht. Doch sind diese Forderungen wirklich so revolutionär, wie er denkt? Das fragt sich auch ein junger Mann aus dem Publikum. Die von den Ypsilonern vorangetriebene Umgestaltung der Arbeitswelt kratze bislang nur an der Oberfläche, argumentiert er. Sie ändere weder etwas an der zweifelhaften Einkommensverteilung noch an einem System, das Profite über Mensch und Umwelt stelle.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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