In doppelter Hinsicht hat Sybille Fuchs, Initiatorin und Betreiberin der "Praxis für Kultur" in Ebersberg, Anerkennung verdient: für die originelle Idee, aus einer ehemaligen Arztpraxis einen Veranstaltungsort mit Wohnzimmerflair zu machen, und für ihr Engagement, das Kulturleben in der Kreisstadt zu bereichern. Kein Wunder also, dass die Kirchseeoner Architektin nun für den Tassilo-Preis der Süddeutschen Zeitung vorgeschlagen wurde.
Eigentlich möchte man meinen, es sei waghalsig, in Ebersberg eine weitere Stätte für Kleinkunst zu eröffnen, neben dem zahlreichen kulturellen Angebot, das die Kreisstadt bereits bietet. Doch Sybille Fuchs ist es in den vergangenen beiden Jahren gelungen, Kulturbegeisterte an einen neuen und außergewöhnlichen Ort zu locken: eine ehemalige Arztpraxis im Arkadenhaus.
Hinter einem unscheinbaren Klingelschild und einem schnodderigen Treppenhaus versteckt hält sich die kleine "Praxis für Kultur". Bescheiden, aber eben besonders. Das Wartezimmer der ehemaligen Praxis ist leergeräumt und wird je nach Veranstaltung unterschiedlich genutzt, durch den Raum schwingt ein beschauliches Flair. Rechts daneben verbirgt sich eine kleine, offene gemütliche Küche. Unter der Woche füllt sich die Praxis mit Kreativität. Sybille Fuchs vermietet die Räume an verschiedene Künstler, die hier Workshops anbieten können, aber auch Yogakurse finden hier statt. "Kultur sehe ich als einen sehr weit gespannten Begriff", sagt die 52-Jährige. Daher möchte sie auch in alle Richtungen offen bleiben.
Neben zahlreichen Kreativkursen, Improtheaterworkshops, Clownunterricht oder Klavierstunden hat sich in der "Praxis für Kultur" seit Anfang 2015 die Veranstaltungsreihe "Kulturfrühling" einen Namen gemacht: An drei Wochenenden öffnet Fuchs die Praxis für Theatergruppen und Konzerte unterschiedlichster Genres - im Wohnzimmerambiente. Und das zieht. Vergangenes Jahr waren jedenfalls alle Veranstaltungen fast bis auf den letzten Stuhl besetzt. Und auch die Künstler schätzten die familiäre Atmosphäre, sagt Fuchs. Immerhin zog es selbst erfolgreiche Musiker wie das Jazz-Foklore-Ensemble Trio Zakk aus Wolfratshausen zum wiederholten Mal zum Kulturfrühling nach Ebersberg.
Die Liebe zur Kultur wurde Sybille Fuchs quasi in die Wiege gelegt: der Vater Bildhauer, die Mutter Weberin, die Schwester Musikpädagogin - sie selbst hat sich für den Architektenberuf entschieden. Derzeit ist sie in Teilzeit an einem Bauamt in München beschäftigt. Doch nebenher schwingt immer die Leidenschaft für Musik und Theater mit. Entstanden sei die "Praxis für Kultur" 2007 aber aus einer Not heraus, erzählt die Kirchseeonerin: Da ihre Laien-Theatergruppe Zwischenton des öfteren auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten war, gründete Fuchs kurzerhand als Privatperson die "Praxis für Kultur" - und bereichert seitdem die Kunst- und Veranstaltungsszene in Ebersberg. Ohne Förderung, ohne Partner, ohne Verein und ohne Profit. Die Veranstaltungen des Kulturfrühlings sind kostenfrei. Die Künstlergagen werden aus dem Hut finanziert, der am Ende rumgeht.
Auch wenn es derzeit für Fuchs ein Investitionsgeschäft ist, gibt ihr das Projekt sehr viel: "Das Feedback ist durchwegs positiv und anerkennend. Das motiviert." Ihr Traum ist, dass das Festival irgendwann zum Selbstläufer wird: Dass Musiker von sich aus anfragen und das Publikum auch ohne große Werbemaßnahmen kommt. Der Erfolg des Kulturfrühlings jedenfalls zeigt, dass Ebersbergs Kulturpotenzial noch nicht erschöpft ist. Und wer weiß, vielleicht darf man irgendwann auch auf einen Kulturherbst hoffen, fügt Sybille Fuchs mit einem Augenzwinkern hinzu.
Den Kulturbetrieb im Umland fördern - das ist das Ziel des Tassilo-Preises der Süddeutschen Zeitung. Leserinnen und Leser können Personen und Gruppen vorschlagen, die im Landkreis künstlerisch wirken oder in der Kulturarbeit aktiv sind. Vorschläge können per Post, Fax oder E-Mail geschickt werden: SZ Redaktion, Ulrichstraße 1, 85560 Ebersberg, Fax (08092) 8266-80, Mail: tassilo@sueddeutsche.de. Einsendeschluss ist Samstag, 21. Mai.