Ebersberg:Kühler Kopf

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Wer erkennt, Teil des Problems zu sein, kann Teil der Lösung werden, sagt Martin Becher. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Rassismus-Vortrag und Diskussion im Rathaus Ebersberg

Von Annalena Ehrlicher, Ebersberg

"Mir ist irgendwann aufgefallen, dass ich noch nie so vielen Leuten ein friedliches neues Jahr gewünscht habe wie zu diesem Jahr", stellt Martin Becher, Vorsitzender des Bayerischen Bündnisses für Toleranz, zu Beginn seines Vortrags im Sitzungssaal des Ebersberger Rathauses fest. Er folgte der Einladung der Geschäftsführerin des Kreisbildungswerks Claudia Pfrang, die zu Beginn des Abends betont, dass Rassismus wieder ein präsentes Thema sei, dass "es brodelt". Unter dem Titel "Verkannte Gefahr: Alltagsrassismus in Deutschland" spricht Becher vor und mit zirka 65 Leuten, die eifrig mitdiskutieren und ihre Erfahrungen aus dem Landkreis teilen. Dabei stellt er unter anderem die empirische Langzeitstudie der Universität Bielefeld zum Thema "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" vor.

Im November vorvergangen Jahres machte Becher Schlagzeilen, indem er einen Nazi-Aufmarsch in Wunsiedel im Fichtelgebirge in einen Spendenlauf gegen rechts umwandelte. Grundsätzlich setzt sich das Bündnis gegen die Ausbreitung von rechtsextremem Gedankengut ein. Gegründet wurde es 2005 auf Initiative der evangelischen und katholischen Kirche - mittlerweile hat es zirka 60 Mitgliedsvereine, erzählt Becher.

Das vergangene Jahr werde irgendwann als Epochenumbruch - ähnlich dem Jahr 1989 - eingeordnet werden, so Becher. Momentan nimmt er jedoch immer stärker wahr, " dass sich Leute, die sich in Anti-Nazi-Verbänden engagieren, in einer gesellschaftlichen Defensive wiederfinden." Das habe viel mit der aufgeheizten Stimmung nach Silvester zu tun. Er appelliert deshalb an alle, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Bewusst spricht er nicht von einer "Flüchtlingskrise" - wenn überhaupt gebe es "eine Krise der Asylpolitik", betont er. "Ich glaube, dass wir in Europa, besonders aber in der Bundesrepublik, die letzten zehn, fünfzehn Jahre auf einer Insel der Seligen gelebt haben", sagt er. Problematische Entwicklungen in der Welt habe man nicht wahrhaben wollen. Die zunehmende Globalisierung nennt er als Beispiel: "Wir merken jetzt: Oh, Globalisierung hat ja nicht nur Vorteile - es heißt auch, dass Flucht, Kriminalität und Terror global werden." Bundesfinanzminister Schäuble zitierend fügt er hinzu: "Aber Globalisierung ist unteilbar, wir können uns nicht nur die Sachen aussuchen, die uns gefallen."

Ein Zuhörer wirft dazu ein: "Ich meine, dass unsere Entwicklungshilfe aus den vergangen fünf Jahrzehnten eben auch zu unserer jetzigen Situation beigetragen hat." Die europäische Arroganz und das vermeintliche Wissen um die Bedürfnisse ärmerer Länder seien Teil des Problems. Becher nickt vehement und verweist darauf, dass es dem Verband wichtig sei, nicht auf andere zu zeigen, sondern bei sich selbst anzufangen. Das Leitmotiv des Bündnisses lautet deshalb: "Wir sind erst dann Teil der Lösung, wenn wir erkennen, dass wir Teil des Problems sind." Ein bisschen Demut schade da niemandem, fügt Becher hinzu.

"Das ist jetzt die Kategorie Tipps und Ratgeber", scherzt Becher gegen Ende. Rechte Parolen hielten keiner Prüfung stand, sagt er. Statt zu argumentieren, solle man genau nachfragen. Momentan habe man die Situation, dass 80 Leute in einem Raum seien - und einer dazu kommt. "Lassen Sie sich nicht in die Defensive zwingen und: Regen Sie sich bloß nicht auf", rät er den Teilnehmern. "Aber das kann man doch nicht gelassen nehmen", schimpft ein Herr aus der Runde. Dass bereits jetzt, wo doch im Landkreis keine Not herrsche, die Grafinger Bürgermeisterin so bedrängt werde, sei schlimm. Eine weitre Wortmeldung: Fremdenfeindlichkeit sei "wie ein kleiner genetischer Defekt, ein Charakterfehler", den man spätestens in den Schulen korrigieren müsse. "Bildung ist gut und wichtig", sagt Becher, "wichtiger ist jedoch die soziale Integration."

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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