Ebersberg:Krimineller Zapfenstreich

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Weil er Dieselkraftstoff gestohlen hat, wird ein 57-jähriger Busfahrer zu einer Bewährungsstrafe verurteilt

Von Anja Blum, Ebersberg

Es heißt zwar immer, der Mensch sei ein vernunftbegabtes Wesen, doch dem Zuschauer im Amtsgericht in Ebersberg kommen doch immer wieder mal Zweifel an dieser Aussage. Ein Jahr und sechs Monate auf Bewährung sowie eine Geldstrafe von 1000 Euro für den Versuch, ein paar Liter Diesel zu stehlen - so lautet die Bilanz für einen 57-Jährigen, der jetzt vor Gericht stand. "Es ist einfach nicht nachvollziehbar, was da passiert ist", sagte selbst der Verteidiger in seinem Plädoyer und schüttelte ratlos den Kopf.

Auf der Anklagebank saß ein Busfahrer wegen räuberischen Diebstahls, ein Tatbestand, der eigentlich mit einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren geahndet wird. Insofern hatte der 57-Jährige noch Glück mit dem Urteil, denn Richter Markus Nikol und die beiden Schöffen beurteilten seinen Fall als "minder schwer". Außerdem werteten sie das späte Geständnis des Angeklagten, das eher ein dahingenuscheltes Lippenbekenntnis war, als "besonderen Umstand", der eine Strafe auf Bewährung möglich machte.

Doch was war überhaupt geschehen? Nach drei Zeugenaussagen zeichnete sich folgendes Geschehen ab: Der Busfahrer, der neben seinem Hauptjob gelegentlich bei einem Busunternehmen im Landkreis aushalf, kam um vier Uhr früh von einer Fahrt zum Betrieb zurück. Dort zapfte er mit einem Schlauch ein paar Liter Diesel aus seinem Bus in einen Kanister ab. Dabei wurde er von einem anderen Fahrer, der ebenfalls gerade zurückkehrte, beobachtet. Dieser stellte ihn zur Rede, woraufhin der Angeklagte aggressiv wurde.

Er packte den Zeugen am Kragen und versuchte, ihn in den Hals zu beißen und mit dem Fuß nach ihm zu treten. Den Kanister mit dem Diesel hatte er in den Kofferraum seines Privatwagens gestellt. Während der Rangelei fiel das Handy des auf frischer Tat Ertappten auf den Boden. Der Zeuge nahm es an sich. Dann ging er auf Abstand und rief mit seinem eigenen Telefon den Chef an, der wiederum die Polizei alarmierte.

Der Angeklagte lief währenddessen zu seinem Auto, holte ein Messer aus dem Handschuhfach, klappte es auf und ging ein paar Schritte auf den Kollegen zu. Dann überlegte er es sich jedoch anders und verstaute die Waffe wieder in seinem Auto. Kurz darauf traf die Polizei ein. Den Beamten erklärte der Busfahrer, dass er es nur für legitim halte, sich ein wenig Diesel zu nehmen, da er nach einem Umzug einen sehr weiten Weg zurück nach Hause habe, eine Gehaltserhöhung aber abgelehnt worden sei.

So die Version, die Staatsanwalt, Richter und Schöffen als wahrheitsgemäß erachteten. Der Angeklagte jedoch versuchte lange, eine andere Geschichte zu erzählen: Er habe den Kraftstoff nicht klauen, sondern nur "ausleihen" wollen, da der Tank seines Wagens fast leer gewesen sei, und er seinen Geldbeutel daheim vergessen habe. Warum er denn nicht einfach an der Zapfsäule auf dem Betriebsgelände, die jeder Fahrer per Schlüssel bedienen kann, getankt habe, wollte der Staatsanwalt wissen. Doch das konnte der Angeklagte nicht so recht erklären. "Ich weiß nicht, ich war im Stress." Wichtig war ihm aber zu betonen, dass er nur wegen seines Handys, das der Zeuge ihm weggenommen habe, so wütend geworden sei. "Ich wollte den Chef selbst anrufen und ihm alles erklären." Gebissen und getreten habe er den anderen allerdings nicht. Höchstens ein bisschen geboxt und vielleicht gekratzt.

"Das ist seit Langem das Haarsträubendste, das ich gehört habe", entfuhr es dem Staatsanwalt. Seinem Verteidiger hat es der Busfahrer zu verdanken, dass er nun nicht ins Gefängnis muss: Dieser nämlich überredete seinen Mandanten in einer kurzen Verhandlungspause, doch noch so etwas wie ein Geständnis abzulegen: "Kann sein, dass es so war, es tut mir leid." Zu Gunsten des 57-Jährigen wertete das Gericht außerdem, dass er nicht vorbestraft ist. Und dass es nur um Diesel im Wert von etwa 20 Euro ging.

© SZ vom 10.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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