Ebersberg:Ideal und Wirklichkeit

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Umgeben von ritterlichen Requisiten setzt Stefan Wilkening die Fantastereien von Don Quijote, dem traurigen Helden des Romans von Cervantes, in Szene. (Foto: Christian Endt)

Stefan Wilkening und Maria Reiter geben Don Quijote theatralische Gestalt

Von Peter Kees, Ebersberg

Könnte nicht alles in der Welt ein bloßer Traum sein? Ja, vielleicht. Der französische Philosoph René Descartes folgerte aus diesem Gedanken, "Ich denke, also bin ich." Denn solange wir denken können, dass wir träumen, solange denken wir auch, selbst wenn wir nur träumen. Apropos Traum: Das Träumen hat im Leben in vielerlei Hinsicht eine große Bedeutung, nicht nur in Descartes' Erkenntnistheorie oder des Nachts. Auch Tagträume, Fantasien oder Idealvorstellungen sind wesentliche Merkmale unseres Daseins.

Der spanische Schriftsteller Miguel de Cervantes hat vor 400 Jahren mit seiner Romanfigur Don Quijote einen Fantasten erfunden, der seine Umwelt anders wahrnimmt, als sie ist. Windmühlen hält er zum Bespiel für Riesen und kämpft gegen sie. Ist er ein Träumer? Ein Tagträumer? Um Ideal und Wirklichkeit könnte es seinem Autor mit dieser Dichtung gegangen sein, denn der Ritter der traurigen Gestalt idealisiert das Leben, indem er die Wirklichkeit seinen Vorstellungen anpasst, diese also anficht. Sein eher einfältiger Knappe Sancho Pansa jedenfalls begreift erst nach und nach die Bedeutung dieser Fantastereien. Sollte unser Leben also nicht doch von Träumen bestimmt werden - keine, die wir dämmernd verbringen, sondern solche, die unsere Wunschbilder hochhalten? Eine Frage, mit der sich zu allen Zeiten Schriftsteller, Musiker oder Filmemacher beschäftigt haben, diente doch der Romanstoff unzähligen Werken, Theaterstücken, Opern, Literatur, Filmen oder Tondichtungen als Vorlage.

Auch Stefan Wilkening und Maria Reiter haben mit ihrer vom Kulturkreis Ebersberg veranstalteten musikalischen Lesung "Don Quijote" im Alten Kino den Ritterroman beleuchtet. Allerdings nicht im Sinne einer Neuauflage, sondern als szenische Lesung des übersetzten Originals - zumindest in Teilen. Da sitzt eine Akkordeonistin auf der Bühne, um sie herum verstreut sind Teile einer Ritterrüstung. Solche Requisiten liegen auch um dem Stuhl, auf dem bald der Rezitator Platz nehmen wird. Die Musikerin beginnt, zarte Töne auf ihrem Instrument zu spielen. Die Stimmung, die hier entsteht, ist fein und erinnert an den Beginn eines vielversprechenden Film- oder Theaterabends. Vogelgezwitscher kommt hinzu. Man spitzt die Ohren. Ein Entree, in das der Vorleser tritt. Und schon dessen Auftritt macht klar, die Lesung ist keine schlichte Lesung, sondern ein theatral inszenierter Akt. Wilkening kommt mit großer Geste, mit sonorer Stimme, die er gern salbungsvoll erklingen lässt. Eine Spur zu viel Pathos trägt er dabei auf. Weniger wäre da sicher mehr gewesen. Die Musik hingegen bleibt nuanciert und ergänzt den Schauspieler wunderbar. Von der Kunstgattung "Melodram" könnte man bei dieser Art von Aufführung sprechen. Musik und Sprache überlagern sich dabei, wechseln sich aber auch solistisch ab. So war es auch an diesem Abend. Am Akkordeon waren musikalische Zitate zu vernehmen, viel aus Bizets Oper Carmen. Ein Verweis auf die der Hochromanik entsprechenden Gattung, aber auch auf den spanischen Ursprung der vorgetragenen Literatur. Wilkenings überhöhter Gestus mag hier gründen, doch es ist naiv, Romantik mit Pathos gleichzusetzen. Hilfreich wäre es vielleicht gewesen, die den Text verdoppelnden körperlichen Gesten zu reduzieren oder einfach wegzulassen. Nichtsdestotrotz, man lauschte den Geschichten um dem selbsternannten Ritter gern.

Was Wilkening wunderbar beherrscht, ist, den unterschiedlichen Figuren eigene Stimmen und Charaktere zu verleihen. Da zeichnet er den stolzen Ritter ebenso brillant wie seinen Gegenpart, den Diener Sancho Pansa oder andere Figuren. Und das begeisterte Publikum? Folgt es Ideal oder Wirklichkeit? Vermutlich kehrt es zurück in den ganz realen Alltag. Don Quijote dagegen hätte sich sicher einen Wandel gewünscht.

© SZ vom 10.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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