Ebersberg:Heiterer Pessimist

Lesezeit: 4 min

Kabarettist Mathias Richling zeigt im Alten Speicher sein neues Programm über Selbstentblößung und zukunftsunfähige Politiker

Von Irmengard Gnau, Ebersberg

Er ist ein Karikaturist ohne Stift: Der Baden-Württemberger Mathias Richling steht seit mehr als 40 Jahren auf den Kabarettbühnen der Republik, um von dort seinen Zuschauern und Politikern einen Zerrspiegel ihres Tuns vorzuhalten. In den vergangenen Jahren hat Richling gekonnte Parodien zu einer Spezialität gemacht. Auf der Bühne wie in seiner Fernsehshow schlüpft der 65-Jährige in immer neue Rollen und entlarvt manches Mal mit wörtlichen Zitaten die Geisteshaltung der Dargestellten am besten. Mit seinem neuen Programm ist er nun im Alten Speicher zu Gast.

SZ: In Ihrem Programm "Richling und 2084" wagen Sie angelehnt an George Orwells Dystopie einen Blick in die Zukunft. Angesichts des bereits herrschenden Grades der Selbstüberwachung im digitalen Zeitalter - wie viel 1984 geht überhaupt noch?

Mathias Richling: Das ist die große Frage! Mein Programm ist ein Aufreißen dessen, was wir gerade haben und stellt die Frage: Wie könnte die Zukunft aussehen? Wo führt das alles hin, die Entmündigung des Bürgers, die Verunselbständigung des Menschen? Sehen Sie sich die technische Entwicklung an: Anstatt den Menschen zu sagen, leg das blöde Ding weg, bauen wir Ampelsignale am Boden, damit die Handygucker nicht überfahren werden, wenn sie über die Straße laufen.

Wer ist aus Ihrer Sicht der gefährlichste Big Brother von heute?

Im Grunde der Bürger selber, der sich prostituiert im Netz. Man fotografiert ja heute nicht nur, wie man einen Hamburger isst, sondern hält danach noch die Kamera in die Toilette. Mitte der Achtzigerjahre haben wir uns empört, weil der Staat bei der Volksbefragung wissen wollte, wie viele Zimmer wir haben - das ist ja minimalst im Vergleich zu heute. Wenn ich heute die Leute sagen höre "Ich habe nichts zu verbergen" - das ist so schwachsinnig! Das Selbstentblößen ist eine Gefahr, die wir heute hier noch nicht spüren, aber wie hat Herr Erdogan denn all die Zehntausende in der Türkei in den Knast gebracht? Heute reicht es ja, in einem sozialen Netzwerk zu posten "Erdogan ist doof".

Ist unser politisches Personal den Herausforderungen überhaupt gewachsen, die diese Zukunft bringt?

Nein, eben nicht. Ich fürchte, es muss irgendwann einen Knall geben. Solange die Leute nicht darunter zu leiden haben, interessiert es sie nicht. Konrad Lorenz hat in den Siebzigerjahren einmal über die Gefahren der atomaren Aufrüstung geschrieben: Die Abrüstung kommt erst, wenn es einen großen Atomschlag gibt, bei dem die eine Hälfte der Menschen umkommt. Dann wird die andere Hälfte abrüsten - für 30 Jahre, dann wiederholt sich alles wieder. Das sehen wir doch heute auch. In den Nachkriegsjahrzehnten waren Nazi-Parolen und rechte Hetze eine Randerscheinung. Es gab sie, aber vorwiegend unterschwellig. Heute erleben wir offenen Kampf auf der Straße wie in Chemnitz, und Rechte sitzen keineswegs als Randgruppe im Bundestag. Das heißt, was wir von der Nazi-Zeit gelernt haben sollten, tritt um so mehr in den Hintergrund, je weiter wir davon entfernt sind.

Im Oktober steht in Bayern die Landtagswahl an. Die CSU arbeitet sich derzeit mehr oder minder verzweifelt an der AfD ab im Versuch, eine mehrheitsfähige Position zu finden. Sie vermeiden in Ihrem Programm bewusst, die AfD in den Fokus zu rücken, in Ihrer Fernsehshow tritt Alexander Gauland hingegen als Figur auf. Entschärft es die Gefahr des Rechtspopulismus, wenn man über ihn lacht? Oder wie sollte die Gesellschaft mit der AfD umgehen?

Das ist immer eine Frage der Relation. Wenn bestimmte Themen aktuell auf der Tagesordnung sind, spreche ich darüber. Aber ich muss mir mein Programm nicht versauen mit solchen Typen von - wie heißt die Partei noch mal? Ich meine, dass man denen von Anfang viel zu viel Raum eingeräumt hat in den politischen Talkshows. Wieso muss als einzige Meinung und zweiter Beitrag nach den Vorkommnissen in Chemnitz eine Frau von Storch über 90 Sekunden verbreitet werden zum Thema bei den NTV-News und sonst niemand von den ernst zu nehmenden Parteien? Man wird dem inhaltlich nicht Herr in einer Talkshow, wenn man seine Argumente zwar zerlegt, aber Herr Gauland dann rausgeht und auf Twitter hundertmal genau das Gegenteil verbreitet. Lächerlich machen ist auch ein Mittel. Lachen allein reicht nicht, oft ist es ein sarkastisches Lachen, weil man es sonst nicht ertragen kann.

Sie haben Ihr erstes Kabarettprogramm 1974, vor mehr als 40 Jahren, vorgestellt. Heute kann jeder, der will, seiner Meinung via Youtube und anderer Medien eine Öffentlichkeit verleihen. Welche Rolle für den gesellschaftlichen Diskurs kommt dem Kabarett heute noch zu?

Heute wird jede Kloake veröffentlicht, das ist unerträglich, eine Banalisierung und Stammtischisierung. Ein Kabarettist oder Satiriker setzt sich mit den Themen schon anders auseinander, die Formulierungen sind natürlich ausgereifter. Zum Glück kommen jetzt auch wieder viele junge Kabarettisten nach. Aber welche Rolle wir haben... Anregungen fruchten nur in den seltensten Fällen, da muss man realistisch sein. Ich gehe mit dem Impetus auf die Bühne, dass ich die Leute unterhalte und dass sie vielleicht das ein Stück weiterdenken, was sie schon im Kopf haben. Ich will ihnen Formulierungsmöglichkeiten geben. Frei nach Ludwig Wittgenstein: Was ich nicht gesagt habe, habe ich nicht gedacht.

Ein Kollege hat Ihrem Programm in einer Pressebesprechung einen "heiteren Pessimismus" attestiert. Blicken Sie pessimistisch in die Zukunft?

"Heiterer Pessimismus"? Das gefällt mir. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Das Programm "Richling und 2084" spielt der Kabarettist am Mittwoch, 12. September, im Alten Speicher. Die Veranstaltung in Ebersberg beginnt um 20 Uhr, das Haus öffnet um 19 Uhr. Karten gibt es online unter www.kultur-in-ebersberg.de, persönlich in der Vorverkaufsstelle im Alten Speicher oder telefonisch unter der Nummer (08092) 255 92 05.

© SZ vom 03.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: