Ebersberg:Gestörte Störche

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Das Storechenpaar in Forstinning bleibt schon seit einigen Jahren im Winter lieber daheim. Für Vogelschützer eine bedenkliche Entwicklung. (Foto: Christian Endt)

Menschliches Eingreifen beeinflusst das Zugverhalten der Vögel. Auch im Landkreis bleiben immer mehr Tiere im Winter daheim

Von Anne Schinko, Ebersberg

Vögel ziehen im Winter in den Süden. Das weiß doch jedes Kind. Zumindest war das bisher so. Doch immer mehr Vögel und insbesondere Störche überwintern dieser Tage in Deutschland, anstatt in wärmere Gebiete nach Ost- oder Westafrika zu ziehen. Im Ebersberger Landkreis sind es zurzeit sechs Störche, die in der Gegend rund um Markt Schwaben herumstreunen. "Tendenz steigend", prognostiziert Richard Straub vom Landesbund für Vogelschutz. Zählungen zufolge überwinterten im vergangenen Jahr an die 180 Störche in Bayern. Kältebedingt ist das für die Tiere meist kein Problem, denn die Adebars können Wärme wesentlich besser speichern als manch einer ihrer gefiederten Verwandten. Dennoch stellt der ausbleibende Zug nach Süden eine wesentliche Abkehr von ihrem natürlichen Triebverhalten dar.

In Forstinning etwa gibt es schon seit einiger Zeit ein Storchenpaar, das den Winter im zugeschneiten Bayern verbringt - ebenso wie ihr Junges, ein schon seit einiger Zeit ausgereiftes Tier. Bisher waren seine Brutpartnerinnen und Jungen im Winter jedes Jahr in den Süden gezogen. In diesem Jahr aber ist eine Veränderung zu beobachten: Erstmals bleibt die gesamte Familie den Winter über in Forstinning.

Schuld an dem fehlenden Zugverhalten der Tiere ist - wie so oft - der Mensch. Vor allem in Baden Württemberg und der Schweiz wurde durch die Überzüchtung von Störchen das instinktive Zugverhalten teilweise zerstört, wie Straub zu berichten weiß. Um den Tourismus anzukurbeln, kauften die Regierungen etwa in diesen beiden Gebieten zahlreiche Störche ein. In Baden Württemberg teilweise sogar direkt aus Nordafrika. Problematisch wird es aber erst dann, wenn die unterschiedlichen Storchenarten miteinander vermischt werden. Denn die verschiedenen Gattungen besitzen jeweils ein gesondertes Zugverhalten: Da gibt es die sogenannten Ostzieher, die, wie der Name schon verrät, entweder über die Türkei, Israel und Ägypten nach Ost- und Südafrika ziehen, oder die Westtiere, die ihr Ziel über Spanien und Gibraltar in Westafrika ansteuern. Nordafrikanische Störche beispielsweise besitzen aufgrund ihrer Herkunft generell keinen Zugtrieb. Werden diese unterschiedlichen Storchenarten miteinander gepaart, so verlieren die Jungvögel teilweise ihr natürliches Zugverhalten und sind dadurch in ihrem biologischen Gleichgewicht gestört. Mitunter kann es sogar passieren, dass manche dieser gestörten Vögel ihre Brutpartner, die ursprünglich in den Süden gezogen wären, zum Dableiben veranlassen.

Ein anderer Grund ist die weltweite Klimaerwärmung, die den Vögeln angenehmere Temperaturen beschert und sie so zum Dableiben animiert. Doch auch in diesem Fall sortiert die Natur in Gestalt des Winters die Schwächeren von den Stärkeren aus. "Das ist evolutionär wünschenswert, auch wenn dies für das ein oder andere Tier den Tod bedeutet", erklärt Straub. So müssten einzelne Vögel im Laufe der Zeit das ausbaden, was der Mensch verursacht habe.

Ein weiterer, oft nur gut gemeinter, aber dennoch gefährlicher Fehler vieler Menschen sei, die Störche mit Futter zu versorgen. Denn dadurch würden sich die Tiere an das Futter gewöhnen und davon abhängig gemacht werden, während sie andernfalls ihren Instinkten folgend bei tatsächlicher Futterknappheit in klimatisch günstigere Gebiete fliegen würden - wie etwa zum Bodensee oder ins wärmere Rheintal. So muss die Behauptung, die Vögel ziehen im Winter in den Süden, möglicherweise ein klein wenig ergänzt werden, nämlich um den Zusatz: wenn sie wissen, dass sie das tun sollten.

© SZ vom 19.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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