Ebersberg:Gerammt, gerollt oder nur getäuscht

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Da Beweise für den Auffahrunfall fehlen, spricht die Richterin einen Angeklagten frei

Von Anselm Schindler, Ebersberg

Der Angeklagte ist an diesem Donnerstag Vormittag eigens aus Prag nach Ebersberg angereist. Er und seine Familie schlafen in einem Hotel im Landkreis - ein großer Aufwand, für den am Ende die Staatskasse aufkommen wird. Denn der Fall, den Richterin Vera Hörauf im Ebersberger Amtsgericht verhandeln muss, ist kaum aufzuklären. Ein 44-jähriger Mann aus Aying, der täglich nach Ismaning pendelt, wirft dem 34-jährigen Tschechen vor, dieser habe im Stau gedrängelt, ihn angehupt und sein Auto sogar gerammt. Nötigung wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten deshalb vor.

Der Tscheche allerdings geht zum Gegenangriff über: Der Ayinger, der dicht gedrängt vor ihm im Stau stand, habe sein Auto nicht unter Kontrolle gehabt. Dieses sei dann unerwartet nach hinten gerollt und habe beinahe das Familienauto des 34-Jährigen gerammt, der mit seiner Frau und seiner Mutter gerade auf dem Weg in den Urlaub war. Frau und Mutter sitzen an diesem Vormittag ebenfalls im Gerichtssaal, sie sagen als Zeuginnen aus.

Geschehen ist der Zusammenstoß im Februar dieses Jahres auf der Autobahn 99. Und zwar auf einem Teilstück, das den Landkreis Ebersberg schneidet. Es gilt das Tatortprinzip, weswegen auch in Ebersberg verhandelt wird. Eine Verständigung am Tatort sei nicht möglich gewesen, schildert der tschechische Staatsangehörige, auch die paar Fetzen englisch die er beherrsche, seien ihm vor lauter Aufregung in der Situation nicht eingefallen.

Wild fluchend sei der Ayinger ausgestiegen und habe herumgestikuliert, obwohl - und auch hier unterscheiden sich die Aussagen des Angeklagten und des Ayingers - sich die beiden Fahrzeuge nicht berührt hätten. Einen Beweis dafür, dass der Angeklagte sein Auto gerammt habe, hat der Ayinger nicht. Am Auto seien kaum Spuren sichtbar gewesen, zur Polizei fuhr der Geschädigte trotzdem, schließlich sei er sehr wütend gewesen.

Der Verteidiger des Beschuldigten bringt zudem noch eine dritte Version des Geschehens ins Spiel: War es ein Missverständnis? Die Straße war abschüssig, der Geschädigte stand in geringem Abstand vor dem Angeklagten. Kam das Auto des Pendlers ins Rollen und hat der tschechische Urlauber gehupt, um ihn darauf aufmerksam zu machen?

Es ist ein klassischer Fall, in dem Aussage gegen Aussage stehen. Und trotz des Plädoyers des Staatsanwalts für eine Verurteilung des Angeklagten, bleibt Richterin Hörauf bei der schwachen Beweislage kaum etwas anderes übrig, als ihn freizusprechen. Der ist sichtlich erleichtert, ohne Verurteilung zurück nach Pragfahren zu können.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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