Flüchtlinge:Furcht und Verständnis

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61 Flüchtlinge kommen pro Woche im Landkreis an. Wie gehen die Bürger damit um? Und welche Auswirkungen haben die sexuellen Übergriffe von Köln? Eine Spurensuche

Von I. Meixner, B. Mooser, A. Schindler, A. Schimansky und C. Wersche

Die sexuellen Übergriffe von Köln haben viele Menschen verunsichert. Auch stellen sich immer mehr die Frage: Schaffen wir das wirklich? 61 Flüchtlinge kommen pro Woche im Landkreis an, sechs Turnhallen sind schon mit Asylbewerbern belegt, zwei Traglufthallen in Poing und Pliening werden demnächst aufgestellt. Was denken die Bürger, was trauen sie sich zu sagen? Die SZ hat nachgefragt. Aus Angst, abgestempelt zu werden, äußern sich einige nur anonym.

Maira, eine im Landkreis lebende Brasilianerin, hat Angst:

"Ich habe schon öfter versucht, Kontakt mit den Asylbewerbern aufzunehmen, bin aber jedes Mal von ihnen zurückgewiesen worden. Abends alleine auf der Straße fühle ich mich hier nicht mehr ganz so wohl wie noch vor ein paar Jahren, was auch daran liegt, dass die Asylbewerber die Regeln hier nicht kennen und ein vollkommen anderes Frauenbild haben."

Klaus Hanitzsch, Ebersberg, sorgt sich um die Stimmung:

"Im Augenblick sehe ich die Lage sehr problematisch, vor allem die Pegida und die AfD gefallen mir momentan ganz und gar nicht."

Jules Samlan, Glonn, ist vor 20 Jahren aus Togo geflohen. Mit seiner Frau Manuela kämpft er mit Vorurteilen auf beiden Seiten:

"Keine Seite akzeptiert, dass wir zusammen sind." Für Manuela und Jules Samlan hat sich einiges verändert. Oft sehen sie sich Anfeindungen ausgesetzt. Wie im Dezember beim Ebersberger Christkindlmarkt: Zunächst wurde Jules von zwei jungen Afghanen angepöbelt, warum er mit einer weißen Frau spazieren gehe. Auf dem Markt selbst wurde es nicht besser. Sätze wie "Die Alte kriegt wohl keinen anderen ab" fielen. "Ich komme mir vor wie von einem Tag auf den anderen in die Fünfzigerjahre zurückversetzt", sagt Ehefrau Manuela. Dabei verstehe sie, dass viele Deutsche Angst haben: "Ich finde es nicht gut, dass man das nicht sagen darf, ohne in eine Schublade gesteckt zu werden. Die Angst ist berechtigt." Neulich half das Paar in der S-Bahn einer jungen Frau. Zwei junge Asylbewerber hatten sich so hingesetzt, dass sie nicht aus dem Vierersitz herauskonnte. Jules Samlan schritt ein, sprach mit den jungen Männern; das Mädchen stieg dennoch eine Haltestation früher als geplant aus. Es sei, als wäre eine junge Elefantenherde ohne Leitelefanten nach Deutschland gekommen, die die Jüngeren anleiten und ermahnen können, beschreibt es Jules Samlan. Einige junge Männer würden sich hier Dinge herausnehmen, die sie sich in ihrer Heimat nicht getraut hätten. "Eine Afrikanerin würde sich nicht anfassen lassen", sagt seine Frau Manuela, die nach eigener Aussage in Togo manchmal rot werde, wenn sie sehe, wie wenig manche Frauen dort anhaben. Eine belästigte Frau würde sich dort wehren, dem Mann eine herunterhauen. In Deutschland würden derlei Konflikte vermieden; in anderen Ländern gilt das als Zeichen der Schwäche. Auch Jules Samlan wich zurück, als die zwei Afghanen ihn und seine Frau in Ebersberg anpöbelten. Das habe sie eher ermutigt als besänftigt.

Der 51-jährige Togolese ist stolz auf sein Leben, das er sich erarbeitet hat. Die 80 Mark Taschengeld, den Essenszuschuss und die 310 Mark für das Bett, die ihm der Staat vor 20 Jahren zwei Jahre lang als Asylbewerber gegeben hat, hat der Glonner Künstler längst zurückgezahlt. Sein Geld verdient er in Herrmannsdorf. Er hofft, dass auch andere Asylbewerber es schaffen, in Deutschland Fuß zu fassen.

Eine Ebersbergerin hat negative Erfahrungen gemacht:

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(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Täglich erreichen Asylbewerber die Grenze und werden von dort aus verteilt. Das Landratsamt Ebersberg hat immer mehr Probleme, die Menschen unterzubringen.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

In sechs von zehn Turnhallen leben mittlerweile Flüchtlinge, seit Mitte September auch in Markt Schwaben am Gymnasium.

"Ich sehe das sehr zwiegespalten." Es sei verständlich, dass die Flüchtlinge sich nicht über Nacht an die westlichen Werte anpassen könnten. Allerdings "gibt es aus meinem Bekanntenkreis einige Vorfälle, die mich zum Nachdenken bringen", sagt sie. Die Tochter einer Freundin wäre des öfteren mit Worten wie "Schlampe" und "Hure" beschimpft worden, weil sie im Sommer eine kurze Hose getragen hätte.

Robert Niedergesäß, Landrat, CSU:

"Köln hat schon seine Auswirkungen im Landkreis Ebersberg. Man spürt, dass das, was passiert ist, viele Menschen verunsichert und verängstigt hat. Ich bekomme E-Mails, in denen steht: Wir haben Angst. Ich verstehe das in gewisser Hinsicht, denn wir stecken ja nicht drin, wir wissen nicht, wer zu uns in den Landkreis kommt. Das ist übrigens nicht nur bei Asylbewerbern so, sondern bei allen, die zuziehen. Ich denke, man kann den Menschen die Angst nicht nehmen, aber offen damit umgehen und das Seine tun, damit die Sicherheit gewährleistet und so etwas verhindert wird. Wir arbeiten eng mit der Polizei zusammen, ich halte auch gar nichts davon, Informationen zurückzuhalten."

Der Geschäftsführer eines Fitnessstudios will Flüchtlinge trotz Beschwerden vom Training nicht ausschließen:

Einige Mitglieder haben sich darüber beschwert, dass auch Flüchtlinge in dem Fitnessstudio trainieren. Zwar ist es nur eine Handvoll Asylbewerber, dennoch haben einige Mitglieder sogar mit Kündigung gedroht. "Ich sehe die Flüchtlinge wie jedes andere Mitglied und werde es weiterhin unterstützen. Es ist doch schön, wenn sie ihr Geld in sinnvolle Freizeitaktivitäten investieren", findet der Studioleiter. Er betont: "Es ist nichts vorgefallen, was Grund zur Sorge wäre." Wenn man ein Problem habe, sich eine Trainingsfläche mit den Flüchtlingen zu teilen, dürfen man auch nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen, denn nicht nur im Fitnessstudio könne man Flüchtlingen begegnen. Mittlerweile habe sich die Anzahl der Asylbewerber im Studio aber verringert. "Ich denke, dass die ständige Frage, wie man die steigenden Flüchtlingszahlen bewältigen soll, die größten Unsicherheiten verursacht."

Olga Singer, Leiterin der Übergangsklasse der Mittelschule Markt Schwaben, sieht keine Folgen für ihre Arbeit:

"Das spitzt sich schon alles ganz schön zu", sagt Olga Singer mit Blick auf die Stimmung in der deutschen Gesellschaft. Doch ihre Arbeit als Lehrerin in der Übergangklasse der Mittelschule Markt Schwaben betreffe das nicht. Diese gibt es das zweite Jahr in Folge. Sie wird ausschließlich von Flüchtlings- und Einwandererkindern besucht, die vor allem Deutsch lernen sollen und auf den Schulalltag vorbereitet werden. "Ich hatte schon Angst, dass das Auswirkungen auf die Schule hat und sich die restlichen Kinder anders gegenüber den irakischen oder syrischen verhalten", erzählt die Lehrerin. Doch die Verschärfung der Asyl-Debatte mache sich in ihrer Klasse nicht bemerkbar. Zwar würden Streitthemen an der Schule schon angesprochen, "aber die Kinder gehen trotzdem normal miteinander um: Denen ist es egal, woher die anderen Kinder kommen."

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(Foto: Jan Linkersdörfer)

Jules Samlan ist seit 20 Jahren in Deutschland.

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(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Robert Niedergesäß setzt auf Transparenz.

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(Foto: privat)

Afrika ist am Ende, sagt Hajo Schneck.

Eine Mitarbeiterin des Frauennotrufs in Ebersberg warnt vor einer Vorverurteilung der Asylbewerber:

Beim Frauennotruf sind keinerlei Anrufe eingegangen, dass sich Mädchen oder Frauen von Flüchtlingen bedrängt gefühlt haben. "Es ist nicht der unbekannte Mann, der hinter einem Busch auf sein Opfer lauert", sagt sie. Vielmehr passierten die meisten Fälle von sexueller Belästigung im persönlichen Umfeld, etwa in der Partnerschaft. "Es ist mir wichtig, dass man die Flüchtlinge nicht sofort mit Gewalt an Frauen in Verbindung bringt." Oftmals sei es der gut erzogene deutsche Hausmann, der häusliche Gewalt ausübt, um Macht und Kontrolle über seine Frau zu erlangen. "Dass Gewalt an Frauen ausgeübt wird, hat meiner Meinung nach keinen Aufschwung durch die Aufnahme von Flüchtlingen erhalten."

Austin Opara, seit kurzem Landkreisbürger, merkt keinen Stimmungswandel:

"Ich sehe überhaupt kein Problem, ich merke auch nicht, dass die Deutschen mir gegenüber anders reagieren als zu vor."

Ein Polizist bleibt ruhig:

"Ich persönlich habe das Gefühl, dass die Asylpolitik seit den Vorfällen in der Silvesternacht etwas kritischer betrachtet wird", sagt der Beamte. Man merke auch, dass die Medien das Thema kritischer hinterfragen. Er denke aber nicht, dass es jetzt der richtige Weg sei, in Panik auszubrechen.

Ein Mitglied des Helferkreises, Grafing, bekommt die Angst der Flüchtlinge mit:

"Ich merke, dass sie Angst haben, dass der Vorfall in Köln zu sehr verallgemeinert wird und mit jedem Flüchtling in Verbindung gebracht wird." Die Flüchtlinge würden sich sehr betroffen darüber zeigen, was in Köln passierte, sagt die Grafingerin. Mehrmals hätten sich die Flüchtlinge im Namen aller dafür entschuldigt. "An meiner eigenen Einstellung wird sich absolut nichts ändern, ich habe keine Angst, auf den Straßen von Grafing unterwegs zu sein." Sie habe selbst einen Sohn und eine Tochter, die sie oft in die Unterkunft begleiten. Ihre Besuch löse jedes Mal große Begeisterung bei den Flüchtlingen aus. "Bedauerlicherweise fehlt an Grafings Schulen die Initiative, um den Flüchtlingen die Kontaktaufnahmen mit Gleichaltrigen zu erleichtern", stellt die Helferin fest.

Hajo Schneck , Anästhesist aus Ebersberg und Gründer der Organisation "Interplast", versteht die Fluchtgründe vieler Menschen:

"Ich denke schon, dass sich die Stimmung verändert hat durch die Vorfälle in Köln. Dadurch ändert sich aber nichts an meiner Meinung." Es sei für Frauen noch nie komplett sicher auf einer dunklen Straße gewesen, das habe nichts mit den steigenden Flüchtlingszahlen zu tun. Die Menschen benötigen Hilfe, es sei ihr gutes Recht, nach Deutschland zu kommen. Bisher hat sich Deutschland Schnecks Meinung nach sehr gut geschlagen, ein Rückschritt wäre alles andere als förderlich. "Allerdings gefällt mir ganz und gar nicht, wie die Polizisten von Köln jetzt zur Rechenschaft gezogen werden." Sie hätten schließlich nur ihre Befehle ausgeführt. Der Vorfall in Köln sei tragisch und nicht zu entschuldigen. Dennoch findet Schneck: "Die Welt funktioniert eben nicht mehr so einfach, dass man sich vor allem drücken kann."

Ein Student aus Ebersberg hofft auf ein friedliches Miteinander:

"Letztens saß ich im Café und am Nebentisch habe ich freiwillige Helfer mit zwei Asylbewerbern beobachtet. Sie haben ihnen geholfen, Unterlagen auszufüllen und über den letzten gemeinsamen Ausflug gesprochen. Genau so sollte es sein, dass man den Menschen hilft, sich hier zu integrieren." Einwohner und Flüchtlinge müssten sich arrangieren. "Diese Situation hat keiner kommen sehen, aber sie lässt sich nicht rückgängig machen. Ich denke, dass dadurch beide Parteien etwas dazu lernen, auch wenn es Überwindung kostet."

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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