Ebersberg:Fragwürdiger Eigenbedarf

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40 Gramm Speed bringen einem Auszubildenden eine Bewährungsstrafe ein, obwohl er abstreitet, damit gedealt zu haben

Von Anselm Schindler, Ebersberg

Es ist ein grauer Septembertag, drei Männer liegen in einer Wohngemeinschaft im nördlichen Landkreis vor dem Fernseher, als es klingelt. Sie öffnen die Tür, da dringen sechs Polizisten in ihre Wohnung ein. Sie haben einen Durchsuchungsbefehl. Der Grund: Verdacht auf Drogenbesitz. Und die Beamten werden fündig: Auf dem Couch-Tisch liegen einige Gramm Marihuana. In der Wohnung verteilt finden sich diverse Kiffer-Utensilien, eine Wasserpfeife und eine Mühle, mit der die Droge zerkleinert werden kann.

Dokumentiert ist das alles auf diversen Fotos in einer dicken Akte im Ebersberger Amtsgericht. Eine Aufnahme zeigt die Wohngemeinschaft. Es sieht ordentlich aus. Mit Drogen, so der erste Eindruck, können die drei Auszubildenden nichts zu tun haben - wären da nicht die 40 Gramm Speed, die als Vorwurf im Raum stehen.

Nur 0,3 Gramm des aufputschenden Amphetamins findet die Polizei bei der Hausdurchsuchung. Verpackt in einem Überraschungsei. Eine geringe Menge im Vergleich zu dem, was einer der drei Männer, ein 25-Jähriger, der nun vor Gericht steht, den Beamten im Verhör berichten wird. In Polen habe er eine größere Menge Speed in einer Disco gekauft, erklärte er der Polizei im Verhör. Für 4000 Zloty, also knapp 1000 Euro. Während der Gerichtsverhandlung will er davon allerdings nichts mehr wissen. Er gesteht zwar ein, die kleinere Menge des in der Wohnung gefundenen Speeds besessen zu haben, die strafbare Einfuhr aus Polen aber habe er niemals getätigt. Und schon gar nicht mit Speed gehandelt. Denn auch diesen Vorwurf legt die Staatsanwaltschaft dem jungen Mann zur Last.

Der Polizeibeamte, der den 25-Jährigen verhört hat, belastet ihn allerdings schwer. Er sei mit anderen jungen Männern aus der Drogenszene zum Haus des Angeklagten gefahren, sie hätten ihm erzählt, dass man dort "Pep" kaufen könne, ein Synonym für Speed. Dabei hätte alles auch anders kommen können: "Wenn Sie sich bei der Polizei nicht so stark selbst belastet hätten, wäre die Beweisführung schwierig geworden", wird der Richter dem Angeklagten bei der Urteilsverkündung sagen.

Mit gesenktem Kopf und sichtlich eingeschüchtert nimmt der das Urteil zur Kenntnis. "Ich dachte, wenn ich mich selbst belaste, könnte mir das helfe", sagt er. Eine falsche Annahmen, wie sich während des Prozesses herausstellt. Sämtliche Versuche, seine Aussage bei der Polizei als unglaubhaft darzustellen, scheitern. Hat er sich einfach nur "dumm angestellt?", wie ihm sein Anwalt attestiert. Und wie viel "Pep" war wirklich einmal in dem Überraschungsei? "Mehr als 20 Gramm", da ist sich der Polizist, der als Zeuge geladen ist, sicher. Seit 2008 arbeitet der Polizeihauptkommissar für die Poinger Polizei im Bereich Betäubungsmittel. Doch an manchen Stellen gerät seine Sachkompetenz in die Kritik.

"Ich habe gestern Salz in ein Überraschungsei gefüllt, 40 Gramm sind da reingegangen", erklärt der Polizeibeamte. Das soll als Beweis für die Menge Speed dienen, die der Angeklagte über die Grenze nach Deutschland gebracht habe. Eine zweifelhafte Beweisführung, wie der Anwalt des Angeklagten findet, Salz ist kein Speed. Doch auch 20 Gramm wären eine Menge, bei der es zweifelhaft scheint, ob der Angeklagte sie nur für den eigenen Konsum brauchte. Dieser Annahme liegt eine juristische Rechnung zugrunde. Etwa 20 Prozent Wirkstoffgehalt hatte das "Pep", das man in der Wohngemeinschaft fand. Das entspricht rund vier Gramm reinem Wirkstoff. Vier Gramm werden in Bayern in der Regel als "Eigenkonsum" akzeptiert, ab 7,5 Gramm Reinwirkstoff handelt es sich um eine "nicht geringe Menge", die bei Schmuggel über die Grenze mit bis zu zwei Jahren Haftstrafe geahndet wird.

Der Richter ermutigt den Angeklagten, endlich geständig zu sein, "es ist noch nicht zu spät", sagt er nach drei Stunden Verhandlung, die am Ende auf Antrag des Verteidigers unterbrochen wird. Zusammen mit dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft bespricht man sich im Richterzimmer. Nach rund 15 Minuten wird die Verhandlung fortgesetzt.

Der Angeklagte gesteht. Dass er das Speed in einem Warschauer Club gekauft und es nach Deutschland gebracht habe. Dass er aber mit dem Amphetamin gehandelt habe, das weist er von sich. Er sei eben öfter "feiern" gewesen, in einem Techno-Club in München, der für Drogenexzesse berüchtigt ist. "Eineinhalb Jahre Haft ausgesetzt zu drei Jahren Bewährung" lautet schließlich das Urteil, dazu knapp 100 Sozialstunden und diverse Drogen-Screenings. Wenn auch erst spät, so sei der Angeklagte doch geständig gewesen, begründet der Richter die Bewährungsstrafe. Ein Teil der Zeugen muss nicht mehr gehört werden, es handelt sich auch um die Mitbewohner des 25-Jährigen. Die drei Männer wohnen immer noch zusammen, Hausdurchsuchung hin oder her.

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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