Ebersberg:Flucht in die Anonymität

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Am 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag. (Foto: dpa)

HIV-Infizierte aus dem Landkreis lassen sich lieber in München behandeln. Vor allem, weil es in Ebersberg keine geeigneten Angebote gibt.

Von Annalena Ehrlicher, Ebersberg

"Mit Aids kann ich leben - mit Ausgrenzung nicht", lautet eines der Motive zum Welt-Aids-Tag an diesem Donnerstag, 1. Dezember. In Ebersberg wird der Tag, der unter dem Motto "Positiv zusammen leben" steht, mit einer Ausstellung im Landratsamt gewürdigt. Sie richtet sich ebenfalls gegen die Ausgrenzung von HIV-Erkrankten. Aus gutem Grund, wie Ingrid Middendorf berichtet.

"Bei Präventionsveranstaltungen in Schulen erleben wir immer wieder Momente, bei denen ich denke: 'Das müssen wir doch inzwischen überwunden haben'", erzählt Middendorf, die seit 16 Jahren in der Schwangerenberatungsstelle des Ebersberger Gesundheitsamts arbeitet und für die Aidsberatung der Kreisstadt zuständig ist. "Selbst wenn den Jugendlichen rational klar ist, dass man sich beim Trinken aus dem Glas eines HIV-Positiven nicht infizieren kann, ist das vielen trotzdem suspekt", erzählt sie.

Middendorf klärt aber nicht nur Jugendliche auf, sie berät auch Menschen, die in Sorge sind, sich mit dem Virus angesteckt zu haben. "Grundsätzlich kann man bei uns im Gesundheitsamt den Test anonym und kostenlos machen", sagt Middendorf. 55 Landkreisbürger haben das im Jahr 2016 wahrgenommen. Aufgrund von Datenschutzbestimmungen gibt es aber keine genauen Zahlen über Infizierte im Landkreis. Für die Region Oberbayern geht das Robert-Koch-Institut von 3300 Betroffenen aus, in München sollen es 2480 sein.

Dass sich in Ebersberg eher wenig Menschen testen lassen, erklärt Middendorf so: "Zum einen sind wir ja nur eine Stelle - den Test kann man aber bei jedem Gesundheitsamt und dem Hausarzt machen." Plausibel erscheint ihr, dass viele Menschen die Anonymität der Stadt bevorzugen und nach München fahren: "Die Stigmatisierungsangst ist riesig. Bei uns ist zwar alles anonym, aber natürlich könnte es passieren, dass man auf dem Flur jemandem über den Weg läuft, den man kennt."

Je besser der Arzt, desto länger lebt man

Karina Brändlin von der Psychosozialen Aids-Beratung München bestätigt den Eindruck: "Auch nach 30 Jahren HIV in Deutschland leben die Menschen immer noch mit dem Stigma." Die Idee für die Ausstellung im Landratsamt kommt von der Sozialarbeiterin: Die ausgestellten Bilder stammen aus dem Offenen Atelier, das ein Projekt der Bayerischen Aidsstiftung ist.

"Das Atelier gibt es schon seit den 1980er Jahren und viele der Leute sind auch dementsprechend lang dabei", so Brändlin. Die Ausstellung in Ebersberg soll sowohl die Aufmerksamkeit für HIV als Thema stärken als auch den Menschen, die hinter der Erkrankung stehen, Konturen geben. "Wir müssen weg von dieser Horrorvorstellung, die viele Menschen noch von Aids mit sich herumtragen", sagt Brändlin.

"Es besteht ein großer Unterschied, ob man beim Thema HIV theoretisch über jemanden nachdenkt oder jemand betroffen ist, den man mag", sagt Middendorf. Gehe es um theoretische Fälle, höre sie - auch von Schülern - immer wieder Spekulatonen über die "Selbstverschuldung" der Betroffenen.

Dabei hat sich die Aidsforschung in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt. Mit Medikamenten können Erkrankte eine ähnliche Lebenserwartung wie gesunde Menschen erreichen. "Dennoch gilt: Je besser und erfahrener der behandelnde Arzt, desto länger lebt man", so Brändlin.

Der Arzt Hermann Büchner, Leiter des Gesundheitsamtes Ebersberg, berichtete, dass das Gros der Menschen, die sich in Ebersberg testen lassen, als Risikofaktor heterosexuelle Sexualkontakte angeben hätten. Nur zehn der 33 Männer, die den Test 2016 durchgeführt haben, hätten homosexuelle Kontakte gehabt. "Von den Tests, die wir 2015 durchgeführt haben, war einer positiv", sagt Büchner. Eine Langzeitbetreuung für Betroffene könne man in Ebersberg allerdings nicht gewährleisten, "wir vermitteln dann zu den Schwerpunktpraxen in München", erklärt Büchner.

Die Ausstellung "30 Jahre Leben mit HIV" ist im Foyer des Landratsamts Ebersberg vom 1. bis 22. Dezember während der Öffnungszeiten zugänglich.

© SZ vom 01.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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