Ebersberg:Fehlende Brücken

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Im Landkreis gibt es zu wenige Einrichtungen, wo straffällige Jugendliche Sozialstunden leisten können

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Die meisten sind beim Schwarzfahren erwischt worden, manche haben im Laden geklaut oder Wände beschmiert. Es sind keine Kriminellen, mit denen Ernst Weinzierl von der Brücke Ebersberg arbeitet, "meistens sind es kleine Bagatellsachen, die dann vor Gericht landen", sagt er. Für Jugendliche und junge Erwachsene bedeutet dies: Sozialstunden. Sie müssen ein bis zwei Wochen in einer Einrichtung arbeiten. Man kann darin eine Strafe sehen, für Weinzierl ist es aber vor allem eine Chance. Sein Problem ist nur: Im Landkreis Ebersberg gibt es kaum mehr Einrichtungen, die dieser Chance einen Platz einräumen.

Es ist ein verbreitetes Phänomen, das im Landkreis Ebersberg zuletzt immer deutlicher wurde: Für Jugendliche, die vom Amtsgericht Sozialstunden aufgebrummt bekommen, gibt es immer weniger Stellen. Weinzierl, der die Jugendlichen betreut, hat mitgerechnet. Mitte der Neunziger Jahre hatte die Brücke Ebersberg insgesamt 27 Einsatzorte zur Auswahl. "Jetzt haben wir noch neun", sagt er. Der Grund sind Veränderungen in einer Informationsgesellschaft, die in den vergangenen 20 Jahren nicht nur die Region um München, sondern ganz Bayern verändert hat.

An den Bedingungen für Sozialstunden sieht man die Auswirkungen eines schleichenden Prozesses. Ein Sozialdienst muss bekanntermaßen so konzipiert sein, dass die Arbeit für eine breite Zielgruppe geeignet ist, also auch von jemandem gemacht werden kann, der wenig Erfahrung hat. Beliebt sind deshalb einfache Arbeiten in Küchen oder als Hausmeister. "In den Altenheimen und Krankenhäusern werden diese Tätigkeiten leider zunehmend wegrationalisiert oder outgesourced", sagt Weinzierl. Wenn das Essen von Großfabriken geliefert wird, braucht es keine Küchenhilfen mehr, wenn der Hausmeister von einer Agentur kommt, fällt auch das weg.

Diese Entwicklung ist mit ein Grund, warum Weinzierl am Donnerstag im Kreisjugendausschuss sprach. "Wir haben kaum mehr Möglichkeiten", sagte er im Landratsamt, was noch kein Hilferuf war, aber doch die Botschaft, dass es eng wird. Über das Jahr betreut die Brücke immerhin 230 bis 450 Menschen, "gleichzeitig sind es immer zwischen 100 und 130", sagt Weinzierl: Kinder aus Hartz-IV-Familien und Arztsöhne, eine bunte Mischung von 14- bis 21-Jährigen, aber auch Älteren, die ihre Geldbuße nicht bezahlen können. Sie alle müssen an immer weniger Orten Sozialarbeit finden. Übrig geblieben sind nur die Altenheime in Kirchseeon, Baldham, Markt Schwaben, Glonn und Heimstetten. Dazu kommen die Ebersberger Kreisklinik, das Tierheim in Riem und der Vaterstettener Wertstoffhof.

Wie wichtig die Arbeitsstunden für das Zusammenleben sind, zeigt ein Einblick in Weinzierls Alltag. "Für viele junge Leute eröffnet sich so eine echte Perspektive", erklärt er am Freitag am Telefon. Er erzählt von jungen Menschen, die drei Jahre keine Leerstelle gefunden haben. "Für sie ist es das erste Mal, dass sie wieder rauskommen, dass sie lernen mit Kollegen umzugehen." Es gebe viele, die so den Sprung ins Berufsleben schaffen, sagt Weinzierl. Entweder über eine anschließende Eingliederung durch die Ebersberger Brücke. Oder ganz direkt. "Manchmal kommt es auch vor, dass sich jemand so gut bewährt und gleich ein Angebot bekommt."

Weinzierl macht diese Arbeit seit 30 Jahren, er leitet die Brücke und hat dort viel erlebt - auch Fälle, die nicht so gut ausgingen. Es gibt Jugendliche, die den Richterspruch nicht annehmen wollen. "Wenn jemand nicht mitzieht, sagen wir den Betrieben ganz klar, dass sie ihn heimschicken dürfen", so Weinzierl. Das sei aber eher die Ausnahme. Zumal die Brücke - trotz des Rückgang an Sozialdienst-Stellen - nach wie vor versuche, eine Tätigkeit zu finden, die zum Menschen passt. Wer Haustiere gern hat, den versucht Weinzierl im Riemer Tierheim unterzubringen, wer sich eine Zukunft als Koch vorstellen kann, den vermittelt er in die Großküche der Ebersberger Kreisklinik. "Es soll keine Belohnung sein", sagt er. "Es soll die Leute aber im Leben voranbringen."

Und noch etwas hat sich verändert, wie in so vielen Bereichen des Lebens. Seit zwei Jahren hat Weinzierl auch zunehmend mit Flüchtlingen zu tun. "Am Anfang sind sie oft ängstlich, sie wissen nicht, was auf sie zukommt", sagt Weinzierl. Dass sie arbeiten sollen, sei dann oft eine große Überraschung. "Für manche ist es der Ausweg vom Nichtstun", so Weinzierl. Statt im Flüchtlingsheim zu sitzen, servieren sie gebrechlichen Menschen Essen, Hilfe statt Ohnmacht. Für die Altenheime, so Weinzierl, "da sind diese jungen Menschen ein echter Mehrwert". Egal ob Flüchtling oder Einheimischer.

© SZ vom 14.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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