Unter Druck:Ein halbes Haus für Doppelverdiener

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Die Preise für eine eigene Immobilie im Landkreis steigen Jahr für Jahr. Selbst Paare mit hohem Einkommen müssen Kompromisse eingehen: Mittlerweile verzichten etwa 50 Prozent aller Bauherren auf ein Kellergeschoss, auch die Gartengestaltung muss oft noch lange warten

Von Jessica Morof, Kirchseeon

L-förmig öffnet sich der große, helle Raum hinter dem Eingangsbereich. Die Abendsonne wirft warme Strahlen durch die raumumfassende Fensterfront auf den dunkelbraunen Parkettboden des Wohn- und Essbereichs, der sich nach hinten zu einer Küchenzeile mit Theke erstreckt. Helle Wände, weiße Schränke und der hellbraune Holztisch bilden einen lockeren Kontrast zu den dunklen Böden. Modern, aber gemütlich wirkt das Erdgeschoss im Neubau der Familie Kugler, die eigentlich anders heißt, in Kirchseeon. Vor etwa einem Jahr sind Christian und Marion mit Tochter Linda in ihre neue Doppelhaushälfte eingezogen: 160 Quadratmeter Wohnfläche mit sechs Schlafzimmern auf 300 Quadratmetern Grundstück. "Das hatten wir uns am Anfang schon anders vorgestellt - schließlich sind wir beide berufstätig", erinnert sich Christian an die Zeit der Bauplatzsuche. Denn ursprünglich wollte die Familie ein Grundstück von 600 bis 700 Quadratmetern für ein frei stehendes Einfamilienhaus kaufen. Früher waren das keine überzogenen Ansprüche; heute können sich das in München und Umland nicht einmal mehr Gutverdiener leisten.

Das spüren im Landkreis Ebersberg etliche Paare und Familien, die sich nach einem Eigenheim sehnen. In den vergangenen Jahren haben beinahe alle Gemeinden Einwohner hinzugewonnen - den Großteil machen zugezogene Familien aus Stadt und Kreis München aus; Paare mit kleinen Kindern und dem Wunsch, Herr über die eigenen vier Wände sowie über den Garten zu sein. Doch der große Andrang treibt die Preise in die Höhe und drückt gleichzeitig die Größe der Bauflächen. Laut dem Grundstücksmarktbericht 2014 ist der Preis für den Quadratmeter Bauland seit 2012 um fast ein Viertel von 458 auf 569 Euro gestiegen. Trotzdem ist die Nachfrage nach Eigenheimen ungebrochen. Doch wie kann man sich das überhaupt noch leisten? Und welche Opfer müssen die Hausbesitzer bringen?

"Es geht einfach nicht mehr für jeden", lautet das Fazit von Bernd Meindl von Fingerhaus, einem Anbieter von Fertighäusern mit Sitz in Poing. Die meisten seiner Kunden seien Doppelverdiener mit zwei guten Einkommen, bekämen Unterstützung von den Eltern oder bauten sogar mit ihnen zusammen. Eine andere Möglichkeit ist, die Finanzierung über einen sehr lange Zeitraum laufen zu lassen.

Marion und Christian Kugler gehören zu der Gruppe der Gutverdiener: Er ist promovierter Diplom-Ingenieur, sie war lange Zeit Unternehmensberaterin und arbeitet inzwischen bei einer Versicherung in leitender Position. Beide arbeiten in Vollzeit. Vor dem Hausbau hat die Familie in einer Eigentumswohnung in München gewohnt, die sie zu sehr guten Konditionen verkaufen konnte - die Voraussetzungen für das Eigenheim im Grünen waren also perfekt. Das Wunschhaus konnten sie sich trotzdem nicht leisten. "Es gibt momentan keine Schnäppchen", sagt Christian Kugler. "Man macht eben immer einen Kompromiss." Unzufrieden sind sie mit ihrem Haus deswegen nicht - sie hatten sich zu Beginn einfach mehr Möglichkeiten ausgerechnet. Weit oben auf ihrer Prioritätenliste standen die S-Bahn-Anbindung, die Nähe zu München, wo beide arbeiten, ein Keller und der Garten. Das alles haben sie bekommen, nur eben mit Abstrichen. Dass es kein Einfamilienhaus, sondern ein Doppelhaus mit kleinerer Fläche werden würde, war beiden schnell klar.

"Die Baugebiete heutzutage sind relativ dicht", bestätigt Thomas Stark von der Gemeindeverwaltung in Poing; eine der Gemeinden, die eine besonders hohe Neubautätigkeit aufweisen. Das sei bereits vor fünf Jahren so gewesen. "Aber die Nachfrage bleibt hoch, trotz kleiner Gärten." Ganz nach dem Motto: Besser ein kleiner Garten als gar keiner. Laut Stark sind aktuell Reihenhäuser am beliebtesten, dicht gefolgt von Doppelhaushälften. Frei stehende Einfamilienhäuser suchten hingegen weniger Bauwillige. Die Nachfrage, so Stark, bestimme eben das Angebot. Doch eigentlich - so scheint es zumindest - ist es genau andersherum.

In Poing liegen die meisten Baugebiete bereits seit den 70er Jahren in der Hand von Bauträgern, in anderen Gemeinden ist das ähnlich. Die Anbieter bauen klein und eng, um möglichst günstig, aber auch möglichst viel zu verkaufen. Wer nicht vom Einheimischenmodell profitiert, für den "gibt es eigentlich fast nur Angebote von Bauträgern", ist auch Christian Kuglers Eindruck. Die Monopolstellung verschafft den Anbietern einige Freiheiten. Jede Abweichung vom Basishaus kostet extra: andere Böden, anderer Kamin, andere Fliesen. Diese Möglichkeit, dem Heim einen individuellen Touch zu verleihen, lassen sich die Bauträger sehr gut vergüten. Denn die Sonderwünsche kosteten mehr als das Delta zwischen den Materialkosten, vermutet Kugler. Trotzdem hat sich die Familie für spezielle Böden, andere Fliesen und eine umgestaltete Hofeinfahrt entschieden. Sonderwünsche und den Garten haben sie von Beginn an in der Finanzierung berücksichtigt - jedoch nicht ausreichend. "Das kann man sich gar nicht vorstellen, was Pflastersteine kosten", sagt Marion Kugler und schüttelt lachend den Kopf.

Ihren Lebensstil haben die Kuglers trotzdem nicht in besonderem Maße herunterschrauben müssen, auch bei der Einrichtung blieben große Abstriche aus. Allerdings fließen ihre Einnahmen nun weniger in die Freizeitgestaltung, sondern direkt in das Haus und den Garten. "Der letzte Urlaub ist schon eine Weile her", gibt Marion Kugler zu und wippt ihre Tochter Linda auf dem Schoß. Einen unglücklichen Eindruck macht die Familie aber nicht: Man sitzt am gemütlichen Esstisch, verspeist selbst gebackene Muffins, draußen, unter dem großen Balkon vor dem Wohnzimmer, wartet der Garten als heimischer Erholungsraum. Noch besteht er nur aus Kies und Gestrüpp, "aber er ist jetzt schon eine Bereicherung", betont Christian Kugler.

Preislich liegt das Haus der Kirchseeoner ungefähr im Durchschnitt. Etwa 730 000 Euro muss man laut Sozialbericht des Landratsamts Ebersberg in der Region für eine Doppelhaushälfte bezahlen. In den Orten mit S-Bahn-Anschluss und im Norden an der Autobahn kostet es mehr; nach Süden hin werden die Grundstücke etwas günstiger.

Diese Tatsache hat sich Familie Pfeiffer, die ebenfalls anders heißt, zu Nutze gemacht und in Glonn ein Häuschen gebaut: Auf 500 Quadratmetern Grund hat das Ehepaar für 600 000 Euro ein frei stehendes Fertighaus errichtet. Zuvor hat es in Baldham zur Miete gewohnt und "den Vermietern das Geld in den Rachen geworfen", sagt Martin Pfeiffer. Er freut sich, dass er und seine Frau nun ihre eigenen Herren sind und sie sich nicht mit den Nachbarn auseinandersetzen müssen. Das Ehepaar rechnet damit, dass es etwa 30 Jahre dauern wird, bis das Haus abbezahlt ist. "Wenn ich die Warmmiete mit der Warmfinanzierung vergleiche, dann sind das im Monat nur 500 Euro mehr", sagt der Hausbesitzer zufrieden.

Dass die Pfeiffers ausgerechnet nach Glonn gezogen sind, war Zufall. Sie wollten raus aufs Land, deshalb haben sie sich vor vier Jahren einfach ins Auto gesetzt und in der Region umgesehen. Zufälligerweise fiel ihnen das Schild zu dem Bauplatz auf - kurze Zeit später hatten sie schon ein Informationsgespräch mit dem Anbieter. Die Gemeinde und das Grundstück haben ihnen gefallen. "Und hier kann man es sich noch leisten", sagt Martin Pfeiffer. Dabei zählen auch sie zu den besser verdienenden Hausbesitzern, die alles selbst finanzieren: Etwa 25 Prozent Eigenkapital konnten sie vor Baubeginn vorweisen.

Doch auch die beiden Neu-Glonner sind Kompromisse eingegangen. Verzichten mussten sie beispielsweise auf das Kellergeschoss, da auf ihrem Grundstück das Oberflächenwasser nur schlecht versickert und ein Keller hundertprozentig wasserdicht sein muss. Dieser Aspekt hätte den ohnehin stolzen Kellerpreis von etwa 40 000 Euro um zusätzliche 25 000 Euro angehoben. Kleine Abstriche machten sie zudem beim Garten - allerdings nur, was die Zeit betrifft: Zwei Jahre Arbeit hat Sandra Pfeiffer bereits in den Außenbereich gesteckt. Neben Hauseinrichtung und Arbeit legt sie den Garten selbst an, was eben seine Zeit dauert. "Ich bin sicher, dass wir auch in zehn Jahren noch etwas zu tun haben", sagt Martin Pfeiffer und lacht. Überhaupt lacht er häufig, während er von seinem Haus berichtet - er scheint zufrieden mit dem neuen Heim.

Dass die Gestaltung der Außenanlage erst einmal hinten angestellt wird, ist laut Verkaufsberater Bernd Meindl inzwischen ganz normal. Auch das fehlende Kellergeschoss stehe weit oben auf der Liste der Dinge, die aus finanziellen Gründen gestrichen werden müssen. Noch vor ein bis zwei Jahren hätten etwa 75 Prozent der Neubauten einen Keller gehabt - heute seien mindestens 50 Prozent stattdessen mit einer Fundamentplatte ausgestattet. Damit spare man sich schnell bis zu 50 000 Euro, auch wenn ein Haus ohne Keller dafür ein bisschen größer werden sollte. Solche Kompromisse gehören beim Hausbau heutzutage einfach dazu. Das muss Meindl vielen künftigen Eigenheimbesitzern jedoch erst einmal klar machen: "Der ein oder andere geht schon blauäugig an den Hausbau heran." Deshalb müsse er bei der Planung auch mal hart bleiben und deutlich sagen: "Die Wünsche, die Sie jetzt haben, sind nicht realisierbar."

Das Ehepaar Pfeiffer hingegen hat sich gut auf den Hausbau vorbereitet. Vor allem Sandra Pfeiffer hat sich in alle Anforderungen und ins Baurecht eingearbeitet. Zusätzlich zog das Paar einen unabhängigen Bausachverständigen hinzu. "So haben wir gute Kompromisse gefunden", betont Martin Pfeiffer. Nur über die Grundstückslage direkt an der Durchgangsstraße in Glonn ist er nicht mehr ganz so glücklich: "Das würden wir uns vielleicht anders wünschen. Aber so ist es jetzt eben." Probleme gebe es beim Hausbau immer, aber es komme darauf an, wie man damit umgehe.

Mehr Probleme mit der Lage ihres neuen Heims haben Marion und Christian Kugler in Kirchseeon. "Am schwersten einzusehen war für uns die Entfernung nach München", sagt sie. Denn eigentlich wollte das Paar ein ganzes Stück näher an der Landeshauptstadt wohnen, in der beide ihren Arbeitsplatz haben. Außerdem war die S-Bahn-Anbindung wichtig. Doch je dichter an München, desto höher sind eben die Preise. Die Familie hat online sogar Grundstücke mit unter 200 Quadratmetern gesehen. "Da hat dann wirklich nur noch ein Handtuch im Garten Platz", sagt Christian Kugler und schüttelt den Kopf. Nun müssen beide von Kirchseeon nach München pendeln - und stehen meist lange im Stau. Marion verbringt täglich etwa eineinhalb Stunden im Auto. Für sie ist dies das größte Opfer, das sie für das Eigenheim bringen muss. Denn das ist Zeit, die die berufstätige Mutter lieber mit ihrer Tochter verbringen würde. "Jede Minute, die ich am Abend im Stau stehe und weiß, dass Christian und Linda schon zu Hause sind, schmerzt."

© SZ vom 07.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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