Ebersberg:Dressler im Doppelpack

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2003 malte Hildegard Dressler diese Küchenszene, das Bild ist derzeit im Ebersberger Rathaus zu sehen. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Zehn Jahre nach dem Tod des Aktionskünstlers Otto Dressler stellt Archivarin Antje Berberich seine Werke im Landratsamt aus. Die Porträts seiner Frau Hildegard sind im Rathaus zu bewundern

Von Anselm Schindler, Ebersberg

Sein Künstlerkittel hängt schon lange nicht mehr im Atelier in Moosach. Zehn Jahre nach dem Tod Otto Dresslers hat die Galeristin und Archivarin Ebersbergs, Antje Berberich, den bunt beklecksten Kittel ins Foyer des Landratsamtes geholt, mit einer Ausstellung wird dort seit Montag des Aktionskünstlers Dressler gedacht, dessen Werk auch nach seinem Tod noch weh tut. "Die Mitarbeiter hier im Landratsamt verzweifeln an dieser Ausstellung, aber genau das wollte er. Er wollte schockieren." Antje Berberich, die lange und eng mit Dressler und seiner Frau Hildegard befreundet war, sagt das mit einer gewissen Genugtuung.

Neben Otto Dresslers Portrait ist auch sein Arbeitskittel Teil der Ausstellung. Foto: Peter Hinz-Rosin (Foto: N/A)

"Begrenzungen" steht am unteren Rand eines schwarzen Kastens, 30 Zentimeter ist er breit, 40 hoch, im Kasten ein Teil eines Aktenordners, schwarze Flecken, am unteren Ende eingefasst von einem Stück Stacheldraht. Daneben eine zerfledderte Deutschlandfahne. Das Werk Otto Dresslers mit seiner Kritik an der kalten Bürokratisierung, an der Entmenschlichung des Menschen durch Apparate, der Begrenzung der Menschlichkeit durch Stacheldraht ist aktuell wie nie.

Sind die Werke des Pazifisten Dressler zu brutal für Kriegsflüchtlinge?

Am Ende des Ganges, in dem neben diesem Kasten noch viele weitere hängen, befindet sich die Geldausgabestelle für Asylbewerber. Kommen sie ins Landratsamt, müssen sie an den Kästen vorbei. Man wollte die geflüchteten Menschen nicht mit Kunstwerken, in denen Waffen zu sehen sind, viel Blut, Totenköpfe und auch echte Knochen, konfrontieren, erklärt Walter Brilmayer, stellvertretender Landrat und Ebersbergs Bürgermeister bei der Vernissage am Montagabend. Deshalb habe man die Kästen, während sie in den vergangenen Tagen aufgehängt wurden, umgedreht. Doch es sei bereits eine Führung für Flüchtlinge geplant, erklärt Brilmayer, der Helferkreis will den Asylbewerbern die Werke erklären.

Auch mit dem Folterskandal von Abu Ghraib hatte sich Dressler auseinandergesetzt. (Foto: Christian Endt)

Dressler habe gewusst, dass die Ausgebeuteten, Unterdrückten und Zerbombten bald in größerer Zahl gen Europa drängen würden, sagt Antje Berberich, ihr Lächeln wirkt verbittert. Viele der Bild-Kästen thematisieren eindrucksvoll die Militarisierung der Gesellschaft, klagen die Raubzüge westlicher Staaten in Nah-Ost an. Ein Bild-Kasten befasst sich mit dem Folterskandal, bei dem US-Soldaten im irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis Insassen quälten. Auch das schmerzt.

Dressler, der sich vor allem als politischen Aktionskünstler sah, schafft es auch nach seinem Tod, zu Diskussionen anzuregen, dem Betrachter durch die Grobheit und Direktheit seiner Kunst Diskussionen förmlich aufzuzwingen. Das ist sein Vermächtnis. Politischer Streit sei seine Hauptintention gewesen, erinnert sich Hubert Maier, der ebenfalls aus Moosach stammt und 15 Jahre lang ein freundschaftliches Verhältnis zu Otto Dressler, seinem Nachbarn und Künstlerkollegen pflegte.

Otto Dressler suchte eine Öffentlichkeit, die ihn oft nicht verstand

Viel AKW, viel RAF, viel schwarz und rot, Blut und Tod, die Installationen, teils meterhohe Plastiken und Collagen, erschlagen den Betrachter förmlich. Otto Dressler selbst, der als Performance-Künstler selbst Teil seines Werkes war, fehlt. Anfang der 90er Jahre, als er öffentlichkeitswirksam gegen das Wiedererstarken des Nationalismus mobil machte, wurde er bei Kunstaktionen in der Münchner Fußgängerzone auch tätlich angegriffen, geschlagen und angespuckt. Seine Kunstwerke im öffentlichen Raum wurden zerstört, auf eine Ausstellung im Münchner Gasteig wurden mehrere Brandanschläge verübt.

Mit Gewalt und Tod und deren Werkzeugen beschäftigte sich Otto Dressler intensiv. Das Foto entstand 2004 in seinem Moosacher Atelier. (Foto: EBE)

Doch Dressler ließ es sich nicht nehmen, seine Kunst auf die Straße und in die Öffentlichkeit zu tragen, raus aus den Ateliers, raus aus der Vermarktung. Er widersprach damit auch der kapitalistischen Verwertung der Kunst. In Erinnerung geblieben ist vor allem eine Kunstaktion gegen Nationalismus und Krieg in einem Schaufenster am Berliner Kurfürstendamm. Dresslers Kunstaktionen wurden auch zum Testfall für die Öffentlichkeit: Wie umgehen mit den aufgeworfenen Fragen und Provokationen? Otto Dressler hat die Öffentlichkeit immer wieder genötigt, nach Antworten auf erkennbare Missstände zu suchen. Geboren ist Otto Dressler 1930 in Rheinland-Pfalz. Als Kind und Jugendlicher erlebte er die Gewaltherrschaft der Nazis, das hat ihn lebenslang geprägt. Nach seinem Abitur begann er eine Ausbildung zum Steinmetz, in den Jahren darauf schuf er 43 Denkmäler, die an die Toten des Zweiten Weltkrieges erinnern.

Kritiker haben ihm oft vorgeworfen, zu plakativ zu sein, zu drastisch. Doch "plakativ" sei, was Dressler betrifft, kein negatives Wort, sagt Antje Berberich. Er wollte im Gegensatz zu anderen Künstlern eben direkt sein, nicht viel Spielraum für Interpretation lassen. Vielleicht hätten "deshalb gerade Feuilletonisten und Kunsthistoriker ob einer allzu deutlichen und nicht misszuverstehenden Aussage meiner Arbeiten ihre Schwierigkeiten. Es bedarf halt nicht ihrer wissenschaftlichen Vertiefung". Das hat Otto Dressler in einem Gespräch mit dem Grafinger Galeristen Dieter Wegmann einmal gesagt. Das Gespräch wurde 1993 in einem Begleitheft zur Ausstellung "Unser Land - Argumente zum Leben in Europa" abgedruckt.

Vom Berliner Tagesspiegel wurde Otto Dressler einmal als "meistbeschimpfter Künstler der Gegenwart" bezeichnet. Es gibt eben die Sorte von Empörung, die nur verurteilt, was vom bürgerlichen Konsens abweicht. Einer Kunst, vor der die Gesellschaft nicht erschrickt. Und es gibt die Sorte empörter Kunst, die nicht davor zurückschreckt, jemanden vor den Kopf zu stoßen. "Soldaten sind Mörder", das steht auf einem weiteren der rund 300 Bild-Kästen, die Dressler über die Jahre geschaffen hat. Ausgestellt war er ausgerechnet in der Hamburger Bundeswehr-Hochschule, was dort für einigen Unmut sorgte.

Für Otto Dressler war seine Frau "die wahre Künstlerin"

Es tut dem Werk Otto Dresslers keinen Abbruch, wenn Berberich ihn als "brutalen Handwerker" bezeichnet. Trotz seiner "brutalen" Kunst sei er ein sehr feiner, sensibler und hochgebildeter Mensch gewesen, sagt die Archivarin. Das Brachiale entsprang nicht Dresslers Persönlichkeit, es war und ist ein Abbild der Gesellschaft. "Als er starb da hat die Hille gesagt: 'Komm Antje, räum das Haus aus'", erinnert sich Berberich. Sie hat auch die Bilder Hildegards geerbt, die sie liebevoll "Hille" nennt. Und "Hille" sei bis heute unterschätzt, jahrelang lagerten ihre Porträts in einer Dachstube, während Otto an die Öffentlichkeit drängte, behielt sie ihre Werke lange für sich. "Hille" verstarb im April vergangenen Jahres, auch ihre Werke werden derzeit in Ebersberg ausgestellt. Seit Montag sind sie im Rathaus zu bewundern.

"Meine Frau ist die wahre Künstlerin - ich bin bloß ein Handwerker, der die Öffentlichkeit schockt", das habe Otto Dressler einmal zu ihr gesagt, erinnert sich Berberich. Es sei damals nicht leicht gewesen, Hildegard Dressler, ihres Zeichens Kunsterzieherin, zu überzeugen, einige ihrer Porträts auszustellen, so Berberich. Doch die Überzeugungsarbeit hat sich gelohnt.

Boxer im Ring ist das Motiv eines der Bilder Hildegard Dresslers, die nun im Ebersberger Rathaus zu sehen sind. (Foto: Christian Endt)

Schemenhaft und trotzdem voller Bewegung hat Hildegard Dressler im Jahr 2005 Boxer gemalt, mit Farbstift und Acryl. Auch ihre Bilder strahlen etwas Düsteres aus, gerade nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2006 habe sie sich sehr schwer getan mit dem Malen, "viel schwarz und rot, voller Schmerz" seien die Bilder gewesen, erinnert sich Antje Berberich. Aus dieser Zeit stammt auch ein Bild, das am Ende eines Ganges im zweiten Stock des Rathauses betrachtet werden kann: Rote und schwarze Flecken sind darauf zu sehen, wilde, aggressiv gepinselte Striche. "Das ist Otto", steht auf dem Bild geschrieben. Mit dem Werk versuchte sich Hildegard Dressler die Trauer von der Seele zu malen. Doch auch in den Jahren davor waren ihre Porträt-Bilder nie von Leichtigkeit geprägt, sondern spannungs- und konturenreich. Er könne nicht im Atelier sitzen und Blümchen malen, hat Otto Dressler im Gespräch mit Galerist Dieter Wegmann einmal gesagt. Dasselbe galt für Hildegard.

Die Doppelausstellung Otto und Hildegard Dressler ist bis 5. August zu sehen. Im Ebersberger Rathaus von Montag bis Freitag, 8 bis 13, Donnerstag auch 14 bis 18 Uhr, und im Landratsamt montags bis mittwochs von 7.30 bis 17 Uhr, donnerstags bis 18 und freitags bis 12.30 Uhr.

© SZ vom 13.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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