Ebersberg:Dramaturgischer Coup

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Die erste Freilichtaufführung des Ebersberger Trachtenvereins wird alle bisherigen Inszenierungen in den Schatten stellen. Gespielt wird "Die Geierwally", ein kraftstrotzendes, hartes Stück von Felix Mitterer

Von Anja Blum, Ebersberg

Es ist eine gern verbreitete, weil tröstliche Weisheit, dass aus Krisen oft Gutes entsteht. Wer dafür ein höchst anschauliches Beispiel sucht, sollte am kommenden Wochenende zu einer der Theateraufführungen der Ebersberger Trachtler gehen. Der Verein hat durch die Schließung der Sieghartsburg seine angestammte Bühne verloren - aus dieser Not aber eine Tugend gemacht. Und was dabei heraus kam, kann sich sehen lassen: Die Ebrachtaler beschlossen, nicht in den Bürgersaal umzuziehen, sondern erstmals eine Freilichtaufführung zu wagen. Und diese wird - das lässt sich nach der ersten Durchlaufprobe mit Kostümen, Technik und Musik bereits sagen - alle bisherigen Inszenierungen in den Schatten stellen.

Gespielt wird auf dem Gelände rund um das Vereinsheim westlich der Schwabener Straße, das wie geschaffen ist für solch ein Unterfangen: Das Refugium der Trachtler ist ein denkmalgeschützter Bauernhof aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ein zweigeschossiges Holzblockhaus, das in den 80-er Jahren von Hohenlinden nach Ebersberg versetzt und dort originalgetreu wieder aufgebaut wurde. Mit seinen kleinen Fenstern, den Geranien darunter und der hölzernen Fassade bietet es genau das richtige bäuerliche Ambiente für das Theater der Trachtler. Hinzukommt, dass das Gebäude umgeben ist von schöner, wilder Natur, denn es schmiegt sich direkt an die Ausläufer der Ludwigshöhe an. Große Bäume und ein bewaldeter Steilhang bilden nun eine einzigartige Kulisse, die gerade für die diesjährige Inszenierung essenziell ist.

Stunts am Steilhang (Foto: Christian Endt)

Denn, und das ist der zweite Coup der Theatertruppe, heuer steht in der "Geierwally" erstmals keine Komödie, sondern ein dramatisches Werk auf dem Programm. Noch dazu eines, das perfekt zur Atmosphäre des neuen Spielortes unter freiem Himmel passt, nein, sogar einen solchen verlangt: "Die Geierwally" in der Sieghartsburg wäre wohl eine Zumutung gewesen. Es ist ein hartes, kraftstrotzendes Stück Theater aus der Feder von Felix Mitterer, in dem es vor allem um persönliche Freiheit geht, aber auch um die archaischen Konflikte zwischen Klein und Groß, Arm und Reich. Im Zentrum steht eine Bauerstochter mit dem Spitznamen Geierwally, die einer historischen Figur nachempfunden ist. Der Grundkonflikt, der in ihr angelegt ist, zeigt sich gleich zu Beginn: "I duck mi ned!", ruft die junge Frau wild entschlossen, als sie in einer Steilwand hängt, um ein Adlernest auszuräumen, und die glotzenden Mannsbilder vor dem Anflug des Muttertiers warnen. Da wird schnell klar: Diese stolze Frau spaltet das Dorf.

Hintergrund dieser Episode ist, dass man die großen Greifvögel fürchtete, weil sie die kleinen Lämmer jagten - weswegen die Adler vom Volksmund Geier geschimpft wurden. Die mutige Bauerstochter jedoch zieht das Jungtier auf, zähmt es und wird so zur Geierwally. Sie selbst ist allerdings alles andere als zahm, ganz im Gegenteil. Die Hauptfigur ist eine starke, emanzipierte Frau - die das Pech hat, einen despotischen Vater und darüber hinaus keinen Bruder zu haben. Daher soll sie einmal den elterlichen Hof übernehmen, den geeigneten Schwiegersohn hat der Vater auch schon parat. Doch die Tochter liebt einen anderen, widersetzt sich - es kommt zum Zerwürfnis. Und das dramatische Geschehen nimmt seinen Lauf. . .

Raufereien: Die Theatergruppe der Ebrachtaler lässt es diesmal richtig krachen. (Foto: Christian Endt)

Drei Stunden braucht die Theatertruppe der Ebrachtaler, bis sie die Geschichte um die Geierwally in der ersten Durchlaufprobe zu Ende erzählt hat - am Tempo muss sie also noch etwas arbeiten. Doch alles andere sieht schon sehr gut aus. Bis auf ein paar wenige kleine Pannen, hauptsächlich technischer Natur, geht die Inszenierung problemlos über die Bühne. Am Anfang zum Beispiel vergisst der ein oder andere Darsteller, hinter der Bühne sein Headset auszuschalten, so dass die Probe immer wieder von unpassenden Stimmen aus dem Off gestört wird. Doch darüber kann selbst die Regisseurin lachen. Ansonsten aber nimmt Doris Lang die Sache sehr ernst. Aufmerksam verfolgt sie das Geschehen auf der Bühne und bemerkt jedes missglückte Detail: "Wieso hat der jetzt keine Jacke an? Der kommt doch grad vom Berg!", schimpft sie in sich hinein. "Das ist doch unlogisch so."

Doch der Großteil klappt, die Schauspieler sind allesamt sehr textsicher und haben ihre Bewegungsabläufe gut verinnerlicht. Vor allem die Hauptdarsteller sind mit Verve dabei, gehen in ihren Rollen sichtlich auf, so dass ein authentisches Spiel entsteht. Dabei müssen sie bei diesem Stück schon in die Vollen gehen: Es wird gestritten, geprügelt, geweint, geliebt - also die ganze Klaviatur menschlicher Emotionen bespielt. Allen voran Susanne Steinherr überzeugt, ihr nimmt man die stolze Geierwally zweifelsohne ab. Aber auch Schorsch Heindlmeier vermag es, den herrischen Vater Respekt einflößend zu mimen. Den Antagonismus der zwei Männer im Leben der Geierwally, den verhassten Bauern und den geliebten Jäger, erwecken Willi Lang und Marcus Müller gekonnt zum Leben.

Ein erlegter Bär (Foto: Christian Endt)

Etwa 35 Darsteller stehen diesmal auf der Bühne der Ebrachtaler, so viele wie nie zuvor. "Das muss so sein, sonst wirkt die große Bühne ja leer", erklärt Regisseurin Doris Lang. Und tatsächlich, der neue Spielort bietet viel Raum: Man sieht dort ein Wirtshaus samt Biergarten, den Hof der Geierwally und eine abgelegene Hütte, außerdem wurden am Berg Wege angelegt, so dass auch dieser bespielt werden kann. Und auch an anderer Stelle haben die Ebrachtaler nicht gekleckert: Scheinwerfer, Headsets - all die Technik hatte man in der Sieghartsburg nicht gebraucht. Für das Publikum wurde eine riesige Tribüne aufgebaut, die mit Zelten vor Regen geschützt ist. Darauf passen laut Lang etwa 280 Zuschauer, außerdem könne man bei Bedarf vor der Tribüne noch einmal etwa zehn Biergarnituren aufstellen. Die Schauspieler selbst sind nicht vor Nässe geschützt. "Aber da muss es schon richtig schütten, dass wir Pause machen", sagt die Regisseurin, "wir haben auch schon bei leichtem Regen geprobt".

Improvisieren muss die Theatergruppe, um den besten Freund der Geierwally greifbar zu machen, ihren Adler. "Ein echter war natürlich nicht zu bekommen, aber auch kein ausgestopfter", erzählt Lang, "aus Naturschutzgründen". Ist das Tier laut Drehbuch im Anflug, bläst die Regisseurin in eine Pfeife, die um ihren Hals hängt, und ein schriller Ton hallt über den Platz. Zudem bauten die Theaterleute eine Voliere, einen Bretterverschlag. Vor diesem steht die Hauptfigur, wenn sie mit dem Vogel einsame Zwiesprache hält. In dem Käfig sitzt aber eben kein Adler, sondern der Souffleur. Und so erwächst auch hier aus der Not eben doch etwas Gutes.

Sieht und hört alles: Regisseurin Doris Lang. Kein Wunder, denn sie ist es, die dem Adler mit einer Pfeife Stimme verleiht. (Foto: Christian Endt)

"Die Geierwally": Freilichttheater der Ebrachtaler, am Vereinsheim in der Schwabener Straße 13 in Ebersberg, gespielt wird am Donnerstag, 23. Juli, Freitag, 24., Samstag, 25. und Sonntag 26. Juli, jeweils um 20 Uhr (Einlass 18.30 Uhr). Karten für 20 Euro gibt es unter www.ebrachtaler-ebersberg.de oder telefonisch unter (01 57) 52 67 76 93.

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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