Ebersberg:Die Bosheit des Belanglosen

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Aus tausenden toten Fliegen und Stecknadeln fertigt Sebastian Weggler Objekte, die sich jeder Ästhetik verweigern. In Teppichen und Reliefs spielt er mit seiner künstlerischen Identität

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Das Erschrecken ist fast so heftig wie das Bedürfnis zu lachen. Der Rundgang im Foyer der Alten Brennerei in Ebersberg beginnt ja zunächst mit einer milden Enttäuschung. Banale Stickbilder, wie Kinder sie für den Muttertag und Hausfrauen am Feierabend basteln, hat offenbar der Künstler Sebastian Weggler hier in Glaskästen aufgehängt. Es sind Bilder, wie sie in spießbürgerlichen Haushalten gerne die Wände schmücken. Die Motive sind banal - ein Automobil, eine Burg (vermutlich Burg Eltz), eine Eistüte, eine Unterhose!

Bei genauerem Hinsehen aber folgt die ungeheuerliche Erkenntnis. Diese auch an Klosterarbeiten erinnernden Kunstwerke hinter Glas, das sind keine Stickbilder, das sind Massengräber. Weggler hat unzählige tote Fliegen auf Stecknadeln aufgespießt und fadenartig aneinandergereiht, so dass von ferne betrachtet der Eindruck entsteht, es handle sich um Stickerei. "Die Umwandlung unwerter Fliegen in hochwertige Kunstprodukte" nennt er diese Serie, welche die Pforte bildet zu seinem künstlerischen Kosmos, einem Kosmos, der bevölkert ist von Totentanz und makabrer Selbstinszenierung, von Materialien, die massenhaft vorkommen (Fliegen) und in der Massenproduktion (Filz, Kunststoff, Kernseife) zum Einsatz kommen, andererseits aber überhöht werden zu sakralen und hehren Sujets der Kunstgeschichte.

Morbide, sarkastisch und in überspitzter Selbstinszenierung kommt Sebastian Weggler Kunst daher. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Beispielsweise bei seinem altmeisterlichen Kirchenfenster - nur dass der Heilige, ein Selbstporträt, seinen Kopf samt Heiligenschein unterm Arm trägt. Beispielsweise bei der Fürstengrab-Plastik aus Kunstharz, die einen entschlafenen Heros mit Lorbeerkranz zeigt. "Hail to the artist!", sagt das Schriftband. Beispielsweise bei den Wandreliefs aus Kernseife, in die der Künstler mal Gevatter Tod schneidet, mal ein weiteres Selbstporträt zusammen mit dem Motiv des Totentanzes und städtischer Architektur im Hintergrund, wie man sie aus spätmittelalterlichen Stundenbüchern kennt. Und eben bei den Fliegenbildern. Damit treibt er auf die Spitze, was Julia Gerber, die bei Markus Lüpertz studiert hat, über das Werk Wegglers sagt. "Diese Fliegen erzählen keine Geschichte von Schönheit, Seltenheit, Jagd und Macht." Das Wegglersche Werk beschwöre keine künstlerische Ästhetik, sondern verweigere sie. Sebastian Weggler sticke ein morbides Ballett des Todes, in dem Material, Technik und Motiv zusammen eine stete Verletzung der gängigen künstlerischen Ästhetik darstellten. In der ironischen Überhöhung des Belanglosen und Banalen, des massenhaft Produzierten, findet Weggler seinen individuellen künstlerischen Ausdruck. Die vielen toten Fliegen hat er übrigens nicht eigenhändig erschlagen, sie stammen von einem Sammler, wie Andreas Mitterer, stellvertretender Vorsitzender des Kunstvereins Ebersberg, erklärt.

Weggler hat an der Kunstakademie Düsseldorf studiert und war unter anderem Meisterschüler von Jörg Immendorff und Markus Lüpertz. Dem Thema Vergänglichkeit nähert er sich mit expressionistischer Wucht und dem zugespitzten Gestus des Karikaturisten. In einem der Räume zeigt er Teppiche aus Filz. Auf dem größten mit Titel "Selbstporträt als Teppichhändler" starrt eine Gruppe Männer mit vor Schreck geweiteten Augen auf ein sich in der Mitte zum Hügel bauschendes Objekt, auf irgendetwas Mysteriöses. Als Hommage an Joseph Beuys sind die beiden Teppiche "Josephs Hemd" und "Josephs Hose" zu verstehen. Weitere Skelette, das eine mit Pinsel im Gebiss, statt eines Messers, ein anderes, sehr erhaben wirkendes ("Gute Ware lobt sich selbst"), zwei weitere, die in lässiger Haltung einen Cocktail schlürfen, sowie ein "Tintenfisch" aus männlichen Geschlechtsteilen ergänzen die Freakshow. Briefmarken, auch sie ein Massenprodukt, hat Weggler mit Porträts bemalt, darunter Schneemann, Affe und - wiederum - Gevatter Tod. Alles vergeht, die Lust, der Ruhm und natürlich die Fliegen.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Weggler spielt in seiner Kunst mit Materialien der Massenproduktion (hier etwa Filz) ebenso...

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

... wie mit gängigen Motiven der Kunstgeschichte.

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(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

In seinen Fliegenbildern beschwört er den Kitsch und narrt das Auge.

Vernissage der Ausstellung "Alles leuchtet" in der Alten Brennerei mit Arbeiten von Sebastian Weggler ist am Samstag, 4. Juli, um 18 Uhr, Dauer: bis 26. Juli, von 16.30 Uhr an ist ein Künstlergespräch geplant. Am 16. Juli, 20.30 Uhr, heißt es "Kunst und Musik", am 17. Juli, 20 Uhr, "Kunst und Wein".

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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