Ebersberg:Der Mythos vom kleinen Unterschied

Lesezeit: 2 min

Sie, die Nymphe, er, der finstere Förster, alias Lisa Eckhart und Sven Kemmler, locken das Publikum im Alten Kino in den Wald. (Foto: Christian Endt)

Lisa Eckhart und Sven Kemmler provozieren im Alten Kino mit antiken und modernen Archetypen

Von Victor Sattler, Ebersberg

Grün macht kreativ. Das haben Psychologen festgestellt, und deshalb brauchten die griechischen Götter auch erst mal einen Joint, bevor sie sich die absurden Wirrungen antiker Mythen ausdenken konnten. Behauptet zumindest Kabarettist Sven Kemmler. "Der Olymp war ein Schullandheim", schnaubt er. Was die zitierte psychologische Studie wirklich meinte: Grünes zu sehen, nicht es zu rauchen beflügelt die kreative Fantasie - zum Beispiel bei einem ausgedehnten Waldspaziergang. Nun, das eine oder das andere wird es wohl gewesen sein, was Sven Kemmler und Lisa Eckhart auf die Idee zu "Die Nymphe und der finstere Förster" brachte. Für ihren ganz eigenen Mythos verwandelten sie am Freitagabend das Alte Kino in einen grünen Wald.

Anders als man es von den beiden Slam-Poeten gewohnt ist, knüpft der 90-minütige Text nicht an alltägliche Scherereien an, die der Zuhörer unfreiwillig aus eigenem Erleben kennt, sondern er führt in eine Welt mit eigenen Regeln, bewohnt von Einhörnern, Zwergen, tyrannischen Schildkröten und kommunistischen Bienenstämmen. All das macht den magischen Forst zur Bühne für ein Märchen: Das Geschlecht. Eckhart und Kemmler feiern all die Geschlechterklischees ab, derer sich Comedy bedienen kann. Die größte Anstrengung für den Zuhörer liegt darin, das einmal nicht zu reflektieren, sondern hinzunehmen, dass in diesem Wald ganz andere Wertvorstellungen herrschen. Als hätte sich ein Mario-Barth-Witz ins Gehölz verirrt, lauern sie ihm auf, mit großem Maul und langen Zähnen. Klar weiß man längst, wer einparken kann und wer nicht, doch Eckhart und Kemmler treiben das ewige Duell immer noch gemeiner auf die Spitze.

Sie: Spielt die Nymphe. 3091 Jahre alt und fast unsterblich, liebte sie Napoleon, Proust und einen minderjährigen Mozart. Den Wald hasst sie aus Überzeugung: "Die Natur ist doch deppert", legt sie los, "ein Bastard und ein Massengrab, in ihrem vom Menschen zugewiesenen Ghetto." Sie ist ein Fabelwesen, exotisch allein dank ihres teuflisch österreichischen Dialekts wegen, der alles, was sie sagt, immer weiter korrumpiert. Und die Mythologie liefert ihr Steilvorlagen für das Geschlechter-Thema: Als Nymphe, mehr furchtbar als fruchtbar und hochsexuell, steht sie irgendwo zwischen Hexe und Herd. Genau dort, wo sie die moderne Frau verordnen würde, die immerhin den Sprung vom Scheiterhaufen runter an die Gasflamme geschafft hat. Männer wünschten sich doch nichts anderes als "eine Naturgewalt, die nicht aus dem Haus raus findet", sagt sie.

Er: Stellt den perfekten Gegenpart. Münchner, ein wenig unscheinbarer, ein wenig geerdeter als seine Partnerin. Sein finsterer Förster ist nicht bloß das schießwütige und triebgesteuert Männliche, sondern auch der kauzige Einsiedler, als des Försters Image im deutschen Heimatfilm auf Ewig kultiviert. "Man kann einem Mann nichts Schlimmeres antun, als ihm seine Wünsche zu erfüllen", lautet Kemmlers Fazit zum Mirakel Mann. Neben der Fehde der Geschlechter ist die Begegnung ein deutsch-österreichisches Erbsenzählen - ein Crash der Ideologien. Er macht Bestandspflege im Wald, sie würde bedrohte Tierarten gerne der natürlichen Selektion überlassen. Er flucht auf Harry Potter und das Orakel von Delphi, sie setzt auf eine magische Prophezeiung - welche beiden schließlich schicksalhaften Tod bringt. Ihre Gemeinsamkeit aber ist der Fetisch für Literatur und Popkultur. Die Germanistin und der Kulturwissenschaftler legen saisonal passend minütlich ein "Easter Egg" in Form von Anspielungen auf Romane oder Filme, die man den Abend über sammeln kann, aber doch nie alle versteht. "Wenn man nur eine gute Handvoll davon goutiert, reicht das schon", tröstet Eckhart. Trotz manchem Leihgut ein Duo mit eigenständiger Originalität.

© SZ vom 26.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: