Ebersberg:Dem Echo fehlt die Emotion

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Auf der Bühne: Till Martin (Saxofon), Andreas Höricht (Bratsche), Henning Sieverts (Bass), Simon Seidl (Piano) und Bastian Jütte (Schlagzeug). (Foto: Christian Endt)

Das "Till Martin Quintet" zelebriert im Alten Kino Jazz auf höchstem Niveau, die Stücke haben das Zeug zu Klassikern des Genres. Doch die Musiker spielen leider vor allem für sich selbst

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Ein Jazzabend im Alten Kino. Das Till Martin Quintet ist zu Gast, präsentiert Jazz, vorwiegend aus dem Repertoire seiner jüngsten CD "The Gardener". Eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen sollte, immerhin ist das Album für den "Echo" nominiert. Den bekommt keiner nachgeworfen, nur weil er weiß, wo beim Saxophon das Mundstück sitzt. Es wird ein perfektes Konzert, mit perfekt vorgetragener Musik, der Auftritt eines Ensembles, dem in seiner gegenwärtigen Form nur wenige in diesem Land das Wasser reichen können. Dennoch wird es am Ende an etwas mangeln - an Emotion.

Gerade weil Andreas Höricht (Bratsche), Henning Sieverts (Bass), Simon Seidl (Piano) und Bastian Jütte (Schlagzeug) zusammen mit Bandleader Till Martin auf höchstem Niveau zusammenspielen, wird sehr schnell erkennbar, dass mit dem überwältigenden Klangbild eine eindeutige Körpersprache einhergeht: Das Quintett, wie im Jazz häufig sichtbar, spielt vor allem sich selbst zu. Die Bühne ist ihr Revier, der Zuhörerraum ein eng angrenzendes, aber nicht unmittelbar verbundenes Terrain. Eines seiner großartigen Soli spielt Höricht großteils mit dem Rücken zum Publikum.

Keine Frage: Man kann das machen.

Aber die Kommunikation mit den Zuhörern unterbleibt weitgehend, sie sind kein Bestandteil des Konzerts, sondern nur Beobachter. Die Perfektion des Spiels zieht ihre Kraft aus dem technischen Können, nicht mehr aus der Rezeption des Publikums. Man könnte trefflich darüber streiten, ob das ein Nachteil ist oder ein Vorteil. Man könnte auch die völlige Konzentration der Musiker auf ihre Instrumente und ihr Spiel einfach schätzen und die verbindende Wirkung allein der Musik überlassen. Man könnte. Denn die Kraft dazu hat sie ohne weiteres, so viel Ausdruck, so viel Geist hat Martin als ihr Schöpfer in sie gelegt. Weil dieser schmerzende Widerspruch zwischen Kreation und Interpretation sich wie ein roter Faden durchs Konzert zieht, bleibt bis zum Ende auch die Hoffnung auf den Übersprung jenes Funkens, der die Menschen in beiden Welten vereint und die Schöpfungsarbeit vollkommen macht. Er kommt leider nicht. Die Musik wird vertraut, die Musiker bleiben fremd.

Leider. Denn es wären einzigartige Voraussetzungen vorhanden, um mit diesem Funken eine Glut zu entfachen. Martin komponiert und arrangiert mit der verneigenswerten Präzision eines erfahrenen Diamantenschleifers. So oft, wie in diesem Konzert sich der Gedanke aufdrängt: "Das konnte man nur so machen, das war perfekt", so oft hat man das manchmal ein ganzes Konzertjahr lang nicht. Stücke wie "Ivy" oder, dem Wohnort Baldham des Bandleaders gewidmet, "Village" haben das Zeug zu Klassikern, an "Valerian" werden noch künftig Generationen von Jazzmusikern ihr Talent unter Beweis stellen.

Dazu kommt: So nachhallend, erfüllend und umfassend, wie der Dreiklang aus Saxophon, Bass und Bratsche die Gehörgänge ergreift, so gelingt das manchem hochgerühmten Sinfonieorchester nicht. Es ist ein genialer Kunstgriff, die sonore Viola ins Klangbild Band zu integrieren - ihr fällt denn auch die Rolle der emotionalen Verzauberin an diesem Abend zu. Ihr gebührt die Krone, ihr gelten die Erinnerungen eines respektvoll, aber nicht hingebungsvoll applaudierenden Publikums im halbwegs gut besuchten Haus. Dies jedoch mag einer zweiten Jazzveranstaltung in Grafing geschuldet gewesen sein.

© SZ vom 18.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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