Ebersberg:Cannabis unterm Dach

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Um sein chronisches Schmerzleiden zu bekämpfen baute ein 58-Jähriger bei sich zu Hause auf dem Dachboden Cannabispflanzen an. (Foto: AFP)

Ein chronischer Schmerzpatient erhält eine Bewährungsstrafe, weil er auf dem Speicher vier Hanfpflanzen gezüchtet hat.

Von Johannes Hirschlach, Ebersberg

Schnell war am Mittwoch im Sitzungssaal II im Ebersberger Amtsgericht klar: der Mann im beigen Hemd, mit Brille und ergrauten, kurzen Haaren, der dort auf der Anklagebank saß, hat es nicht leicht. Chronische Leiden an der Wirbelsäule, den Gelenken und der Schulter; seit einem Jahr Krebspatient. Dazu ein Beruf, der heutzutage kaum Aufträge verspricht - der 58-Jährige repariert Radio- und Fernsehgeräte.

220 000 Euro Schulden habe er, gab er vor dem Schöffengericht an, vor dem er sich nun verantworten musste. Der Grund: im Februar stellte die Polizei bei der Durchsuchung seines Hauses knapp 300 Gramm Marihuana sicher, das der Mann aus dem westlichen Landkreis auf dem Dachboden aus vier Pflanzen gewonnen hatte. Der darin enthaltene berauschende Wirkstoff THC überschritt mit 8,1 Gramm knapp die rechtliche Grenze zur "nicht geringen Menge", die bei 7,5 Gramm liegt.

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"Jeder Arzt sagt mir, dass ich Schmerzmittel nehmen muss", sagte 58-Jährige vor Gericht. Er könne zeitweise vor Schmerzen weder stehen noch sitzen. Bis zu drei Tabletten nehme er täglich dagegen. Jedoch habe er festgestellt, dass Tropfen, die Cannabidiol (CBD) enthalten, geholfen hätten. "Als chronischer Patient sind die Medikamentenkosten sehr hoch", sagte er.

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Zu viel für den Fernsehtechniker, der als Selbstständiger nur noch rund 400 Euro im Monat verdiene. Die Ehefrau beziehe eine kleine Rente. So habe er sich kundig gemacht und im Frühjahr 2015 im Internet einige Cannabissamen mit hohem CBD- und niedrigem THC-Gehalt bestellt. Diese seien im Haus gut gediehen, allerdings ohne zu blühen. "Die wurden immer grüner und grüner und nichts ist passiert", berichtete er. "Ich hab schon gedacht, ich schmeiß die Mistdinger weg." Inzwischen wurde auch die Untermieterin des 58-Jährigen auf dessen Cannabisanbau aufmerksam.

Zuerst habe es um das Haus herum nur nach Marihuana gerochen, im Sommer seien ihr dann auch die Pflanzen am Balkon aufgefallen, sagte sie Richter Markus Nikol. "Ich hatte die Befürchtung, dass meine Kinder das spitz kriegen." Diese sollten nicht auf jemanden treffen, der Drogen nimmt. Zum Schutz der Familie habe sie die Situation "nicht aufrecht erhalten können" und sei ausgezogen. Dann erstattete die Frau Anzeige. Währenddessen hatte der 58-Jährige die Hanfpflanzen auf den Dachboden gebracht, wo sie Blüten trieben. "Die Stängel hab ich abgeknipst und in Tüten gepackt", sagte er. So fand die Polizei das Hanf.

Eigentlich sei für das Vergehen des Angeklagten eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr vorgesehen, erinnerte die Staatsanwältin in ihrem Schlussplädoyer. "Das erscheint mir aber ungerecht", sagte sie. Der 58-Jährige habe das Cannabis gezogen, um es zur Schmerzlinderung zu verwenden. So könne man den Sachverhalt als "minder schweren Fall" einstufen. Vier Monate auf Bewährung seien aus ihrer Sicht angemessen. "Ich bin überzeugt, dass er keine weiteren Straftaten begeht."

Der Verteidiger schloss sich dem Antrag der Staatsanwaltschaft an, ebenso das Gericht. Der 58-Jährige habe früh seine Tat gestanden und sei bislang nicht straffällig geworden. Dennoch sei ein Nachteil für dessen Mieterin entstanden, die aufgrund der Situation umziehen musste. Die Forderung nach einer viermonatigen Bewährungsstrafe übernahm Richter Nikol. Zudem muss der Angeklagte die Verfahrenskosten tragen.

© SZ vom 27.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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