Ebersberg:"Bis sie zu denken anfangen..."

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Eine köstliche Sammlung aus Poesie und Prosa, Abzählreim und Gassenhauer präsentierten Stefan Wilkening und Maria Reiter im Alten Kino. (Foto: Christian Endt)

Stefan Wilkening und Maria Reiter zeigen sich "Einfach kindisch" und befreien so ihr Publikum

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

"Dunkel war's, der Mond schien helle. . ." - Bei wem von uns hätten sich diese Zeilen nicht unauslöschlich ins Gedächtnis eingegraben? Unfug, Widersprüchliches, Herumalbern mit Worten: Für Kinder eine prachtvolle Spielwiese. "Bis sie zu denken anfangen", wie Stefan Wilkening lakonisch anmerkt. Was er meint: Gefangen im Kodex des "Das tut man nicht" haben sich viele Erwachsene von der Unbefangenheit entfernt, die sie als Kinder genossen. Ein Zustand, der nicht widerstandslos zu akzeptieren ist, meint der Schauspieler mit Hang zum Kabarettistischen und hat darum ein Programm namens "Einfach kindisch" komponiert, das er seinem Publikum als Fluchthilfe anbietet.

Von der ersten bis zur letzten Minute ist dieser Sammlung aus Poesie und Prosa, aus Abzählreim und Gassenhauer die leidenschaftliche Akribie des Sammlers und Jägers anzumerken, dem nichts weniger am Herzen lag als eine friedliche, aber stürmische Revolution gegen altersbedingte Erstarrung im Geiste. Wie ein Wirbelwind tobte er denn auch am Freitagabend bei dem vom Kulturkreis Ebersberg veranstalteten Gipfeltreffen der KIndsköpfe über die Bühne im Alten Kino zu Ebersberg und hinterließ Spuren der Befreiung.

Mimik und Gestik setzt Wilkening bewusst theatralisch und in kindgerechter Clownerie ein; so, wie man das seit Roberto Benignis Auftritt in "Das Leben ist schön" kennt und akzeptiert. Was in manchem Kindertheater die Grenze zum Läppischen überschreitet, ist hier fein austariert und dramaturgisch klug eingesetzt, von zwei, drei Ausreißern ins übertrieben Groteske abgesehen. Da spürt man in jeder Szene, dass hier ein Schauspieler am Werke ist, der sein körperliches Können gezielt nutzt, um die Botschaften seiner Texte zu akzentuieren, gleichzeitig aber sorgfältig darauf achtet, dass optischer Eindruck und sprachliche Variation sich im Einklang befinden. Mitunter fragt sich der Zuschauer nachdenklich, was es denn nun vor allem war, das einen Vers, eine Zeile über den Moment hinaus nachklingen lässt: Das, was man davon gesehen hat? Oder das, was man gehört hat? Wilkenings Stärke und Überzeugungskraft rühren daher, dass sich beides nicht trennen lässt. Mit zielsicherem Griff hat er sich bei Robert Gernhardt, Heinz Erhardt, Joachim Ringelnatz und Co. bedient und die Fundstücke in einer Spielkiste voller aufrührerischer Gedanken und Ideen kombiniert, aus der er sich lustvoll bedient und aus der er sein Publikum reichlich bewirft.

Maria Reiter mit ihrem Akkordeon ist in diesen zwei Stunden weit mehr als eine musikalische Begleitung zu Wilkenings Ausritt in die kindlich-poetische Welt. Viel eher gleicht sie jenen Künstlern aus alter Zeit, die den Inhalt wertvoller Bücher mit ihren Malereien erst richtig ins Licht rückten, nicht umsonst "Illuminationen" genannt. Mit Fingerspitzengefühl und einem untrüglichen Instinkt für die Wahl der zeitgeschichtlich richtigen, korrespondierenden Titel erweitert sie die sinnlichen Komponenten dieses Abends um die spielerische Leichtigkeit. In großem Maße trägt sie damit dazu bei, dass das erwachsene Publikum seine gedanklichen Fesseln abstreifen und sich auf die Einladung zu kindischem Frohsinn einlassen kann. Seien es ihre Variationen zu "La Paloma" oder ihre Zitate aus der "Berliner Luft": Mit den vertrauten Melodien baut sie den Zuhörern Brücken in deren eigene Erinnerungen und verschafft ihnen damit eine zusätzliche Dimension des Erkennens, Verstehens und Erlebens. Grandios ihre Interpretation von "We are the champions", als messerscharfer Akzent in ein Gedicht hineingeschliffen, das über das ewige Unverständnis von Männern für Frauen spottet.

Am Schlussapplaus ließ sich die wahre Wertschätzung und Begeisterung für das Gebotene schon daran ablesen, dass bei doppelt so dichter Besetzung des Zuschauerraums der Beifall auch nicht länger und lauter hätte ausfallen können. Mit fast kindlicher Freude dankte das Publikum für einen heiteren, erleichternden Wochenausklangsabend und fügte mit Bravos und Juchzern auch die passenden Farbkleckse hinzu.

© SZ vom 11.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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