Ebersberg:Bedrohliche Begegnungen

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Ein Blaulicht (Symbolbild). (Foto: dpa)

Die Poinger sind in Sorge, weil in der Gemeinde ein Exhibitionist mehrmals Kinder belästigt hat. Statistisch gelten solche Übergriffe als selten, für die jungen Opfer können die Folgen aber erheblich sein.

Von Johannes Hirschlach, Poing

Poing, 13. September 2016: Zwei 13 und 14 Jahre alte Mädchen spielen im Bergfeldpark. Aus einem Gebüsch hören sie seltsame Geräusche. Als sie nachsehen wollen, entdecken sie einen schlanken Mann, der vor den Augen der Schülerinnen masturbiert. Poing, 23. September: Im Bereich des Schlittenbergs zieht ein unbekannter Mann blank und reckt einer Schülerin sein Hinterteil entgegen.

Nur eine gute Stunde später herrscht auch im Bergfeldpark Exhibitionistenalarm. Zwei Mädchen müssen mitansehen, wie ein etwa 40 Jahre alter Mann vor ihnen seine Hose herunterlässt und beginnt, zu onanieren. Eltern in der Gemeinde sind zunehmend besorgt, weil es ein Unbekannter auf die Parks abgesehen hat, sich dort jungen Mädchen nackt zeigt und diese zutiefst erschreckt. Exhibitionisten tauchen aber auch an anderen Orten im Landkreis auf.

In Baldham am 24. September 2015 etwa: Ein junger Mann bleibt in der Frühlingsstraße vor einer Frau stehen, öffnet seine Hose und spielt unter den entsetzten Blicken der Passantin mit seinem Glied. Oder in Kirchseeon, am 21. Juni 2016: Zwei Frauen überqueren gerade den Marktplatz, als ein etwa 20-Jähriger auf die beiden zusteuert, sein Geschlechtsteil hervorholt und daran herumfingert.

Mal ein 60-Jähriger, mal ein Teenager

Sexuelle Übergriffe wie diese finden von Zeit zu Zeit Eingang in die Akten des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord. Mal ist es ein 60-jähriger Mann, mal ein Teenager, der sich vor zumeist jungen Frauen entblößt und sexuelle Handlungen an sich vollzieht. Im Vergleich zu 185 000 Diebstahldelikten führen die knapp 1000 Fälle von Exhibitionismus ein Nischendasein in der Kriminalstatistik für Bayern für 2015.

Im Landkreis Ebersberg kam es im vergangenen Jahr zu 16 exhibitionistischen Taten, heißt es aus dem Präsidium auf Nachfrage. Was aufhorchen lässt: Vier davon richteten sich gegen Kinder unter 14 Jahren. Diese werden pro forma unter dem Straftatbestand des Missbrauchs von Minderjährigen geführt, entsprechen in der Ausübung der Tat aber dem klassischen Exhibitionismus-Paragrafen. Das Strafgesetzbuch sieht dafür eine Geld- oder bis zu einjährige Haftstrafe vor. Sind Kinder unter 14 Jahren betroffen, drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis.

Gerade für Heranwachsende kann ein solcher Vorfall durchaus Folgen haben: "Es kann passieren, dass das Kind ein Trauma entwickelt, wenn es die Situation als Bedrohung empfunden hat", sagt Christian Vogel. Der Münchner ist Facharzt für Psychiatrie mit einem Schwerpunkt auf Sexualforschung. Ein seelisch nicht gefestigtes Opfer könne so zum Beispiel Angst vor Parks entwickeln, wenn die Tat dort stattgefunden hat.

Drei Arten von Exhibitionisten

Vogel unterteilt Exhibitionisten in drei Gruppen. "Die erste Kategorie ist der typische Exhibitionist", sagt er. Das betreffe meist Männer mittleren Lebensalters, sozial integriert und häufig in einer Partnerschaft. "Da geht es um das Reparieren eines angeschlagenen männlichen Selbstwertgefühls", sagt der Sexualforscher. "Er stellt sich hin mit erigiertem Glied und demonstriert seine Männlichkeit." Das Erschrecken junger erwachsener Frauen gebe dem Täter einen Kick. "Das funktioniert aber nicht mehr so gut wie früher", sagt Vogel. Belästigte Frauen verhielten sich in solchen Situationen zunehmend souveräner.

Die Opferwahl des zweiten Exhibitionistentypus sieht Vogel kritischer: scheue, jugendliche Täter, die "aus Hilflosigkeit ihren sexuellen Triebdruck ausagieren". Hier sei es wahrscheinlicher, dass Gleichaltrige und Kinder zu Leidtragenden werden.

Zuletzt kategorisiert Vogel den randständigen Exhibitionisten, der in seiner sozialen Interaktion beeinträchtigt sei. "Das ist der gefährdete", sagt er. So mancher Sexualstraftäter habe laut dem Psychologen eine exhibitionistische Vergangenheit. "Aber nicht jeder Exhibitionist wird einmal Sexualstraftäter", warnt Vogel vor falschen Rückschlüssen.

Die Aufklärungsrate liegt bei 50 bis 60 Prozent

Gefährlich wäre es, wenn der Täter in der Situation übergriffig werden würde, sagt Vogel, "und das tun Exhibitionisten in der Regel nicht". Stattdessen gehe es allen drei Tätergruppen in erster Linie um das Sehen und Gesehenwerden. "Das ist psychologisch vergleichbar mit Voyeuren", sagt Vogel, der klassischen Exhibitionisten ein hohes Rückfallrisiko bescheinigt. Ansatz einer Therapie könne sein, die männliche Identität des Patienten zu stärken.

Die bayernweite Aufklärungsquote für exhibitionistische Delikte liegt seit Jahren zwischen 50 und 60 Prozent. Das gilt auch für den Landkreis Ebersberg. Von den 16 Fällen konnte die Polizei bei neun den Täter ermitteln. Der aktuelle Fall aus Poing ist bislang ungeklärt, die Kriminalpolizeiinspektion Erding sucht weiter nach dem Täter.

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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