Flüchtlinge:Barmherzigkeit und Politik

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Wie sieht ein christlicher Umgang mit Flüchtlingen aus? Bei einer Veranstaltung der Kolpingfamilie entsteht eine vielschichtige Debatte, bei der Bundestagsabgeordneter Andreas Lenz die CSU-Linie verlässt

Von Christian Endt, Ebersberg

Es war ein bisschen wie in einer Fernseh-Talkshow: ein Thema, dazu sechs Leute auf der Bühne, darunter Vertreter der beiden großen Parteien und ein paar Experten. Tatsächlich war die Diskussion über "Flucht und Asyl aus christlicher Sicht", zu dem die Kolpingsfamilie ins Alte Kino geladen hat, um einiges aufschlussreicher und konstruktiver als die meisten Sitzkreis-Abende in der ARD.

Das Spektrum der Debatte reichte von Grundsätzlichem wie dem Verhältnis von Religion und Politik (In der Bibel "stehen ganz gute Gedanken drin", sagte Ebersbergs Pfarrer Josef Riedl, aber Politik könne man damit nicht machen) zu ganz praktischen Fragen wie der Möblierung von Asylunterkünften. Im Zentrum allerdings stand die aktuelle Auseinandersetzung um die richtige Asylpolitik. Hier setzte sich der Bundestagsabgeordnete Andreas Lenz (CSU) von seiner eigenen Partei ab: "Den Begriff Obergrenze benutze ich nicht." Just diese Obergrenzen sind es ja, die die CSU seit Wochen um jeden Preis gegenüber Kanzlerin Angela Merkel (CDU) durchsetzen will. Lenz sagte allerdings: "Die Geschwindigkeit vom letzten Jahr ist auf Dauer nicht zu bewältigen." Ob man das nun Obergrenze nenne oder Reduzierung oder Kontingente, sei eine andere Frage. "Es darf keine ganz offene und keine ganz geschlossene Tür geben", sagte Lenz. "Wir brauchen eine Politik der angelehnten Tür."

Starken Widerspruch bekam Lenz für seine Behauptung, es kämen "nicht nur die Allerbedürftigsten". Die SPD-Landtagsabgeordnete Doris Rauscher sagte, man dürfe nicht anfangen, "die Flüchtlinge zu unterteilen". Josef Gibis vom Ebersberger Helferkreis sagte, die Menschen kämen "aus Perspektivlosigkeit, aber auch aus Flucht vor Krieg und Mord". Alfred Maier, Geschäftsführer des Kolping-Diözesanverbands, wollte Lenz' Aussage "nicht so stehen lassen". Wenn man die Grenzen schließe, nutze das nur den Schleusern: "Wenn wir zumachen, dürfen wir nicht jammern, wenn wieder irgendwo ein Lastwagen steht mit Verdursteten." Vergangenen August waren an einer Autobahn in Österreich 71 tote Flüchtlinge in einem Lastwagen gefunden worden.

Den lautesten Applaus des Abends erhielt einer, der gar nicht auf dem Podium saß: CSU-Kreisrat Martin Lechner erhob sich für eine bewegende Rede aus dem Publikum. Er sei ein klarer Gegner einer Begrenzung des Flüchtlingszustroms, sagte Lechner. Er verstehe nicht, wie man die grüne Grenze zumachen wolle: "Das ist rausgeschmissenes Geld, das man besser für die Integration ausgibt." Ihn bringe "zum Verzweifeln, dass die EU nichts mehr wert ist". Angst habe Lechner nicht vor Zuwanderung, sondern "vor der Entwicklung in unserer Gesellschaft: Wieso haben wir aus unserer Geschichte nichts gelernt?" Und Pfarrer Riedl sagte: "Wenn wir im Asylrecht eine Obergrenze einführen, wird es zur Karikatur."

Im Wesentlichen war das Alte Kino also von Willkommenskultur dominiert. Andreas Lenz wies jedoch immer wieder auf Probleme hin. In Polen sei eine rechtsradikale Regierung auch deswegen gewählt worden, weil die vorherige zuvor der europäischen Umverteilung von Flüchtlingen zugestimmt habe. "Europäische Entscheidungen haben innenpolitische Auswirkungen", sagte er. "Wir müssen überzeugen und dürfen nicht diktieren." Lenz zitierte aus dem Lagebericht des Asyl-Warteraums Erding, den er sich jeden Tag schicken lasse. Dort seien am Tag der Veranstaltung etwa 1200 Neuzugänge angekommen, von denen gut 400 einen Pass vorzeigen konnten. "Wir dürfen als Staat nicht hinnehmen, dass wir nicht wissen, wer sich bei uns aufhält", sagte Lenz. Darum müsse man Leute, "die nicht sagen, wer sie sind", gleich an der Grenze abweisen. Doris Rauscher widersprach: Manch einer habe seine Papiere vielleicht auf dem Mittelmeer verloren. Deutschland dürfe nicht einknicken: "Die EU braucht ein Land als Vorbild."

Die Flüchtlingspolitik und wie die Situation am besten zu bewältigen ist, ist Thema der Podiumsveranstaltung. (Foto: Christian Endt)

In der zweiten Hälfte rückte die von Manfred Ruopp geschickt moderierte Diskussion vermehrt die Fluchtursachen in den Vordergrund. "Wir müssen dahin kommen, dass die Leute gar nicht zu uns wollen", sagte Rauscher. Alfred Maier konnte von eigenen Erfahrungen als Entwicklungshelfer berichten und erzählte von Projekten, in denen man afrikanischen Frauen zeige, wie sie "auf ihrem Stück Land mehr erwirtschaften können" - mit einfachen Mitteln wie natürlichem Dünger. Aus dem Publikum kam eine kritische Frage zu deutschen Waffenexporten in Krisengebiete. Lenz ließ er kennen, dass auch er solche Lieferungen an Saudi-Arabien und Katar nicht richtig fände. In Syrien allerdings werde nicht mit deutschen Waffen gekämpft. Lediglich die Peschmerga hätten deutsche Gewehre bekommen. Was Andreas Lenz in dem Moment nicht wusste: Eine Stunde später berichteten die Tagesthemen, wonach diese Waffen über lokale Märkte offenbar auch an andere Konfliktparteien weiterverkauft werden.

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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