Ebersberg:Auf Tuchfühlung

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Der Ebersberger Kunstverein hat heuer ein neues Konzept für seine Mitgliederausstellung in der Alten Brennerei gewählt: Es durften nur kleinere Werke abgegeben werden, die sich nun dicht an dicht an den Wänden drängen

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Hoch neben quer, groß neben klein, Ölmalerei und Zeichnung neben Fotografie, Collage und Aquarell. Und alles auf Tuchfühlung: Die Mitgliederausstellung des Kunstvereins in der Alten Brennerei in Ebersberg, die am Freitag eröffnet wird, bietet dieses Mal überraschende An- und Einsichten. "Alles schön bunt hier", fasst Vereinsmitglied Björn Nonhoff den visuellen Eindruck dieser "Petersburger Hängung" zusammen.

In den Räumen im Erdgeschoß - das obere Stockwerk wird dieses Mal nicht bespielt - wird Maß genommen, gehämmert, gebohrt. "Tiefer" ruft Vereinsvorstand Andreas Mitterer Beirat Walter Voss zu, der gerade an einer Wand im Foyer arbeitet. Bis zur Vernissage sind noch etliche Nägel in die Wände zu klopfen, denn die übliche Ordnung der Gemälde mit viel Luft dazwischen ist dieses Jahr aufgehoben.

Karin Gerwien lässt Schmetterlinge fliegen. (Foto: Christian Endt)

Bei der "Petersburger Hängung", auch Salon-Hängung genannt, bedecken dicht an dicht platzierte Bilder eine ganze Wand. Petersburger Bürger demonstrierten auf diese Weise Reichtum und Bildung. Im Mittelpunkt stand dabei der Sammler, der sich als Kunstkenner bewundern lassen wollte. Die Bezeichnung selbst geht auf die Wände der Sankt Petersburger Eremitage zurück: Dort hängen 60 000 Werke auf engstem Raum. Doch das Chaos hatte System: Man gestaltete die Hängung möglichst nach Ähnlichkeiten bei Größe, Rahmung, Farbnuancen und Motiven.

Horst Siegel wendet sich augenzwinkernd an das männliche Publikum. (Foto: Christian Endt)

In Ebersberg verzichtete man ganz bewusst auf dieses Ruhe stiftende Prinzip. Hier lautet die Devise: "Alles hängt zusammen - die Quintessenz des künstlerischen Schaffens im Verein". Diese auszustellen, bedeutet Jahr für Jahr eine Herausforderung für die Hänge-Kommission. Da jedes Mitglied bislang immer nur maximal drei Arbeiten einreichen durfte, hätten die meisten Kollegen große Formate angeschleppt, berichtet Mitterer. Und jeder wollte sein Werk gut platziert wissen, was zuweilen zu Streit geführt habe. Da die Mitgliederausstellung nicht juriert wird, treffen hier stets viele verschiedene Stilrichtungen, Techniken und Qualitäten aufeinander. "Da passt dann zwangsläufig nichts zusammen", sagt Mitterer. "Und wenns eh nicht zusammenpasst, ist es doch besser, das Chaos noch zu überhöhen."

Die Mitgliederausstellung des Ebersberger Kunstvereins bietet jedes Jahr ein breites Spektrum. (Foto: Christian Endt)

Aus diesem Grund wurden diesmal die Vorgaben geändert: Jeder konnte zwar unbegrenzt viele Arbeiten einreichen, diese durften aber zusammen nur eineinhalb Quadratmeter Fläche beanspruchen. Insgesamt gab es 105 Einreichungen, teils wurden bis zu 20 Bilder angeliefert. Spitzenreiter sind Mitterer selbst mit Malereien auf unbelichtetem Fotopapier und Ulrich Schulte mit fein gearbeiteten Motiven von Toskana bis Kupferbach, alle im Kleinformat. Aussichtslos, da eine gemeinsame Linie zu finden. Und so wird das einzelne Bild Teil der Raumwirkung hin zur fast behaglich wirkenden Fülle. Die dadurch verstärkt werden soll, dass jeweils eine Wand frei bleibt, als Ruheinsel fürs Auge.

Brigitte Hoppstock zeigt eine bedrohlich-absurde Maske. (Foto: Christian Endt)

Denn dieses ist in der Tat stark gefordert. Erst auf den zweiten, dritten Blick ergeben sich Verwandtschaften, sei es in Form, Stil, Motiv oder Farbe. Hier treten mehrere Entenmotive miteinander in Kontakt, da sind es korrespondierende geometrische Formen. Fernbeziehungen lassen sich entdecken. Und manch "chemische" Reaktion entzieht sich jeder Erklärung. Klar, große Formate und zum Beispiel die farbintensive, neoexpressionistische Malerei des Georg von Mergelen ("Lästige Wesen") dominieren ihr jeweiliges "Magnetfeld". Dennoch ist es auch in diesem Fall unmöglich, ein Werk als Einzelstück zu betrachten. Immerzu buhlen von allen Seiten konkurrierende Motive um Aufmerksamkeit. Auch die kleinen Bilder behaupten sich inmitten ihrer tonangebenden Nachbarschaft. Etwa im Falle des beeindruckenden Selbstporträts von Marta Fischer, der letztjährigen Preisträgerin. Ihr Bild lenkt den Blick auf zwei darunter platzierte Augenbilder, im Stil der Mangas gemalt von Mitterers 14-jähriger Tochter Leonie. Zwischen den beiden Arbeiten gibt es keinerlei Vergleichbarkeit, dennoch vertragen sie sich. Und es wird etwas erreicht, was dem Petersburger Adel sicherlich fern gelegen hat: eine gewisse Demokratisierung.

Die Mitgliederausstellung ist keine Profischau, oder nur zum Teil. "Die Künstler wählen Arbeiten aus, die ihnen wichtig sind, nicht das, was gerade modern ist", sagt Mitterer. Jeder dürfe zeigen, was er zustande gebracht hat. Dabei erfahren schwächere Bilder in der Gruppe zuweilen eine überraschende Aufwertung. Und auch der Raum als Ganzes wird zum Kunstwerk.

Was natürlich nicht heißt, dass es keine eindrucksvollen Einzelkämpfer gibt. Als Beispiel seien Martin Weiands Fotoarbeit "Strudel" und "Alice im Goldenen Käfig" des Malers David Dott erwähnt. Auch bei den Skulpturen und Plastiken gibt es viel zu sehen - die Polit(Hohl-)köpfe von Brigitte Hoppstock, ein Coffee-to-go-Becher aus Bronze von Andreas Schroll oder indisch inspirierte Tongefäße von Karin Avatari Gläser. Bei dieser Art der Hängung hätten sogar die Spitzwegmotive, die sein Opa einst mit Hingabe abgemalt habe, noch Platz, sagt Andreas Mitterer und lacht.

Eröffnung der Mitgliederausstellung des Kunstvereins Ebersberg in der Alten Brennerei ist am Freitag, 8. September, um 19 Uhr. Am 21. September gibt es eine neue Ausgabe der Reihe "Kunst und Musik", am Sonntag, 1. Oktober endet die Ausstellung mit einem Künstlergespräch um 14 Uhr und der Vergabe zweier Publikumspreise. Die Öffnungszeiten sind Freitag, 18 bis 20, Samstag und Sonntag, 14 bis 18 Uhr.

© SZ vom 07.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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