Ebersberg:Abschwellender Humanismus

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Am Ende möchte man jubelnd aufspringen und Sigi Zimmerschied zu seinem genialen Monolog gratulieren. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Sigi Zimmerschied präsentiert im Alten Kino sein neues Bühnenprogramm "Tendenz steigend". Darin vergleicht er die Pegelstände der Gesellschaft mit dem Hochwasser seiner Heimatstadt Passau

Von Anna Weininger, Ebersberg

"Froh zu sein bedarf es wenig", heißt es in einem Kanon. Fröhlich pfeifend schlendert Sigi Zimmerschied auf die Bühne, den idyllischen Passauer Inn entlang. Fröhlich? Sigi Zimmerschied? Noch schwelgt er in Liebesbekundungen, preist den Fluss. Das neue Bühnenprogramm "Tendenz steigend" des Passauer Kabarettisten im Alten Kino beginnt trügerisch friedlich, der Wasserpegel ist gleichbleibend niedrig. Er habe sogar seine Feindbilder satt, erklärt Zimmerschied. Er sei versöhnt mit dem Kosmos, was aus seinem Munde ungewohnt klinge. "Weil man's ned erwartet, grad von mir ned." Süßlich-sarkastische Worte findet er für den ewigkeitstriefenden, "liebrizenden Wiehbischif" (liebreizender Weihbischof), preist ihn metaphorisch gewagt als "Sonnenaufgang hinter den Schotterhügeln des Ratzinger-Granits". Nach dem Motto "Her mit den verfolgten Minderheiten" heiße er sie willkommen, die traumatisierten Syrer, die homosexuellen Sowjetbürger, sogar gewöhnliche Österreicher.

Immer wieder ruft der Kabarettist den neuen "Pegelstand des Inns aus - Tendenz steigend. Mit Anschwellen des Wasserstands wird auch er immer aufgebrachter, der gebürtige Passauer, der selbst Opfer der Hochwasserkatastrophe 2013 wurde. Was dann kommt, liegt auf der Hand: Analog zum steigenden Wasserpegel gerät Zimmerschieds Hochwasser-Monolog aus den Fugen, wandelt er sich vom Moderaten ins Drastische und mündet in hasserfülltes Schwadronieren, das an Boshaftigkeit kaum zu übertreffen ist. Als Wutbürger, dem das Hochwasser zunehmend zu Kopfe steigt, rechnet er plötzlich doch wieder ab mit dem Kosmos. Und da sind sie wieder, die alten Feindbilder.

Bissig bohrt er mit seiner Wortakrobatik in alten Wunden der Gesellschaft, verwebt Feindbilder ineinander, sodass man manchmal Mühe hat zu erkennen, gegen wen er denn nun gerade wieder wettert. Sei es die eigene Familie, die Wutbürger, der Orientalistik-Student Berti, der vor seinem Computer sukzessive zum "Cyberkalifen" wird und sich einen Salafistenbart wachsen lässt, den "kann ned amal der Deifi zum Arschauswischen brauchen". Natürlich kommt auch der "liebrizende Wiehbischif" plötzlich gar nicht mehr gut weg. Verschont bleiben auch die neuen Medien nicht, die dem Berti Freunde auf der ganzen Welt bescheren. Die Facebook-Gesellschaft halte selbst einen "Scheißhaufen für eine Kommunikationsplattform".

Mit all dem Hochwasser schwimmt er dahin, der Humanismus. Mitten in der braunen Suppe meint Zimmerschied Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer zu erkennen. Flüchtlinge werden nun nicht mehr willkommen geheißen. An der Grenze zu Österreich prophezeit der Wutbürger nun ein Inferno durch diese "Scheiß-Parasiten". Und den Österreicher mag er nun schon gleich gar nicht mehr, diesen "vorzeitige Samenerguss im Schöpfungsakt". Sigi Zimmerschieds Stimme durchschneidet den Saal. Der Hochwasserspiegel ist wie das Adrenalin des Wutbürgers: auf der Spitze und in einem verbalen Rausch. Alles überschlägt sich in einem Hysterie-Delirium, gipfelnd in dem Ruf "Stacheldraht! Stacheldraht!" Und ganz unerwartet sinkt er irgendwann wieder, der Pegel. Und mit ihm das Adrenalin, die Wut, der Hass. "Flüchtlinge? Lass ma sie doch rein!" Langsam kehrt die Bühnenfigur zurück zu moralischen Grundwerten.

Es wäre nicht Zimmerschied, wenn es nicht provokant herginge. Was er hier auf der Bühne zur Schau stellt, ist ekelhaft, aber auch erschreckend nah an der Realität. Er führt vor, wie Menschen in Katastrophen-Situationen ihr wahres Gesicht zeigen. Es bedarf wenig, um fröhlich zu sein, doch es bedarf auch wenig, um außer Fassung zu geraten und Feindbilder zu entwickeln. Das Umschwenken in Politik und Gesellschaft von einer Willkommenskultur in eine Abschottungshaltung in den letzten Wochen ist das beste Beispiel dafür.

Am Ende möchte man einerseits jubelnd aufspringen und Zimmerschied zu seinem genialen Monolog gratulieren. Gleichzeitig ist man fassungslos darüber, wie widerwärtig seine Sprache in ihrer zugespitzten Wortwahl weh tun kann. Denn Zimmerschied rezipiert nicht nur Stammtisch-Parolen sarkastisch und humorvoll, er gibt ihnen fast schon etwas Poetisches. Und das macht ihn so genial.

© SZ vom 14.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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