Diskussion im Stadtrat:Wachsen - aber wohin?

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Unter großem öffentlichen Interesse zieht Grafing eine erste Zwischenbilanz seines Integrierten Stadtentwicklungskonzepts. Dazu gehört auch ein erster Fingerzeig, wie die Kommune expandieren kann

Von Thorsten Rienth, Grafing

Zum Jahresende 1988 zählte das Einwohnermeldeamt etwas weniger als 11 000 Grafinger. Womöglich knackt die Stadt schon in diesem Jahr die Marke von 14 000 Einwohnern. Anzeichen, dass sich das Wachstum abschwächen könnte, gibt es praktisch keine. Dieser Trend war Auslöser, dass Grafing vor etwa einem Jahr mit der Aufstellung eines Integrierten Stadtentwicklungskonzept (ISEK) begonnen hatte. Die Gretchenfrage: Wie lässt sich das Wachstum am geschicktesten in stadtplanerische Bahnen lenken? In der jüngsten Stadtratssitzung hat das beteiligte Planungsbüro Dragomir einen ersten Zwischenbericht gegeben.

Dragomir-Mitarbeiterin Anna Frank führte dem Gremium sowie mehr als 40 Zuhörern vor Augen, was in den kommenden 15 Jahren allein an Flächenbedarf für die Wohnbebauung zu erwarten sei. "Wenn wir mit 0,4 Prozent Bevölkerungswachstum pro Jahr rechnen, und das ist sehr konservativ, gehen wir von 22 Hektar respektive 540 Wohneinheiten aus."

Zwei Einordnungen, die die Zahlen etwas veranschaulichen: Zwischen den Jahresenden 2008 und 2018 betrug das Bevölkerungswachstum knapp neun Prozent - also deutlich mehr als die 0,4 Prozent pro Jahr. Und 22 Hektar entsprechen etwa der Fläche von 30 Fußballfeldern.

Mit zusammen etwa 73 Hektar Potenzialflächen für Wohnungsbau haben die Stadtplaner immerhin mehr als das Dreifache davon ausgemacht. Die größten Hebel seien das schrittweise Zusammenwachsen von Grafing und Grafing-Bahnhof, die Erweiterung des Aiblinger Angers in Richtung Schammach und die Felder hinterm Eisstadion in Richtung Norden. "Gleichzeitig sollte Ihr Ziel sein, die Innenstadt so weit wie möglich nachzuverdichten", empfahl Frank. Ihr Rat hat freilich einen konkreten Hintergrund: So einfach nutzbar seien die Potenzialflächen nämlich gar nicht. "Viele befinden sich ja gar nicht im Eigentum der Stadt."

Über all das nicht zu reden - und die weitere Stadtentwicklung praktisch dem Markt zu überlassen - ist natürlich auch keine Lösung. Angedockt als informelles Planungsinstrument will Grafing seine Vorhaben der Stadtentwicklung mit dem ISEK nicht mehr einzeln betrachten, sondern im integrierten Zusammenhang und angelehnt an den Flächennutzungsplan mit einer Art Zukunftswerkstatt. Ein regelmäßig tagender Steuerkreis aus Vertretern von Verwaltung, Kommunalpolitik, Verbänden und Initiativen ist eingerichtet. "Wir wollen diese Themen in großer Runde beraten, um auch einen großen Rückhalt in der Bevölkerung zu haben", erklärte Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) in der Sitzung.

Denn, abgeleitet aus den Flächenpotenzialen würde es in den nächsten Schritten um die Entwicklung der Infrastruktur gehen. Dazu gehören etwa die künftigen Bedarfe an Kinder- oder Seniorenbetreuungsplätzen. Oder vergleichsweise einfach zu errichtende Dinge wie Querungshilfen, Fahrradwege oder Parkplätze.

Zentraler Diskussionspunkt in der Sitzung war: Besitzt die Stadt überhaupt eine echte Möglichkeit, den Zuzug zu steuern? Und, wie BfG-Stadträtin Marlene Ottinger fragte: "Wie findet ein Stadtrat den richtigen Weg zwischen denjenigen, denen das Wachstum zu viel wird, und denjenigen, die sagen, dass wir wachsen müssen, damit wir hier in ein paar Jahren auch noch Platz haben für Leute mit weniger Geld?"

An den Antworten reibt sich der Stadtrat schon jetzt. Wachstum dürfe immer nur so umfangreich sein, "dass wir das sozial auch verkraften können", warnte etwa Josef Klinger (Freie Wähler). Josef Biesenberger (Grüne) versuchte dies zu entschärfen mit dem Hinweis, dass sich selbst ein Prozent Wachstum bei einer umfangreichen Nachverdichtung noch recht problemlos abgefangen ließe. Dem wiederum entgegnete CSU-Fraktionschef Max Graf von Rechberg: "Die Nachverdichtung zu hoch gedreht bedeutet genauso einen sozialen Stress für die Menschen."

Die Planer äußerten für die Sorgen durchaus Verständnis. Sie warnten aber vor - wie auch immer aussehenden - Bremsversuchen. "Wenn Sie sozusagen einen Stöpsel auf den Zuzug setzen wollen, dann werden Sie es auf der anderen Seite mit wahnsinnig hochschnellenden Immobilienpreisen zu tun bekommen."

Gleichwohl sei der Zuzug nicht der alleinige Wachstumstreiber sei, betonte Anna Frank. "Von den 540 Wohneinheiten, die wir bis 2034 sehen, entfallen etwa 400 auf den Zuzug." Die restlichen 140 Wohneinheiten seien dem sogenannten Auflockerungsmoment geschuldet. Dies ist die Fläche, die die Grafinger zusätzlich brauchen, weil sie mit mehr Platz komfortabler wohnen wollen.

© SZ vom 12.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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