Diskussion:Gott und die Probleme dieser Welt

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Günther Beckstein (CSU) und Gregor Gysi (Linke) diskutieren in Markt Schwaben über religiöse Vorstellungen und politische Krisenherde - oft sind sie sich dabei unerwartet einig

Von Max Nahrhaft, Markt Schwaben

"Ohne die Kirche gibt es keine moralischen Maßstäbe, die politischen Parteien können keine allgemein verbindlichen Moralnormen aufstellen." Dieser Satz fiel am Sonntag bei der Diskussion zwischen Günther Beckstein (CSU) und Gregor Gysi (Linke). Er stammte aber nicht aus dem Mund des früheren bayerischen Ministerpräsidenten, von dem man so eine Aussage wohl eher erwarten würde. Nein, der von Gastgeber Bernhard Winter als "anti-klerikal" vorgestellte Linken-Politiker Gregor Gysi formulierte den Gedanken und räumte der Religion damit einen so hohen Stellenwert in der Gesellschaft ein, wie es sonst kaum einer seiner Parteikollegen tun würde.

Es war zu erwarten, dass die beiden Politiker in vielen Punkten eine völlig konträre Meinung haben, doch im Laufe des Zwiegesprächs stellte sich heraus, dass sich neben der Verschiedenheiten auch Symmetrien auftun. Bernhard Winter, der Organisator der Sonntagsbegegnungen in Markt Schwaben, hatte diese unter das Thema "Gott und die Welt" gestellt. Schlussendlich redeten die beiden Gäste tatsächlich über Gott und die ganze Welt. Religiöse Moralvorstellungen wurden genauso angesprochen wie die Flüchtlingsfrage, internationale Konflikte und die deutsche Sozialpolitik. 300 Gäste lauschten gebannt den Worten der beiden Debattierenden im Markt Schwabener Unterbräusaal.

"Ich möchte mich zunächst einmal für die Einladung bedanken, vor 25 Jahren wäre das in Bayern nicht denkbar gewesen", so Gysi. Er hatte das Publikum auf seiner Seite. Zu Beginn des Gesprächs nahm Beckstein die Rolle des Moderators ein und stellte Gysi viele Fragen über Religion. "Selbst in der DDR haben wir nach jüdisch-christlichen Werten gelebt, es ist nur niemandem aufgefallen", so Gysi. Er tritt zwar grundsätzlich für eine stärkere Trennung zwischen Kirche und Staat ein, lobte aber auch die caritativen Tätigkeiten vieler kirchlicher Einrichtungen. Beim Thema Religionsunterricht in der Schule sind sich die beiden näher als erwartet. Beckstein sagte: "Ich bin ein Befürworter christlicher Konfessionsschulen. Deren Einführung war eine überfällige Lösung für den anwährenden Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten." Gysi kann ihm da zustimmen, er sieht aber den eigentlichen Sinn des Unterrichts nicht in der Lehre einer Religion, sondern in der Entwicklung von Toleranz gegenüber allen Religionen. Gysi sagt: "Was wir brauchen ist die Freiheit hin zur und von der Religion."

Dann hatte aber auch der Linken-Politiker eine Frage an Beckstein, nämlich inwiefern die Multireligiosität der Flüchtlinge eine Bereicherung ist. "Es ist unsere christliche Pflicht, notgeschundene Menschen bei uns aufzunehmen - bei einem solchen Elend muss einfach geholfen werden. Aber primär sollte diese Hilfe in den Krisenregionen und nicht bei uns stattfinden. Im Moment können wir uns bei Österreich und Mazedonien bedanken, die ihre Grenze geschlossen haben", so Beckstein. Gysi atmete hörbar laut aus und konterte: "Wer hätte gedacht, dass ich jemals Frau Merkel gegen die CSU verteidigen muss." Er sprach sich klar gegen eine Obergrenze aus. Gysi sagte, er sehe den Anspruch auf Asyl im deutschen Grundgesetz verankert. "Allerdings stimme ich ihnen zu, dass humanitäre Hilfe in den Krisenregionen dieser Welt essenziell ist", so Gysi.

Neben Krieg erkennen beide Politiker den weltweiten Hunger als Hauptfluchtursache an. Es gebe genug Nahrungsmittel, um die Menschheit zweimal zu ernähren und trotzdem sterben Menschen an Unterernährung. "Der Grund dafür, warum die Menschen jetzt zu uns kommen, ist die Digitalisierung. Wir haben in Europa so gelebt, wie wir leben, weil die Afrikaner das nicht wussten - jetzt wissen sie es", sagte Gysi.

Ein anderes Thema des Dialogs war die deutsche Sozialpolitik. "Wir können wirklich stolz sein auf unsere sozial Marktwirtschaft. In Deutschland haben wir ein sehr breites System sozialer Absicherung, und die Mitarbeiter profitieren vom Wohlstand ihres Unternehmens", sagte Beckstein. Gysi hatte dagegen nicht viel einzuwenden.

In den Zuschauerfragen wurde besonders die Thematik der Zusammenarbeit mit Ländern wie der Türkei und Russland angesprochen. Beide plädieren für eine pragmatische Zusammenarbeit, wobei die Verletzung von Menschenrechten nicht unbeachtet bleiben darf. "Wir sind nur glaubwürdig, wenn Menschenrechtsfragen immer gelten, egal ob wir mit dem Staat befreundet sind oder nicht", sagte Gysi mit der vollen Zustimmung von Beckstein.

© SZ vom 07.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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