Die Netzwerkerinnen:Zwischen Mensch und Mücke

Lesezeit: 3 min

Ihre Outdoor-Leidenschaft zum Beruf gemacht haben Renate Brettschneider (links) und Christa Finsterer mit einer eigenen Firma in Grafing. (Foto: Christian Endt)

Eine Zwei-Frauen-Firma aus Grafing ist in der Outdoorszene eine bekannte Adresse. Ihre Moskitonetze verkaufen Renate Brettschneider und Christa Finsterer inzwischen auf der ganzen Welt

Von Thorsten Rienth, Grafing

Sie hätte ja auch ein Spray entwickeln können. Ein Mittelchen, das der Mücke einfach den Garaus macht. Auf dass der Outdoorer endgültig seine Sorgen los wäre, zumindest die vor der Malaria, dem Gelbfieber oder dem West-Nil-Virus. Aber eine Welt, in der einer den anderen sticht und dann der andere den einen vergiftet oder totschlägt, das ist nicht Renate Brettschneiders Welt. Friedliche Koexistenz ist die Maxime, auch - oder gerade - zwischen Mensch und Mücke.

In der Südostecke des Schammacher Gewerbegebiets, wo die Stichstraße zum Feldweg wird, der Wald beginnt, und auf der Wiese daneben frühmorgens die Rehe im Dunst stehen, laufen die Fäden dieser Philosophie zusammen. Erwerbbar als Dachdeckel für Hängematten. Als Raumkubus, der ganze Terrassentischgarnituren abdichtet. Als Netz, das sich von einem Ast nach unten aufspannen lässt. Oder sich mit einem Rand aus Klettverschluss passgenau aufs runtergelassene Autofenster kleben lässt.

Wer irgendwo in Europas Outdoor-Versandhäusern irgendetwas mit Mücke und Netz in die Suchmaske tippt, dürfte schnell in Grafing landen. Damit vielleicht sogar beim Weltmarktführer? "Ich hab' da keine Vergleichszahlen", sagt Renate Brettschneider. "Zumindest wüsste ich nicht, dass es irgendwo einen Zweiten mit unserem Spezialisierungsgrad gibt." Aber was zähle das schon? Die Outdoor-Welt sei ja gerade deshalb so sympathisch, weil sie auf eine Größer-Schneller-Mehr-Attitüde nicht sonderlich viel gäbe.

Vergleichbare Größe, das bedeutet bei Mückennetzen eine vergleichbare Anzahl an Mückennetzvarianten. Denn die einzelnen Netzmodelle lassen sich in verschiedenen Stärken nähen. Dabei dreht sich alles um eine Zahl, die bei ungefähr 160 anfängt und sich bis zur 1000 hochschraubt. Ihre Einheit heißt Mesh per square inch, also Knoten pro Quadratzoll. Sie steht für die Maschendichte des Netzes. 1000 "Mesh" bedeutet: Auf 6,4516 Quadratzentimetern reihen sich schier unglaubliche 1000 Knoten aneinander.

Der Aufwand kommt nicht von ungefähr. Anophelesmücken können etwa Malaria übertragen, Tigermücken Gelbfieber. Denn das Eiweiß, das die Weibchen zur Produktion ihrer Eier benötigen, gewinnen sie aus dem Blut von Säugetieren. Dazu gehört eben auch der Outdoorer, wenn er denn nachts in der Hängematte im Dschungel oder auf dem Savannenboden schläft.

Genauso fängt die Moskitonetz-Geschichte von Renate Brettschneider in den 1980er Jahren an. "Mich hat es immer schon raus in die Welt gezogen", erzählt sie. Gerade aus der Schule draußen mit Bus und Freund nach Südalgerien. Dann mit drei Autos und Freunden nach Guinea. "Und genäht habe ich auch schon immer gern." Die Moskitonetze, die sie mitnimmt, sind Marke Eigenbau. Genauso, wie der Dokumentenbeutel, der sich mit Reise- und Impfpass um die Hüfte binden lässt.

Als bei der Münchner ISPO-Sportmesse im Jahr 1988 kurzfristig ein Standplatz frei wird, greift Renate Brettschneider zu. "Das war der erste Auftritt auf der großen Outdoor-Bühne", sagt sie. Moskitonetze habe es damals nur im Militärgeschäft gegeben. "Richtig überwältigend" sei die Resonanz damals gewesen. Plötzlich seien Bestellungen aus den Niederlanden oder Österreich gekommen. "Da hab' ich gemerkt: Hey, das machst du zum Beruf." Man könnte auch sagen: Die Geschichte beginnt mit der Zivilisierung von Militärtechnik.

Zuerst näht die Haagerin viel selbst. Später, über 20 Jahre ist das inzwischen her, stößt Christa Finsterer hinzu. Die Handarbeit passiert im bayerischen Wald, in China und Vietnam. "Natürlich sind die Lohnkosten ein Thema. Wie halt überall im produzierenden Gewerbe." In Grafing liegt der Fokus auf der Konzeption und Organisation, steuern sie Partnerschaften, Entwicklung und Vertrieb. Zusammen mit einem Grafiker in Norddeutschland entwerfen sie den Brettschneider-Katalog. Alle zwei Jahre erscheint er, mittlerweile in Hochglanz, gut 40 Seiten stark und zweisprachig auf Deutsch und Englisch.

Die Wissenschaftlerin, die sich mit Orang-Utans in Sumatra beschäftigt, schwärmt darin, dass die Netze auch prima Spinnen fernhielten. Ein Tscheche schickt ein Foto, wie er das Netz von seinem Motorrad aus aufspannt. Der Australien-Outdoorer lobt einen Kordel-Gummizug, den es seit einer Weile für ein kombiniertes Kopf-Nackennetz gibt.

Wie man auf eine solche Konstruktion kommt? "Indem man sich im Urlaub darüber ärgert, dass es die Mücken doch irgendwie wieder unten durchgeschafft haben", sagt Renate Brettschneider.

"Wir haben also unten am Netz zwei Kordeln angenäht." Der Gummizug ist in der Länge justierbar und geht unter beiden Achseln durch. Dadurch liegt das Netz eng am Körper und ist immer auf Spannung. "Einmal von der Idee angefixt tüftelt man so lange, bis es funktioniert."

Der Dokumentenbeutel ist zwar längst aus dem Sortiment. Dafür ist viel Neues dazugekommen. Etwa die Imprägnierung Greenfirst, eine Wirkstoffkombination aus ätherischen Ölen und Geraniol, dem Öl aus Geranien. Oder eine zweistöckige Hängeaufbewahrung für Lebensmittel, die sich durch einen Reißverschluss aus und einräumen lässt.

Und gerne auch mal richtig Ausgefallenes: Die Nähtechnik eines Moskitonetzes, das ein junger Trickdesigner unlängst als Raumteiler, Ruhezone oder Projektionsfläche entwickelte, kommt ebenfalls aus Grafing.

© SZ vom 08.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: