Die Geschichte des Grafinger Handwerks:Vorne hui, hinten pfui

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Bei einer Stadtführung über die Geschichte des Grafinger Handwerks erklärt Historiker Thomas Warg auch, warum Bäcker und Brauer oberhalb der Urtel und die Färber und Gerber weiter im Süden angesiedelt waren

Von Thorsten Rienth, Grafing

Muss das gestunken haben! "Die Müllabfuhr war noch nicht erfunden", sagt der Stadtführer. Kläranlagen sowieso nicht. "Die Leute schmissen einfach alles hinters Haus." Was die Schweine übrig ließen, spülte der Regen die Rinnsale hinunter quer durch die Stadt. Thomas Warg zeigt mit dem Arm in Richtung Süden. Heute wird dort aus der Griesstraße die Rosenheimer Straße und der Urtelbach biegt scharf nach Osten ab. Immerhin waren auch die meisten Kunststoffe im Mittelalter noch nicht erfunden. Was die Menschen wegwarfen, verrottete deshalb irgendwann. Es sind genau solche Erzählungen, die 50 Paar Ohren aufhorchen lassen.

Die Geschichten hinter der Geschichte wolle er mit den Führungen erzählen, sagt Historiker Warg. Der Ebersberger, der früher lange selbst in Grafing gewohnt hat, hatte vor ein paar Jahren Stadtführungen in der Kreisstadt initiiert. Die waren so erfolgreich, dass die Grafinger anriefen. Fast hundert Führungen hätten seitdem innerhalb nur eines Jahres stattgefunden, erzählt er. Auch: "Weil viel mehr hinter dieser Stadt steckt, als man auf den ersten Blick meint."

Jede Ecke, jede Straße, jede Brücke käme mit ihrer eigenen Geschichte daher. Dass hinter der Griesstraße die nicht gerade sauberste Grafinger Ecke lag, habe übrigens nichts mit besonders unreinen Bewohnern zu tun. "Entlang dieser Straße gab es viele Gerber und Färber", erzählt Warg. Deren Abwässer flossen natürlich in die Urtel. Und warum waren die Gerber und Färber ausgerechnet im Süden der Stadt? "Weil der Ortseingang, wo das Wasser noch sauber war, für die Brauer und Bäcker reserviert war", erzählt der Stadtführer. Eigentlich eine logische Sache - nur draufkommen muss man eben.

"Grafing und seine historischen Handwerksbetriebe" lautet der Titel der Führung. Eingeladen hat der Grafinger Eigenheimerverein. Die Tour ist inzwischen nur noch eine von mehr als einem Dutzend Grafinger Führungen. Warg, der seit ein paar Tagen auch als einer der drei neuen Kreisheimatpfleger tätig ist, kann dabei aus einem Pool von fast 20 Stadtführern schöpfen.

Eine Führung reflektiert etwa starke Grafinger Frauen wie Brauherrin Magdalena Kleinmaier oder Rotkreuz-Schwester Maria Aneder. "Oh du mein Gott!" geht den Katastrophen und Unglücksfälle in Grafing und Umgebung nach, "Hopfen und Malz. Gott erhalt's", na klar, erzählt aus der Geschichte der Grafinger Brauereien.

Weil sich die Themen überschneiden und verschränken, sind auch die einzelnen Führungen nie die gleichen. Die Handwerksführung legt etwa Station an der Marktkirche zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit ein. Anna Schmidt, eine der Führerinnen mit dem Spezialgebiet der Grafinger Kirchen, war ohnehin gerade in der Gegend. Die Tour nimmt also kurz die Geschichte des kleinen Kirchleins mit.

Natürlich darf ein paar Meter weiter die Legende von Heinrich dem Zänker nicht fehlen. Der Grafinger Gründungssage nach hat der Herzog seiner Frau Gisela in ein Lustschloss erbauen lassen, weil ihr die Gegend so gefiel. So soll um das Jahr 973 das heutige Wildbräugebäude an der Marktplatz-Westseite entstanden sein.

Verlässliche Dokumente, die den Grafinger Namen tragen, sind immerhin auf das 12. Jahrhundert datiert. Welche für Öxing, das im Jahr 1933 nach Grafing eingemeindet worden war, stammen sogar schon aus dem 9. Jahrhundert. Aber das ist eine andere Geschichte.

© SZ vom 11.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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