Der Sport im Ort:Spagat an der Spitze

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Mit vier Jahren hat Julia Ladner aus Grafing mit Ballett begonnen. Mittlerweile ist sie ausgebildete Tänzerin und unterrichtet in Hamburg. Zudem choreografiert die 23-Jährige für Movimento

Von Theresa Parstorfer, Grafing

In einer eleganten Bewegung schwingt Julia Ladner ihr Bein Richtung Decke, während sie sich mit den Händen auf dem Turnhallenboden abstützt. Wieder in der Senkrechten, folgen eine Drehung und ein Spagat, den niemand mit herkömmlich dehnbarem Bewegungsapparat nachahmen sollte. In Halle zwei des Grafinger Gymnasiums läuft ruhige Popmusik, und Julia Ladner wärmt sich auf.

Eigentlich ist die blonde Frau gar keine Schülerin mehr. Seit drei Jahren wohnt sie auch nicht mehr in Grafing. Aber immer wieder kommt die 23-Jährige hierher zurück. In genau diese Halle, denn "so ein bisschen hat hier alles begonnen", sagt Ladner und lässt den Blick über die zwei Matten am Boden, den Dreifach-Spiegel in der Ecke und den daneben aufgehängten Ring mit Haltegriff gleiten. "Es" ist die Tatsache, dass Ladner seit Juli vergangenen Jahres offiziell professionelle Tänzerin ist und vor kurzem eine Dozentenstelle am vor einigen Jahren gegründeten Tybas Dance Center in Hamburg angenommen hat.

Begonnen hat es auch mit dem von Stephan Eberherr organisierten Movimento und der Möglichkeit während des "offenen Trainings an Sonntagen alles auszuprobieren", mit den anderen zu üben, YouTube-Videos zu Ring, Trapez und Vertikaltuch anzuschauen, "immer wieder zu stoppen, um zu knobeln, wie genau da was gemacht wird", erinnert Ladner sich und lacht.

Schon mit vier Jahren stand Ladner im Ballettunterricht in Ebersberg, noch nie hat sie "etwas anderes gemacht", noch nie etwas anderes gewollt als zu tanzen. Trotzdem hatte sie lange gedacht, sie würde "vielleicht eher Kommunikationswissenschaften oder irgendwas mit Medien studieren", sagt sie. Nach dem Abitur reiste sie jedoch zunächst für drei Monate nach Costa Rica, um Spanisch zu lernen und Freiwilligenarbeit zu leisten. Während des anschließenden Besuchs einer Tante in New York sei es dann passiert: Auf dem Balkon beim Blumengießen - da war ihr aufgefallen, dass das Einzige, was ihr auf der Reise wirklich abgegangen war, das Tanzen war.

Eine Woche nach ihrer Rückkehr stand Ladner beim Vortanzen auf dem Parkett der Iwanson School of Dance in München. Das Balletttrikot hatte sie sich noch schnell in New York gekauft, trainiert eigentlich seit vier Monaten nicht mehr. "Ich wollte das einfach mal ausprobieren" sagt Ladner, so wirklich Ahnung, wie ein Vortanzen oder gar eine Tanzausbildung abläuft, habe sie da ja noch überhaupt nicht gehabt. Wenige Tage nach diesem "mal ausprobieren" lag der Zusage-Brief in der Post. "Schon merkwürdig, dass der Traum, den ich vielleicht als kleine Ballett-Maus hatte, wirklich wahr geworden ist", sagt sie und lächelt fast ein wenig schüchtern.

Eine Frau, die Höhenluft gewohnt ist: Julia Ladner bei einer Trainingsübung in der Grafinger Sporthalle. (Foto: Christian Endt)

Mindestens sechs Stunden am Tag trainierte sie in den folgenden drei Jahren. Ballett, zeitgenössischer und moderner Tanz, verschiedene Technik- und Style-Einheiten. Jedes Semester Aufführungen. Jedes Semester Prüfungen. Von den 22 Schülern, die mit ihr angefangen hatten, machten im Juli 2017 acht den Abschluss. "Sehr intensiv", sei die Ausbildung gewesen, an Grenzen müsse man jeden Tag gehen, körperlich wie emotional. "Da wird oft geweint", sagt Ladner. "Du stehst schließlich jeden Tag vorm Spiegel und ständig wird dir nur immer gesagt, was du falsch machst."

Im zweiten Jahr musste Ladner aufgrund einer Hüftverletzung, "viele Bewegungen total neu lernen, weil ich bis dahin, ohne es zu wissen, immer gegen meinen Körper gearbeitet hatte", sagt sie. Regelmäßig hatte sie mit den Zweifeln zu kämpfen, ob sie gut genug sei, ob sie das alles durchstehen würde. Eine Alternative konnte sie sich zu dem Zeitpunkt allerdings längst nicht mehr vorstellen. Aufgeben war also keine Option. Julia Ladner lächelt, und da ist dieser Glanz in ihren blauen Augen, wenn sie immer wieder davon spricht, wie glücklich das Tanzen sie macht.

Eine Prima-Ballerina ist Ladner dennoch nicht geworden. Wenn bei einem ihrer Kunststücke der weite, schwarze Pulli ein wenig nach oben rutscht, wird ein kurzer Blick auf ihren durchtrainierten Bauch möglich, und auch der Rest ihres Körpers erzählt die Geschichte von hartem, aber gesundem Training, und nicht die einer zerbrechlichen Fee auf Diät. Oft habe sie zu hören bekommen, "du bist zu klein, du bist zu so, du bist zu so", sagt sie, hebt dann die Schultern. Irgendwann müsse man sich davon befreien, mit einer Größer von knapp 1,60 Meter vielleicht nicht den idealen Maßen für das Staatsballett zu entsprechen. Stattdessen habe sie irgendwann beschlossen, ihren eigenen Weg zu gehen. Vergleichen mit anderen nicht mehr so viel Bedeutung beizumessen, als dass sie ihr die Leichtigkeit der Bewegung nehmen könnten.

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Außerdem hat Ladner schon immer gewusst, dass sie auch "selbst kreativ sein", nicht unbedingt nur selbst auf der Bühne stehen will. Auch deshalb ist sie Stephan Eberherr dankbar. Denn "bei Movimento durfte ich schon sehr früh Tanzgruppen übernehmen und choreografieren", sagt sie. Während ihrer Ausbildung ist sie dafür auch weiterhin an Sonntagen nach Grafing gefahren, um am offenen Training teilzunehmen, bei der Konzeption von Auftritten und der Erstellung von Trainingsplänen zu helfen. Das wird sie auch weiterhin tun, "für Movimento ist es mir die sechs Stunden Zugfahrt auf jeden Fall immer wert", sagt Ladner. Über ihre Hilfe als "wertvolle Regieassistentin" freut sich auch Stefan Eberherr, der sie viele Jahre lang als Trainer begleitet hat. Er weiß, "dass für Julia das Tanzen viel mehr als nur ein Beruf ist", weshalb er auch überzeugt davon ist, "dass sie als Tänzerin, Choreografin, aber auch als Regisseurin einen außergewöhnlichen Weg vor sich hat".

In Hamburg unterrichtet Ladner derzeit zehn Stunden in der Woche auf hohem Niveau, etwa "Vorbereitungskurse" für "Auditions" an professionellen Akademien. Eine ihrer Schülerinnen ist vor Kurzem an einer Schule in Los Angeles aufgenommen worden, um Showtanz zu studieren. Zusätzlich hilft Ladner bei administrativen Aufgaben mit. Denn ja, vielleicht gibt es da den unausgesprochenen Wunsch, eines Tages selbst eine Tanzschule zu leiten.

Ob sie Angst hat, dass sie irgendwann nicht mehr "nur noch Tanzen" wollen könnte? Angst, dass kein Hobby mehr bleibt, wenn das Hobby zum Beruf wird? Nein, da schüttelt Ladner entschieden den Kopf. "Außerdem habe ich ein neues Hobby: Kaffee". Um sich das Studium zu finanzieren, verkaufte Ladner nämlich an den Vormittagen Siebträger für Kaffeemaschinen. "Da habe ich quasi noch eine kleine Barista-Ausbildung gemacht und das macht mir unheimlich Spaß", sagt Ladner und lacht, bevor sie sich wieder in den Ring schwingt. Kopfüber, die Beine wie eine Schere im 180-Grad-Winkel, Körperspannung pur - und dennoch immer ein strahlendes Lächeln im Gesicht.

© SZ vom 13.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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