Der Sport im Ort:Pünktlich, verlässlich, auf ewig biegsam

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Umringt von Teilnehmerinnen ihrer Gymnastikgruppe verabschiedet sich Isolde Scharping. Mit einem Strauß bedankt sich Vorstand Helmut Knauer. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Isolde Scharping war 50 Jahren Trainerin beim TSV Vaterstetten. Nun gibt die 92-Jährige ihre Turnkurse auf

Von Jessica Morof, Vaterstetten

Wie es den Kindern und Enkeln gehe, erkundigt sich Isolde Scharping gerade noch bei einer Frau. Dann leert sie in einem langen Zug ihr mit Orangensaft gefülltes Sektglas, bevor sie sich der nächsten Gratulantin widmet. Sie braucht an diesem Vormittag schließlich eine geölte Kehle, um sich von ihren ganzen Turndamen zu verabschieden. Um all die Erinnerungen und Geschichten nachzuerzählen. Und um mehr als 50 Jahre als Übungsleiterin im TSV Vaterstetten Revue passieren zu lassen. 92 Jahre ist Scharping bereits alt; bis vor kurzem hat sie noch zwei Mal die Woche eine Gymnastikstunde geleitet. Nun sei es aber genug, findet die Vaterstettenerin. Jetzt, mit 92 setzt sich nach 50 Jahren zur Ruhe. Am Freitag hat der TSV sie feierlich verabschiedet.

"Sie hatten wahrscheinlich eine Wirkung in fast alle Familien", sagt Walter Bayerle zu ihr, Bayerle, selbst Gründungsmitglied und lange Jahre gemeinsam mit Scharping im Vorstand des Vereins. Denn nicht nur für den Nachwuchs bei den Leichtathletik und Wettkampfturnen sei sie ein großes Vorbild gewesen. Mehrere Generationen hat Isolde Scharping in Vaterstetten an Geräten, auf dem Platz und durch die Prüfungen für Sportabzeichen begleitet. Immer mit Humor aber auch einer gehörigen Portion Disziplin. "Geschimpft habe ich nicht", betont Scharping. "Aber streng, ja streng war ich schon", sagt sie und lacht.

Dabei hat Scharping aber nie Leistungen von ihren Schützlingen verlangt, die sie nicht selbst auch geschafft hätte. Denn Disziplin und Ehrgeiz machten die Seniorin auch heute noch aus, betonen all ihre Wegbegleiter, die zur Verabschiedung gekommen sind, einstimmig. "40 Jahre lang hat sie mich drangsaliert", berichtet eine Gratulantin lachend einer anderen. Diese wiederum erzählt, dass in ihrer Familie schon drei Generationen von Scharping trainiert wurden. Und beide sind sichtlich traurig, dass diese Ära mit diesem Tag zu Ende geht.

1964 ist Isolde Scharping mit ihrer Familie nach Vaterstetten gekommen. Sofort hat sie sich der Turngruppe, die sich damals noch im Gasthof Enderer am Bahnhof getroffen hat, angeschlossen. Bereits ein Jahr später ist sie dann auch als Übungsleiterin eingestiegen. Ganz besonders am Herzen lagen ihr von Beginn an die Sportabzeichen. Selbst kann sie mehr als 40 dieser Auszeichnungen vorweisen. Doch nicht nur sportlich hat sich Scharping in den Verein eingebracht. Sie hat auch die erste Geschäftsstelle geleitet - "an einem Eck", nennt sie selbst die kleine Kammer, die es damals noch war -, und 1968 trat sie bereits in den Vorstand des TSV Vaterstetten ein.

Den Ruf, "ein strenges Regiment" zu führen, wie Bayerle sagt, hat sie sich in beiden Bereichen erarbeitet. Dafür habe man sich allerdings hundertprozentig auf sie und ihre Arbeit verlassen können. Trotzdem kam aber auch das Menschliche bei Scharping nie zu kurz. Als "Menschenfreund" bezeichnet sie Helmut Knauer, aktuell erster Vorstandsvorsitzender des TSV. Er hat die ehemalige Vorsitzende schon als Kind im Verein erlebt und berichtet aus seinen Erinnerungen. "Du hast den Menschen mehr Lebensqualität gegeben", sagt er: Die jüngeren habe sie gefordert und gefördert, etwas zu erreichen; den älteren habe sie geholfen, sich fit und mobil zu halten.

Die einen wie die anderen hat Isolde Scharping so mit ihrem Engagement erreicht, berührt und zum Erfolg gebracht. Sabrina Uhl beispielsweise hat in den 90er Jahren mit Scharpings Hilfe die Kreismeisterschaft im Geräteturnen gewonnen. "Den Drill spürt man auch als Kind", sagt die 34-Jährige über die zwei Trainingseinheiten pro Woche, an denen sie im Alter von fünf bis 15 Jahren teilgenommen hat. Trotzdem sind ihre Erinnerungen nur positiv; denn nur mit Disziplin könne man eben weiterkommen. Scharping habe es immer geschafft, sie anzuspornen und zu motivieren. "Und nochmal", habe sie immer angefeuert, "du schaffst das."

Aus dem "Drill" sei in den vergangenen Jahren eine etwas nachsichtigere Methode geworden, sagt Angelika Uhl, die insgesamt 17 Jahre bei Isolde Scharping Sport gemacht hat. Zuletzt hat sie an den Gymnastikstunden teilgenommen, die die Seniorin noch mittwochs und freitags für Erwachsene angeboten hat. Auch da hat Isolde Scharping noch penibelst darauf geachtet, dass jeder seine Übungen richtig ausführt.

"Nicht ins Hohlkreuz", habe sie dann beispielsweise gerufen. "Beim ersten Mal hat sie noch allgemein ermahnt", sagt Michelle Arcori. "Beim zweiten Mal dann namentlich und beim dritten Mal kam sie zu einem her." Seit eineinhalb Jahren arbeitet die 23-Jährige im Rahmen ihres dualen Studiums des Gesundheitsmanagements im TSV und hat Scharping immer freitags unterstützt. Wenn diese mal zu spät kam oder den Schlüssel vergessen hat, weil die Erinnerung dann doch ein ganz klein wenig nachgelassen habe. Und sie habe Scharping vertreten, wenn sie die Stunde mal nicht halten konnte. "Aber das ist in der ganzen Zeit höchstens drei Mal passiert", sagt Arcori.

Diese Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit hat Isolde Scharping bis zum Schluss auch von ihren Teilnehmern verlangt. "Wenn die Stunde losging habe ich immer gesagt: ,Das Kiefertraining ist jetzt vorbei'", sagt sie und grinst verschmitzt wie ein junges Mädchen. Und wenn jemand das Training zwei Mal in Folge verpasste, dann hakte die Übungsleiterin persönlich nach.

Auf Isolde Scharping war eben immer Verlass; ihre Opferbereitschaft für den Verein, wie Knauer es nennt, kannte kaum Grenzen. Ihren Ruhestand habe sie sich also mehr als redlich verdient. "Was ich von nun an tue", sagt Scharping, "tue ich zu meinem Vergnügen und für die Familie". Dazu gehöre es, Garten- und Hausarbeit mit Unterstützung der Schwiegertochter noch selbst zu machen - und Zeit mit dem Urenkel zu verbringen.

"Ich bemühe mich, weiter viel in Bewegung zu bleiben", betont die 92-Jährige. Denn Bewegung sei schließlich alles. Ruhiger aber noch lange nicht ganz ruhig wird sie es also künftig angehen lassen. Schließlich hat sie noch einiges vor: "Ich möchte mindestens 100 Jahre alt werden. Logisch."

© SZ vom 13.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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