Denkmalschutz als Schulprojekt:Altbekannt, aus junger Sicht

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Das P-Seminar "Rettet den Wasserturm" vom Gymnasium Kirchseeon möchte sich dem alten Schwellenwerkgelände annehmen. Auch wenn es schwer wird, zeitlich passt das Projekt gut. Die Ortsparteien haben das Thema selbst wieder auf den Plan gerufen

Von Nathalie Stenger, Kirchseeon

Hineingehen darf man schon lange nicht mehr, Zäune versperren der Öffentlichkeit den Zugang zum Gelände. Die Vorstellungskraft muss reichen, wenn von dem roten Turm erzählt wird, den die Allgemeinheit nicht erreichen kann, oder wenn vom Potenzial des verseuchten Bodens drum herum die Rede ist. Aber es ist vorhanden, das Potenzial, da ist sich eine Gruppe junger Erwachsener vom Gymnasium Kirchseeon einig. Der Name ihres Seminars und zugleich auch ihre Mission: "Rettet den Wasserturm".

Nur wenige Kilometer von dem über Landkreisgrenzen hinaus bekannten, ehemaligen Schwellenwerkgelände der Bahn entfernt, wird fleißig diskutiert. 16 Schülerinnen und Schüler aus der elften Klasse haben sich in einem Klassenzimmer neben der Aula um Geschichtslehrerin Julia Reisinger eingefunden und stellen ihre Pläne für die etwa 200 000 Quadratmetergroße Fläche beim Bahnhof vor. Kurz zusammengefasst lauten diese wie folgt: Man will den Platz für alle Altersklassen nutzbar machen. Die ungenutzten Gebäude auf dem Gelände, Wasserturm und Kantine, so heißt es von den Schülern, seien eine absurde Verschwendung, die Ressourcen könne man besser einsetzen. Es gebe sogar schon konkrete Pläne.

So weit so gut. Die jungen Erwachsenen sind allerdings bei weitem nicht die ersten, die etwas mit der Fläche westlich der S-Bahnstation Kirchseeon vorhaben. In der Vergangenheit sollte bereits ein Solarpark darauf errichtet werden, auch der Bau von Wohnungen und einer Berufsschule stand zur Debatte. Doch bisher scheiterten alle Ideen. Grund hierfür ist unter anderem die schwerwiegende Bodenverseuchung. Großflächig verteilt sind Quecksilbersalze, Teeröle, Benzole und andere krebserregende Stoffe, sie stammen noch aus den Zeiten, als man auf dem Grundstück Bahnschwellen herstellte.

Doch nun scheint wieder Bewegung in die Sache zu kommen. Im vergangenen Monat wurde ein Antrag der Kirchseeoner Grünen veröffentlicht, indem sie ihrerseits ihre Ambitionen darlegten. Man wolle Wasserturm und das alte Betriebsgebäude des Schwellenwerks - die Kantine - renovieren und im Anschluss daran das Areal mit Hinblick auf Flora und Fauna entwickeln.

In der zufälligen zeitlichen Überschneidung von Politik und ihrem Projekt sehen die Schülerinnen und Schüler eine große Chance. "Weil das Thema wieder so aktuell ist, können wir uns mehr Hoffnungen machen, dass es Anklang findet", sagt Julian Kasper. Wichtig ist dem Kurs aber vor allem eins: "Wir wollen uns politisch auf keine Seite stellen", so Mitschüler Leonhard Schletter. Das sei unklug und nicht das Ziel, fügt er hinzu.

Von der Schule sind es etwa zehn Minuten zum besagten Gelände, perfekt für die Mittagspause oder eine Freistunde. Nicht zuletzt deshalb bietet sich in den Augen der Schüler die Einrichtung eines Jugendzentrums an. "Unser Alter ermöglicht uns die optimale Perspektive, wir wissen was man braucht", sagt jemand. "Und zwar keinen klassischen Jugendtreff mit einem Pädagogen", erklärt jemand anderes. Dafür eine Wand für legale Straßenkunst, ein Dirt-Park und ein Skate Park, es gibt eine regelrechte Liste mit Ideen, die man umsetzen könnte. Es sind Vorschläge für Freizeitaktivitäten, die nicht unterkellert werden müssen, in Anbetracht des Bodens wohl das beste.

Dass solche Vorhaben viel kosten, wissen die Teilnehmer des P-Seminars ("P" für Projekt) selbst. Sie haben sich deshalb auch schon Finanzierungsmöglichkeiten überlegt. Von einem Weihnachtsmarkt ist da die Rede, oder einem Flohmarkt in Kooperation mit der Schule. Auch das Wort "Autokino" fällt, hier könne man auch auf Asphalt stehen und müsse sich nicht solche Gedanken über die Schadstoffe machen.

Neben der betreuenden Lehrkraft des Seminars Julia Reisinger schaut auch Schulleiterin Simone Voit bei dem Gespräch vorbei. Ihr persönlicher Favorit unter den Ideen der Schüler ist die Pop-up-Area, verrät sie später. "Da kreiert man etwas ohne es zu manifestieren", sagt sie, "das könnte der Schlüssel sein, um das Gelände zu öffnen." Als Pop-up-Area, so erklärt Florian Herold, könne das Gelände ein überörtlicher Anlaufpunkt werden, etwa durch Konzerte. Und dann sei es nach Belieben für etwas anderes nutzbar.

Schülerinnen und Schüler des Kirchseeoner Gymnasiums haben nun ganz eigene Pläne. (Foto: Christian Endt)

Weil das P-Seminar aber "Rettet den Wasserturm", heißt, gibt es natürlich auch Pläne für den Turm selbst. Ein Archiv, ein Dokumentationszentrum oder etwas ganz anderes: Ein Standesamt. Hier könne man vielleicht mit der Gemeinde zusammenarbeiten, wirft Lehrerin Julia Reisinger ein. Die ebenfalls denkmalgeschützte Kantine biete sich ihrer Meinung nach gut als Eventlocation an. Reisinger ist sehr stolz auf ihren Kurs, das merkt man. "Die Schüler sind viel zu bescheiden", sagt die Geschichtslehrerin, "das haben sie alles selbst erarbeitet. Viele haben von sich aus zur ersten Sitzung gleich valides Material gebracht."

Tatsächlich ist es schwer zu glauben, dass sich das Seminar gerade erst zum viertel Mal trifft. Fragen und Einwände werden so schnell beantwortet oder widerlegt, dass die jungen Erwachsenen mehr wie ein lang eingespieltes Team als ein Kurs aus zusammengewürfelten Elftklässlern wirken.

Die Inspiration zum Seminar stammt von Elmar Kramer vom Heimatkundeverein Kirchseeon, verrät die Geschichtslehrerin. "Er kam auf mich zu und hat mir das Thema vorgeschlagen." Eine gute Anregung - die anwesenden Schülerinnen und Schüler scheinen begeistert, und dabei kommt gerade mal die Hälfte aus Kirchseeon selbst. Aber das macht nichts: "Ob aus Kirchseeon oder nicht, das Gymnasium ist das, was wichtig ist", so Franziska Stibor, "man gehört einfach dazu." Und sie alle aus dem Kurs wollen einen Ort finden, an dem Generationen zusammenkommen.

Angesichts der vielen gescheiterten Versuche das brachgelegene Gelände - heute gehören etwa 165 000 Quadratmeter der Iveco-Tochter "Effe GmbH" und rund 30 000 Quadratmeter der Deutschen Bahn - anders zu nutzen, stellt sich die Frage, ob das alles in den zwei Schuljahren, von jetzt an bis zum Abitur, zu meistern ist. "Wir hoffen auf nicht allzu viel Bürokratie", antwortet Celine Bichler schief grinsend, die Klasse sei sich bewusst, auf was sie sich da eingelassen hat. Mitschüler Moritz Schrüfer bestätigt das: "Die Energie ist bei allen da." Scherzhaft wird vorgeschlagen, Frau Reisinger könne die bisherige Arbeit zu Not mit einem neuen Seminar weiterführen.

Aber soweit soll es gar nicht erst kommen. Man sei bereits dabei Kontakte zu Gutachtern herzustellen, erzählt ein weiter Schüler, um sich ein genaues Bild über die aktuelle Belastung des Bodens zu beschaffen. Als nächstes auf dem Programm: Eine Bürgersprechstunde bei Bürgermeister Jan Paeplow (CSU), an diesem Mittwoch gleich. Zum einen um zu wissen, was überhaupt möglich ist, zum anderen um zu zeigen: "Wir meinen das ernst."

© SZ vom 14.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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