Das "Auryn Quartet" in Vaterstetten:Dem Kern des Genres ein Stück näher

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Spielfreude und Könnerschaft vereint das "Auryn Quartett" am Sonntag beim Rathauskonzert Vaterstetten. (Foto: Christian Endt)

Die Rathauskonzerte reifen mehr und mehr zur Streichquartett-Hochburg

Von Ulrich Pfaffenberger, Vaterstetten

Jeder Ton eine ganze Welt. Man tritt wohl keinem anderen Komponisten von Streichquartetten zu nahe, wenn man ein Stück Jospeh Haydns als "maßgeblich" für das Verständnis dieses Genres einordnet. Das Opus 76,5 in D-Dur, dargeboten vom Auryn Quartett beim Rathauskonzert in Vaterstetten, hat dieses Prädikat nicht nur aus sich selbst heraus verdient, sondern auch wegen der Interpretation, mit der es Matthias Lingenfelder und Jens Oppermann (Geigen), Stewart Eaton (Bratsche) und Andreas Arndt (Cello) aus der mitunter unübersehbaren Menge von Streichquartetten heraushob. Jeder Ton eine ganze Welt - dazu braucht es neben dem Schöpfer eben auch glaubwürdige und kundige Propheten.

Wer am Sonntag gut zugehört hat, insbesondere beim zweiten Satz, dem Largo, darf sich künftig rühmen, in den Kern der Streichquartett-Kunst vorgedrungen zu sein. Selten liegen Spannung und Entspannung so nah beieinander, selten ist das Spiel der einzelnen Rollen und Instrumente so lebhaft und vielschichtig angelegt, selten sind der Gestaltungswille des Komponisten und die Einladung zum individuellen Ausdruck der Musiker so eng miteinander verknüpft wie in diesen vier Sätzen. Es muss eine Freude sein, sich dieses Stück zu erarbeiten; dass es eine Freude war, es zu spielen, hat man den vier Instrumentalisten angemerkt.

Benjamin Brittens Streichquartett Nr. 3, entstanden 1975, erweist sich als durch und durch akademische Angelegenheit. Man erkennt den Versuch, die etablierte Form Streichquartett mit Zeitgeist aus der Konvention zu reißen - und mag sich als Zuhörer zwangsverpflichtet sehen, einem Experiment beizuwohnen, dessen Ausgang absehbar ist. Die Sphären des dritten Satzes, an denen die vier Streicher gekonnt und filigran arbeiten, sind hauchdünn und schillernd wie Seifenblasen. Allein sie kennen nichts Weiches und nichts Biegsames, sie sind von stählerner Kälte - bis auf den fünften und letzten Satz, Brittens letzter Lebensstation Venedig gewidmet, "La Serenissima". Darin spiegelt sich nicht eine Stunde oder ein Jahr der Lagunenstadt, sondern ihr Lebensprinzip und ihre mystische Kraft, wie es Fruttero und Lucentini in "Liebhaber ohne festen Wohnsitz" beschrieben haben, oder wie es den Film "Wenn die Gondeln Trauer tragen" prägt. Hier erreicht das Opus eine bezwingende poetische Größe, die alle Künstlichkeit des Anfangs aufwiegt.

Es ist den Auryns zu danken, mit welcher Präzision und Intensität sie diese zwei Seelen des Stücks herausarbeiten. Zwischen Hayden und Franz Schubert eingefügt erweisen sie daher mit ihrer Entscheidung dem Publikum einen Gefallen: Gefällige Streichquartette hört man im Übermaß, solche, die wider den Stachel löcken, sind schon ob ihrer Seltenheit alle Aufmerksamkeit wert. Dann freut man sich doppelt daran, in diesen gut 25 Minuten solche instrumentale Kunstfertigkeit wahrzunehmen. Entsprechend aufgewühlt war das Geraune im Saal zur Pause.

Beim Schubert-Streichquartett erkennt man nicht nur unmittelbar das sinfonische Denken und Streben des Komponisten. Diese vier Sätze waren, als sie erschienen, ein Ausblick auf das, was kommen würde. Am Sonntagabend offenbaren sie einen Musiker, der schon in der kleinen Kunst des Quartetts alle Anlagen zu unnachahmlicher Stilistik hatte. Etwa zur Mitte des zweiten Satzes drängen Bilder und Kräfte an die Oberfläche, mit denen sich Welten bewegen lassen. Manches erinnert daran, wie Schubert seine Lieder angelegt hat, voller Dramatik und spannenden Volten - nur dass sich die Saiten der Streichinstrumente belastbarer erweisen als menschliche Stimmbänder, physisch jedenfalls. Das führt in den schnelleren Passagen zu einem Sturm an Impressionen, der die Intensität der Melodien auf die Spitze treibt. Das zu erkennen und spielerisch so umzusetzen, dass es ungeschmälert beim Publikum ankommt, das ist die große Kunst des Auryn Quartetts.

Streichquartette erweisen sich immer mehr als eine Spezialität der Vaterstettener Rathauskonzerte. Auftritte wie jener des Auryn-Quartetts nähren dabei den Ruf der Reihe in der internationalen Szene und werden auch anderen Ensembles mit herausragendem Ruf den Weg in den Münchner Osten schmackhaft machen. Zusätzlich jedoch wächst die Kompetenz des Publikums im Umgang mit dem Genre. Dass es am Sonntagabend nicht nur großen Applaus gab, sondern dieser auch mit reichlich Bravo-Rufen durchsetzt war, spricht für eine Kennerschaft, wie sie in einem "kleinen Haus" nicht selbstverständlich ist.

© SZ vom 22.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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