Christophorus-Hospizverein Ebersberg:Hospizbegleiterin erzählt vor Schülern von ihrer Arbeit

Lesezeit: 3 min

Gabriele Wetzel ist seit vielen Jahren Hospizbegleiterin. Mit großem Interesse hören die Jugendlichen zu, was sie zu erzählen hat. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Viele Jugendliche sind tief berührt nach dem Gespräch mit der Ehrenamtlichen

Von Johanna Feckl

Der schlaksige Junge in der zweiten Reihe weint. Ganz leise. Sein Blick ist stur auf die Tischplatte vor ihm gerichtet. Er stützt die Ellbogen ab, das Gesicht vergräbt er in seinen Händen, die Schultern zucken ab und an nach oben. Sven Struckmeier geht zu ihm, flüstert ihm ein paar Worte zu. Der Junge nickt zaghaft, steht auf und verlässt das Klassenzimmer. Kaum ist die Tür ins Schloss gefallen, rutscht ein Mädchen mit ihrem Stuhl nach hinten. Ihr fragender Blick trifft den von Sven Struckmeier. Er nickt. Dann steht auch das Mädchen auf, tritt zur Tür, öffnet sie und folgt ihrem Mitschüler.

Es ist die fünfte Stunde am Gymnasium in Vaterstetten. In dem Klassenzimmer im zweiten Stock sitzen 32 Schülerinnen und Schüler der zehnten Jahrgangsstufe. Manche von ihnen besuchen den Ethik-Unterricht, andere den evangelischen oder katholischen Religionsunterricht. Bei dem Vortrag von Gabi Wetzel spielt das aber keine Rolle. Die 60-Jährige ist eine von 43 ehrenamtlichen Hospizbegleitern des Christophorus-Hospizvereins in Ebersberg. Seit etwas mehr als 21 Jahren kümmert sich der Verein auf ambulante Weise um Menschen, die bald sterben werden - ein stationäres Hospiz gibt es im Landkreis nicht. An diesem Vormittag ist Wetzel zu Gast in der Stunde von Ethik-Lehrer Sven Struckmeier, um den Jugendlichen von ihrer ehrenamtlichen Arbeit zu erzählen.

"Hospizbegleitung heißt nicht, dass man da ein Programm abspielt: Erst macht man das eine, und dann das andere", sagt Wetzel, die ihre Ausbildung zur Hospizbegleiterin 2012 machte. "Manchmal reicht es, einfach da zu sein." Sie erzählt von einer Familie, die sie seit fünf Jahren begleitet. Die Eltern haben zwei Kinder, die kleine Tochter sei schwerbehindert, sie könne nichts hören und nicht sprechen. "Eigentlich ist das ein Mensch, der nur daliegt", sagt Wetzel. Das Mädchen habe ein Geschwister. Sie und eine Kollegin vom Hospizverein besuchen abwechselnd die Familie und unternehmen etwas mit dem Kind. In der Zeit gehe es einmal nicht um die ältere Schwester, die so krank ist und auf die deshalb immer Rücksicht genommen werden muss. Auch das ist Hospizarbeit.

Man könne immer etwas tun und Menschen helfen, erklärt Wetzel. Selbst dann, wenn es nach einer ausweglosen Situation aussieht. "Wie soll man für jemanden da sein, wenn er zum Beispiel nicht mehr sprechen kann?", fragt sie und schaut in die Gesichter der Schüler. Ein Mädchen meldet sich. Ihr Opa, erzählt sie, der habe nicht mehr sprechen können, kurz bevor er gestorben ist. Sie und ihre Familie haben ihm deshalb einfach vorgelesen.

Seit 2011 besuchen Ehrenamtliche des Hospizvereins Schulklassen im Landkreis. Gymnasien, Realschulen, Mittelschulen - im vergangenen Jahr seien sie auch an einer Grundschule gewesen, erzählt Michaela Pelz. Auch sie ist Hospizbegleiterin. Als Gabi Wetzel ihren Vortrag hält, ist sie im Klassenzimmer nebenan und berichtet den übrigen Zehntklässlern des Gymnasiums von ihrer Arbeit.

"Es steht und fällt mit den Lehrkräften", sagt Pelz jetzt. Sie und Wetzel stehen nach der Schulstunde in der Aula des Gymnasiums und tauschen sich über die vergangenen 45 Minuten aus, in denen sie in den Klassen waren. Einfach nur mal kurz hineinzuschneien, ein bisschen was über den Tod zu erzählen, und dann wieder zu verschwinden - das funktioniere nicht, betont Pelz. In den Lehrplänen aller bayerischen Schularten ist das Thema Tod für den Religions- und Ethikunterricht vorgesehen. Das sei eine gute Gelegenheit, um dann auch über Hospizarbeit zu sprechen.

Sven Struckmeier behandelt das Thema Sterben seit ein paar Stunden mit den Schülern in seinem Ethik-Unterricht. Es ging unter anderem um Sterbehilfe, Argumente dafür, Argumente dagegen, um Verlust und Vergänglichkeit. Struckmeier möchte auch in der kommenden Stunde das Thema nicht loslassen und mit seinen Schülern über den Vortrag von Gabi Wetzel sprechen. "Das werde ich natürlich nicht einfach so stehen lassen", betont er. Der Lehrer ist froh, dass Wetzel und Pelz gekommen sind. "Das ist einfach etwas ganz anderes, als wenn ich da vorne stehen würde und eine theoretische Abhandlung zur Hospizarbeit runterreferiere." Der Tod sei ein Teil des Lebens, deshalb hält er es für wichtig, Kinder und Jugendliche nicht vor diesem emotionalen und schwierigen Thema zu auszuschließen.

Es gongt. Die 45 Minuten Unterrichtsstunde sind vorbei. Die Schüler aber, sie bleiben alle sitzen. Niemand schwätzt, niemand raschelt mit seinen Heften, niemand kramt in seinem Rucksack umher. Dieses "Der Lehrer beendet die Stunde, nicht der Gong", das so manch ein Pädagoge gerne zu seinen Schützlingen sagt, scheint wohl tatsächlich zu stimmen. Zumindest in dieser Stunde. Und das ohne dass überhaupt jemand darauf hinweisen muss. Jeder hört Gabi Wetzel zu.

Nach dem schlaksigen Jungen, der zu Beginn der Stunde das Klassenzimmer verlassen hat, haben fünf weitere Schülerinnen und Schüler leise Tränen geweint. Manche saßen an den linken Tischreihen, manche an den rechten. Egal wo, jedes Mal hat ein Mitschüler daneben seine Hand ausgestreckt und auf den Arm desjenigen gelegt, der weinte. Zum Trost.

Die Reaktionen sagen viel über das Miteinander innerhalb der Klasse aus, sagt Struckmeier nach dem Vortrag. Es gehe um Zusammenhalt und Empathie, reflektiert er, und genau solche Eigenschaften würden durch Vorträge wie denen von Gabi Wetzel gefördert.

Ein Schulbesuch von Ehrenamtlichen des Hospizvereins eignet sich für alle Klassenstufen - die genauen Inhalte können vorab besprochen werden. Bei Interesse einfach eine E-Mail an kontakt@hospizverein-ebersberg.de schreiben.

© SZ vom 30.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: