Bürgermeisterkandidat Mayer:Literarische Wahlfahrt

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Bürgermeisterkandidat Benedikt Mayer pilgert mit seinen Anhängern von Aßling nach Tuntenhausen. Während der Pausen gibt es Lesungen.

Anja Blum

Aßling ist, gelinde gesagt, nicht gerade der Nabel der Welt. Gibt es trotzdem Literatur, die sich mit diesem zweifelsohne schönen Fleckchen Erde in Verbindung bringen lässt? Ja, durchaus, hat sich am Samstag gezeigt, aber nur, wenn man so findig ist wie Herbert Künzel, früher Deutschlehrer am Markt Schwabener Gymnasium. Er hatte zu einer "literarischen Wanderung rund um Aßling" eingeladen, gemeinsam mit Benedikt Mayer, dem Bürgermeisterkandidaten der Aßlinger Grünen und der SPD. Zu hören gab es dabei Poetisches, Geschichtliches und Humorvolles - zur Umgebung, zum Kandidaten und zur bayerischen Politik.

Schützenhilfe für Bürgermeisterkandidat Benedikt Mayer (Mitte): Herbert und Marianne Künzel bei der "literarischen Wanderung". (Foto: EBE)

"Da sowieso sehr viele Menschen in Urlaub sind, haben wir beschlossen, im sommerlichen Wahlkampf lauter Dinge zu unternehmen, die uns selbst Spaß machen", sagte Mayer. Nach einer Paddeltour auf der Attel und einem Radlausflug machte man sich nun also zu Fuß auf den Weg, die Umgebung von Aßling auf besondere Weise zu erkunden. Ein gutes Dutzend Anhänger des Bürgermeisterkandidaten, darunter auch Waltraud Gruber, Fraktionssprecherin der Grünen im Kreistag, ließ sich von zweifelhaften Wetterverhältnissen nicht abhalten und folgte Künzel über Felder, Straßen und Hügel, durch Wald und Wiesen. Dass dabei immer wieder die Regenschirme aufgespannt werden mussten, tat der guten Laune keinen Abbruch, denn die literarischen Ausflüge, angeregte Gespräche, eine unerhört klare Luft und die wunderschöne Landschaft entschädigten für alles Unbill von oben.

Ihm sei es ein Anliegen, Mayers Kandidatur in Aßling zu unterstützen, so der Expeditionsleiter, Mann der ehemaligen SPD-Gemeinderätin Marianne Künzel. "Die Bürger sollen Gelegenheit bekommen, ihn persönlich kennen zu lernen." Die Idee der literarischen Wanderung sei bereits im Jahr 2008 entstanden, kurz vor der bayerischen Landtagswahl. "Damals saßen wir mit ein paar Freunden zusammen und gelobten, eine Wallfahrt nach Tuntenhausen zu unternehmen, wenn die CSU die absolute Mehrheit verlieren würde", erzählte Künzel. Was mit dem völlig unerwarteten Ergebnis von 43 Prozent ja dann tatsächlich eingetreten sei, so dass man schließlich die Wanderung in die katholisch-konservative CSU-Hochburg Tuntenhausen habe unternehmen müssen. Aus der Wallfahrt sei so gewissermaßen eine "Wahlfahrt" geworden. "Die wollten wir aber nicht einfach nur so unternehmen, sondern mit ein paar Büchern im Rucksack - so wie heute eben auch."

Tuntenhausen im Landkreis Rosenheim ist ein Marienwallfahrtsort und bekannt für die zweimal im Jahr stattfindende Tagung des örtlichen Katholischen Männervereins, zu der sich auch führende CSU-Politiker einfinden. Am Samstag war der Ort das Ziel der Wanderung, etwa zehn Kilometer legte die wackere Aßlinger Gruppe insgesamt zurück. Beschrieben wird die Jahrhunderte lange Geschichte des Wallfahrtsorts in dem Roman "Die Wallfahrer" von Carl Amery, dem Vater von Benedikt Mayer. (Der Name Carl Amery ist ein Pseudonym von Christian Anton Mayer). "Damit ist das Buch natürlich prädestiniert für unsere Wanderung", erklärte Künzel, der daraus das Anfangskapitel von der Entstehung der Wallfahrt sowie eine Szene aus einer Männervereins-Tagung ausgesucht hatte: Es spricht Alois Hundhammer, bayerischer Kultusminister und Gegenspieler von Franz Josef Strauß - eine sehr authentisch wirkende Montage aus Zitaten, biografischen Daten und fiktiven Elementen.

"Für unsere Familie war es nicht immer einfach, dass mein Vater als freischaffender Autor sein Geld verdiente", berichtete Mayer. Doch mit zunehmender Popularität des Autors habe sich schließlich auch die wirtschaftliche Situation verbessert. " Amery (1922 bis 2005) sei als Mensch tief im bayerischen, ländlichen Leben verwurzelt, aber auch ein ausgemachter Intellektueller mit einer klaren politischen Einstellung gewesen, schwärmte Künzel. Diese Dualität habe sein ganzes Schaffen bestimmt.

Neben Amery kam Lena Christ zu Wort, Mayer und Künzel lasen an der Kirche in Niclasreuth Passagen aus ihrem Roman "Die Rumplhanni": eine Abschiedsszene beim Hufschmied sowie wildes Wirtshaustreiben, beides zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Die in Glonn geborene Schriftstellerin habe für ihr Werk sicherlich eine ihr bekannte Gegend gesucht, erklärte der ehemalige Deutschlehrer, "aber Glonn hat es nicht sein sollen". Er vermute, dass Christ von München aus mit dem Zug nach Ostermünchen gefahren sei - von wo aus sich die Topografie des Romans nämlich erschließe: Schönau, Vogelried, Niclasreuth, Oed und andere Dörfer fänden sich dort wieder.

An einem Bahnwärterhäuschen nahe Aßling gab es ebenfalls eine Lesung, hier kam etwas Historisches zu Gehör: In "Des Bayernkönigs Revolutionstage" beschreibt Josef Benno Sailer, wie die königliche Familie während der Novemberrevolution 1919 buchstäblich bei Nacht und Nebel die Münchner Residenz verlässt. Auf der Flucht in Richtung Süden kommt eines der Autos zwischen Aßling und Ostermünchen von der Straße ab und bleibt im Acker stecken. Sailers Schilderungen sind nüchtern, doch in ihrer Sprache so antiquiert, dass sich Künzels Zuhörer ein Lächeln oft nicht verkneifen konnten.

Das selbe revolutionäre Geschehen, nur aus einer anderen Perspektive, beleuchtet Oskar Maria Grafs autobiografische Erzählung "Wir sind Gefangene". Hier wird anschaulich geschildert, wie der junge Bohemien in den Strudel der politischen Ereignisse hineingezogen wird. "Graf habe ich auch ausgewählt, weil er aufgrund seiner politischen Einstellung in der bayerischen Literatur auf einer Linie liegt mit Amery", so Künzel. Da sage noch einer, Aßling habe literarisch nichts zu bieten.

© SZ vom 06.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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