Buchpräsentation am Freitag:Lücken mit Geschichte füllen

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Günter Baumgartner aus Grafing schildert die Revolution 1918/19 abseits der großen bayrischen Städte

Interview von Thorsten Rienth, Grafing

Der Grafinger Hobby-Historiker Günter Baumgartner präsentiert am Freitag, 25. Oktober, im Heckerbräu den ersten Band seiner vierteiligen Reihe "Die bayerische Revolution 1918/19 in Stadt und Land". Das Werk als monumental zu bezeichnen, wäre angesichts seiner insgesamt 2800 Seiten wohl eine Untertreibung.

SZ: Herr Baumgarter, haben Sie die Stunden gezählt, die Sie mit diesem ersten Band verbracht haben?

Günter Baumgartner: Die Stunden nicht, aber die Jahre. Es waren ungefähr fünf.

Was hat Sie angetrieben?

Eigentlich wollte ich einfach nur selbst etwas lesen. Zum Beispiel, was während der Revolution in Schrobenhausen, Freilassing, Raubling oder Oberammergau los war. Über die Revolution in München gibt es Literatur ohne Ende. Was auf dem Land passierte, ist ein riesiger weißer Fleck. Die Lücken sind wirklich immens. Mir und dem Dietrich Grund, der sozusagen als Co-Autor mit dabei ist, ging es darum, sie mit Geschichte zu füllen - und eine Art Absprungbasis für Leute zu schaffen, die in Eigenregie lokal weiterforschen wollen.

Wenn es keine klassische Literatur gibt, wie läuft so eine Recherche ab?

Das geht in solchen Fällen nur über die anstrengende Schiene: Allen möglichen Schriftverkehr im Hauptstaatsarchiv lesen. Nach Aufzeichnungen von Pfarrern oder Lehrern zu suchen, die ihre lokalen Geschehnisse halbwegs objektiv reflektierten. Natürlich geht man auch die Jahresbände der Lokalzeitungen durch. Einige sind ergiebig, andere überhaupt nicht. Manchmal findet man zwei, drei interessante Zeilen, die einen dann zum nächsten Aspekt bringen. So geht das immer weiter. Irgendwann sind 2800 Seiten voll, die dann aber hoffentlich nah dran sind an einer angemessenen Einordnung.

In einer Sonderausstellung des Museums der Stadt Grafing waren unter anderem die Armbinden der Einwohnerwehr zu sehen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Welche Quellen stellten sich bei der Recherche als die wertvollsten heraus?

Ausgerechnet die, von denen es leider am wenigsten gibt: Quellen von ganz normalen Leuten, am besten sogar von unpolitischen. Denn ihre Aufzeichnungen sind am wenigsten wertend. Das Problem ist: Ein Torfstecher oder der Dienstbote eines Bürgermeisters hatten nach dem Ersten Weltkrieg schlicht anderes zu tun, als Tagebuch zu schreiben. Gerade in den Revolutionsjahren 1918 und 1919 hatten sie drängendere Problem, zum Beispiel ihre Familien zu ernähren. Außerdem war die Analphabetenquote damals deutlich höher, als das heute der Fall ist. Das ist sicher mit ein Grund, warum bei den Tagebuchaufzeichnungen das gebildete Bürgertum deutlich in der Mehrheit ist. Damit bekam die Geschichtsschreibung eine Schlagseite.

Sie spielen darauf an, dass die Revolution in der Geschichtsschreibung kritisch, ihre Niederschlagung aber sehr unkritisch aufgeschrieben wurde?

Ja, das würde ich ganz klar so sagen. Geschichte wird ja immer vor allem von den Siegern geschrieben. Besonders in den 1930er Jahren, als dann die Nationalsozialisten an der Macht waren, ist das unübersehbar: Da war man auf nationale Heldengeschichten aus, zum Beispiel über Leute, die eine schwarze Madonna aus der Kirche noch gerade so von den roten Horden gerettet hätten. Bis weit in die 1920er Jahre war es vollkommen üblich, dass konservative Verleger die Anliegen der Revolutionäre schlicht ignorierten. Auf der anderen Seite stürzten sie sich auf die - ja nicht immer von der Hand zu weisenden - Horrorgeschichten aus der Sowjetunion.

Gibt es so etwas wie eine Quintessenz aus den vier Bänden?

Dass die Revolutionsjahre deutlich vielschichtiger waren, als gemeinhin angenommen. Mitnichten speiste sich die Revolution allein aus der Forderung nach genügend Essen auf den Tischen. Der Wille zur politischen Mitsprache war immens. Auf einmal haben sich in Trostberg oder Mühldorf mächtige Arbeiterräte gegründet. Dass alleine die oberbayrische SPD in den ersten Wochen nach dem Krieg über 20 000 Neuaufnahmen verzeichnete, spricht doch für sich. Außerdem kommen mir die Errungenschaften der Revolution in der Geschichtsschreibung etwas zu kurz. Das Streikrecht, der Acht-Stunden-Tag, das Frauenwahlrecht, die Trennung zwischen Staat und Kirche - das alles sind heute Selbstverständlichkeiten. Die Revolutionäre von 1918/19 haben diese Punkte in Deutschland das erste Mal auf eine Art und Weise formuliert, dass sie ein beachtlicher Teil der Bevölkerung mittrug.

Günter Baumgartner aus Grafing hat sich mit der Revolution 1918 auf dem Land beschäftigt. (Foto: Privat)

Warum erscheint Ihr Werk lediglich im ehrenamtlich geführten Verlag Edition AV?

Ganz einfach: Den klassischen Verlagen war unser Umfang zu mächtig.

Was hat es mit dem "Dotschntauch mit roggenen Nudeln" auf sich, den sie am Freitagabend mitnehmen?

Das Problem ist, die Besucher auf dem Zeitstrahl ungefähr 100 Jahre in die Vergangenheit zu schieben. "Dotschn" sind würzige Steckrüben, die damals ein Grundnahrungsmittel waren. Man machte Marmelade draus, zudem dienten sie als Kaffee- oder Fleischersatz. Der "Dotschntauch" ist eine Suppe, in die man die schmalzgebackenen, "roggenen Nudeln" tauchte. Beides haben wir zur Einstimmung dabei.

"Die bayerische Revolution 1918/19 in Stadt und Land" - Buchpräsentation am Freitag, 25. Oktober, um 19.30 Uhr im Grafinger "Heckerbräu".

© SZ vom 24.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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